Theater:An alten Ufern

Matthias Lilienthal verlässt 2020 die Münchner Kammerspiele. Dass das Experiment mit dem Berliner Diskurstheatermacher gescheitert ist, liegt aber nicht an den viel zu konservativen Münchnern. Man muss das Publikum schon mitnehmen. Auch von innen gab es Erosionen.

Von Christine Dössel

Matthias Lilienthal und München, das war keine Liebesbeziehung - und wohl von Anfang an ein Missverständnis. Dass der Intendant der Münchner Kammerspiele nun angekündigt hat, seinen Vertrag nicht über 2020 hinaus zu verlängern, und damit einer Nichtverlängerung im Kulturausschuss mangels Zustimmung der CSU zuvorkam, ist das Ende eines Experiments, das 2015 schwach anfing und sich nicht stark entwickelte. Und das liegt gewiss nicht an den konservativen Münchnern, wie von Seiten der Lilienthal-Anhänger suggeriert wird - als sei diese provinzielle Stadt nicht bereit für das Andere, das große Neue. Das ist schlicht Legendenbildung.

Das Münchner Publikum ist traditionell linksliberal und so neugierig, offen und theaterbegeistert wie kaum ein anderes in Deutschland. Es ist allerdings insofern konservativ, als es Schauspieler liebt und damit auch Schauspielertheater, Schauspielkunst. Im postdramatischen, soziopädagogischen Performance- und Politkurs der Kammerspiele ist dafür wenig Platz. Dass das Experiment Lilienthal wohl gescheitert ist, liegt vor allem an den Machern selbst. Man muss ein Publikum, und verachte man es noch so sehr als überaltertes, weißes Stammpublikum, schon auch abholen und mitnehmen. Vor allem an einem hoch subventionierten Stadttheater, das für alle da sein soll.

Nicht das Münchner Publikum ist stehen geblieben, sondern Intendant Matthias Lilienthal

Gemäß den letzten offiziellen Besucherzahlen - sie stammen vom vorigen Sommer und schließen die ausverkauften Veranstaltungen prominenter Kabarettisten mit ein -, liegt die Auslastung der Kammerspiele bei 63 Prozent, inoffiziell munkelt man von 50 Prozent. Ein Theater mit derart geringer Besucherresonanz hat ein Problem. Zwar zieht Lilienthal mit seinen Konzerten, Pop- und Diskursformaten auch ein neues junges Publikum an, aber gerade im Schauspielhaus, Kammer 1 genannt, gibt es große Lücken im Parkett. An vielen Spieltagen werden dort, ähnlich wie an Chris Dercons Berliner Volksbühne, keine Inszenierungen, sondern Sonderveranstaltungen angesetzt.

Als Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) Lilienthal berief, war klar, dass der Berliner nicht das klassische Stadttheater bedienen würde - und auch nicht sollte. Lilienthal hatte sich als Leiter des Berliner Theaters Hebbel am Ufer (HAU) als Gastgeber und Darling der internationalen Performing-Arts-Szene profiliert. Man hoffte auf ihn als zukunftsweisenden Grenzgänger. Nur sind die Kammerspiele nicht irgendein freies Produktionshaus, wie Lilienthal es nun in alter HAU-Manier bespielt, als könne er gar nichts anderes. Die Kammerspiele sind ein Sprechtheater mit großartiger Tradition und einem Ensemble, das einmal das beste weit und breit war. Dass diesem Haus mangels Theater - und ja: auch mangels Qualität - die Zuschauer wegbleiben, ist nicht das einzige Krisensymptom. Die Erosionsbewegungen haben früh auch schon von innen heraus begonnen. So sind nicht nur Top-Schauspieler wie Brigitte Hobmeier, Anna Drexler und Thomas Schmauser frustriert gegangen. Auch Hausregisseur Nicolas Stemann und Chefdramaturg Benjamin von Blomberg streichen die Segel, um 2019 das Schauspielhaus Zürich zu übernehmen.

Das Prinzip HAU schlicht von Berlin auf München zu übertragen und das Alte hier als neu und experimentell zu verkaufen, funktioniert nicht. Vielleicht muss man konstatieren, dass nicht München, sondern Lilienthal stehen geblieben ist.

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