Süddeutsche Zeitung

Thailand:Unruhestifter aus dem Off

Seit Jahren lebt der frühere thailändische Premier Thaksin Shinawatra im Exil, trotzdem polarisiert er die Nation. In Bangkok protestieren Menschenmassen gegen sein Regierungslager und fordern die Absetzung der Premierministerin, Thaksins Schwester Yingluck Shinawatra.

Von Tobias Matern

Aufgebrachte Menschen versuchen in Bangkok, das öffentliche System zum Erliegen zu bringen. Nachdem Demonstranten am Montag das Finanzministerium gestürmt hatten und das Außenministerium belagerten, weiteten sie ihre Aktionen am Dienstag aus und haben nun weitere Regierungsgebäude umzingelt. Die Regierung brachte Mitarbeiter des Landwirtschafts-, Tourismus- und Verkehrsministeriums in Sicherheit. Augenzeugen zufolge warnten die Gegner von Regierungschefin Yingluck Shinawatra auch die Angestellten des Innenministeriums davor, das Gebäude zu verlassen. Sie drohten mit der Erstürmung der Behörde.

Die Demonstranten geben sich unbeugsam: Sie wollen protestieren, bis die Regierung von Premierministerin Yingluck zurücktritt. Erneut spitzt sich in Thailand der Streit zwischen den beiden zentralen politischen Lagern zu. Es droht eine weitere Eskalation, so wie im Jahr 2010. Damals besetzten Demonstranten in der Hauptstadt Einkaufszentren und wurden schließlich mit Polizeigewalt zum Aufgeben gezwungen. 92 Menschen starben, etwa 2000 weitere wurden verletzt.

Damals wie heute polarisiert die Nation ein Mann, der gar nicht mehr in Thailand lebt: Thaksin Shinawatra, Bruder der Regierungschefin. Nach wie vor, davon sind Beobachter überzeugt, zieht er aus dem Exil die Strippen und lenkt die Regierungsgeschäfte. Ihm gegenüber steht das mächtige, nun wieder seine Anhänger mobilisierende Establishment: Bangkoker Eliten, die sich um den nach wie vor mächtigen Königshof scharen - obwohl der allseits verehrte, 85-jährige Monarch Bhumibol Adulyadej nicht mehr in die aktuellen Geschehnisse eingreift.

Diese Gruppe, die den Konflikt nun auf die Straße getragen hat, wird angeführt von Suthep Thaugsuban. Er war Stellvertreter des Ex-Premiers Abhisit Vejjajivas, der mit Hilfe des Militärs und des Establishments an die Macht gekommen war, die anschließenden Wahlen aber deutlich gegen das Thaksin-Lager verloren hatte. "Wir werden noch nicht einmal dann aufhören, wenn Yingluck Shinawatra zurücktritt oder das Parlament auflöst", drohte Suthep in einer Rede vor den Demonstranten. "Wir demonstrieren so lange, bis wir das Thaksin-Regime losgeworden sind." Dieser Kampf, versprach er, werde nicht länger als drei Tage dauern - was wenig realistisch klingt. Die Premierministerin setzte hingegen auf mahnende Worte: "Aus Regierungssicht wollen wir nicht, dass dieser Konflikt in Gewalt ausartet und Menschen sterben", teilte Yingluck mit.

Opposition wirft Thaksin und ihm nahestehenden Politikern Korruption vor

Ein zentrales Problem der Opposition bleibt bestehen, auch wenn sie bei den aktuellen Protesten Zehntausende Menschen mobilisieren kann: Sie gewinnen keine Wahlen. Aus demokratischer Perspektive fehlt ihnen die Legitimation für ihren Frontalangriff auf das Thaksin-Lager. Zwar ist der aktuelle Vorwurf, Thaksin und ihm nahe stehende Politiker seien korrupt, sicherlich nicht aus der Luft gegriffen. Auch bringt die Opposition der Versuch der Regierung in Rage, gewisse Korruptionsvergehen straffrei zu stellen und sie kritisieren die Vetternwirtschaft. Aber seit mehr als zehn Jahren hat der in der Telekommunikationsbranche zum Milliardär gewordene Thaksin entweder selbst Wahlen gewonnen - oder erfolgreich seine Gefolgsleute an die Spitze der Regierung gebracht. Bestes Beispiel ist seine Schwester, die er im Wahlkampf seinen "Klon" genannt hatte.

Thaksin setzte auf ein simples, aber sehr wirksames Rezept für seinen Erfolg: Er hat die lange Zeit vernachlässigte arme Landbevölkerung Thailands als Wählerschicht erkannt und Wohlfahrtsprogramme für sie geschaffen. Dass sie ihm das bis heute nicht vergessen haben, machen seine Anhänger an der Wahlurne immer wieder deutlich. Die "Rothemden", wie die Anhänger Thaksins heißen, würden sicherlich ihrerseits mit Protesten reagieren, wenn die Elite - einmal mehr - die von ihnen gewählte Regierung absetzt.

Beobachter blicken nun gespannt auf die Entwicklung der nächsten Tage und vor allen den 5. Dezember. An diesem Tag feiert der König seinen Geburtstag, es ist ein landesweiter Feiertag. Thaksin ist von seinen Gegnern immer wieder vorgehalten worden, er habe die Autorität des Königs infragegestellt.

Aus Sicht von Experten sind die nun seit Jahren andauernden politischen Streitigkeiten auch ein Vorbote für einen machtpolitischen Verteilungskampf, der noch aussteht: "Seit sich die Dämmerung über die 65-jährige Regentschaft von König Bhumibol Adulyadej legt, sind die Thais in einem landesweiten Patt gefangen", schrieb der angesehene thailändische Politologe Thitinan Pongsudhirak vergangenes Jahr in dem Magazin Journal of Democracy. Das dem Königspalast nahestehende Establishment, das die Machtstrukturen erhalten wolle, stehe einer Gruppe entgegen, die eine Reform der Monarchie fordere und sie mit einer "reiferen Demokratie versöhnen will".

Mit Interesse haben die Menschen in Thailand nun zur Kenntnis genommen, dass sich Kronprinz Maha Vajiralongkorn während des laufenden Konflikts zu Wort gemeldet hat. Er habe während eines Gesprächs seine Besorgnis über die Lage zum Ausdruck gebracht und die Streitparteien zu Verhandlungen aufgefordert, berichtete die Zeitung Bangkok Post. Es wird interessant zu beobachten sein, ob sich die Demonstranten in den nächsten Tagen an seinen Appell halten - oder ob die Lage weiter eskaliert.

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SZ vom 26.11.2013/dgr
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