Süddeutsche Zeitung

Thailand:Sklaven an Bord

Lesezeit: 7 min

Die Fischindustrie des Landes hat einen miserablen Ruf. Die EU fordert, illegale Methoden einzudämmen. Nicht nur die Meere werden ausgebeutet, sondern vor allem die Arbeiter auf den Schiffen.

Von Arne Perras, Mahachai

Als Tun Lin seine Beine über die Bordwand schwingt, hat er ein schlechtes Gefühl. Aber Befehl ist Befehl. Und wehe einer wagt es, dem Kapitän zu widersprechen. Dessen Faust hat Tun Lin bereits kennengelernt. Aber der Boss hat auch noch einen Knüppel in der Kabine, so groß wie ein Baseball-Schläger. Also beeilt sich Tun Lin und klettert an jenem Tag hinunter in das Netz. Das ist fast drei Jahre her. Manche behaupten, dass die Zeit alle Wunden heilt. Aber das klingt wie Hohn, wenn Tun Lin von seiner Arbeit auf See erzählt. Er wünschte, er hätte nie einen Fuß auf die Planken eines thailändischen Fischerbootes gesetzt. Ein Mittelsmann hatte ihm Versprechungen gemacht. Auf dem Schiff könne er gutes Geld machen, hat er gesagt. Und Tun Lin hat ihm geglaubt.

Er war fünfzehn Jahre alt, als er sein Dorf in Myanmar verließ. Er floh vor der Armut und folgte dem Traum, den Millionen in seiner Heimat träumen. Nun ist der Birmane 33 Jahre alt und blickt auf eine Odyssee zurück, die ihn noch immer zittern lässt. Er hatte anfangs keine Vorstellung von dem, was ihn erwarten würde. Jetzt weiß er es. Tun Lin trägt bei diesem Treffen südwestlich von Bangkok einen breitkrempigen Hut. Er sitzt an einem leeren Tisch. Und während er erzählt, schiebt er den Hut mit der linken über seine rechte Hand. Vielleicht tut er es aus Gewohnheit, vielleicht aus Scham. Viel ist nicht mehr übrig von seiner rechten Hand.

Inzwischen lässt sich die Ausbeutung nicht mehr so einfach vertuschen

An jenem Tag im Juli 2013 sollte sein Boot, die Mabiru 89, ein volles Netz von einem anderen Schiff übernehmen, weil dessen Laderaum nichts mehr verstauen konnte. Die Netze waren prall gefüllt, sie wussten nicht mehr wohin mit all dem Fisch. Deshalb waren sie ja unterwegs in indonesischen Gewässern, wo noch was zu holen war. Jahrelang durchpflügten thailändische Trawler das Meer zwischen Borneo und den Molukken. Und es interessierte sich kaum jemand dafür, ob sie die nötigen Lizenzen hatten. Oder wen sie schmierten, um unbehelligt weiterzufischen.

Inzwischen sind Indonesien, die USA, und die EU aufgewacht, nachdem die Ausbeutung nicht mehr zu vertuschen war. Thailand steht unter Druck, seinen verrufenen Fischereisektor aufzuräumen. Nächste Woche stehen Gespräche in Brüssel an, eine Delegation aus Bangkok wird erwartet. Die Kommission hat den Thailändern 2015 eine "Gelbe Karte" verpasst und fordert Schritte gegen die illegale Fischerei. Sonst droht ein Boykott von Seafood-Importen aus Thailand, die "Rote Karte".

Bald muss Brüssel entscheiden, wie es weitergehen soll. Die Kommission hält sich sehr bedeckt, wie sie die Fortschritte einschätzt. Überfällig ist nicht nur ein Ende der Raubfischerei. Auch die Knechtschaft Zehntausender Seeleute ist mit nichts zu rechtfertigen. Seit Jahren werden Mannschaften, die überwiegend aus Wanderarbeitern bestehen, auf hoher See ausgebeutet oder gar versklavt. So werden Trawler zu Galeeren im 21. Jahrhundert.

Damit EU-Richtlinien nicht gebrochen werden, konzentriert sich Brüssel auf den Kampf gegen illegale und unkontrollierte Fischerei. Doch ausgebeutet werden nicht nur Meere, sondern auch Menschen, Fischer wie Tun Lin. "Das eine lässt sich vom anderen nicht trennen", sagt die grüne EU-Abgeordnete Linnea Engström.

Die finsteren Zustände, die seit 2014 vermehrt ans Licht kommen, haben einen lukrativen Sektor in Verruf gebracht, der von großen Konzernen dominiert wird und mit dem Export umgerechnet etwa fünf Milliarden Euro umsetzt. Die Ware gelangt auch in europäische Kühlregale. Und Tun Lins Erfahrungen vermitteln eine Vorstellung davon, wie es jenen ergeht, die im Fischereisektor ganz unten schuften. Die Mabiru 89 hat im Jahr 2013 insgesamt 34 Mann Besatzung an Bord, 24 kommen wie Tun Lin aus Myanmar. Das Kommando führt ein thailändischer Kapitän. An Land wirkt er freundlich, doch sobald sie abgelegt haben, ist er wie verwandelt. Keiner entkommt seinen Launen. Der Kapitän hat einen Kreis von Helfern um sich geschart, mit denen er eisern die Myanmarer kontrolliert. Schläge, Beschimpfungen, Arbeit bis zur völligen Erschöpfung. Oft nur zwei, drei Stunden Schlaf. Manchmal werden sie wach geprügelt. Tun Lin erzählt von seinem Martyrium. Neun Jahre sei er zur See gefahren, aber für fünf Jahre habe er keinen Lohn bekommen.

Zuerst arbeitete er in Thailand als Edelsteinschleifer, dann in einer Fischfabrik. Aber nichts sei so schlimm gewesen wie der Job auf See. "Du bist wie gefangen", sagt er. "Und wenn du am Ende bezahlt wirst, hast du großes Glück." Nur auf einem der Schiffe habe er ein gutes Jahr lang einen Lohn kassiert, den er als anständig bezeichnet: 280 Euro im Monat. Warum aber ist er nicht geflohen? "Das war schwierig, oft fuhren wir monatelang auf See". Waren die Laderäume voll, hievten sie den Fisch in ein Mutterschiff und machten danach weiter. Papiere brauchte er damals nicht, um auf See zu arbeiten. Das ließ sich regeln. Er besaß nicht einmal einen Pass.

Inzwischen ist manches anders. Unter internationalem Druck hat Thailand 70 000 Migranten ohne Dokumente als Arbeiter registriert, sie tragen nun eine sogenannte rosa Karte bei sich. Ohne sie darf keiner mehr hinausfahren. So jedenfalls sind die Regeln. Damit sie eingehalten werden, hat die Marine ein "Kontrollzentrum" geschaffen. Hier laufen nach dem Willen der Militärregierung alle Anstrengungen gegen Zwangsarbeit, Menschenhandel und illegale Fischerei zusammen.

Sattahip, Stützpunkt der thailändischen Marine: Kapitänleutnant Manatchai Fangsuwannarak kommandiert das Patrouillenboot T-995. Bleierne Wolken verschleiern den Himmel, die See an diesem Freitag ist ruhig. Mit gedrosselten Maschinen pflügt das Schiff durch die Bucht und steuert einen Kurs von 170 Grad aufs offene Meer hinaus. Die Mission: Stichproben bei Fischern im Golf von Thailand. Nach langem Hin und Her hat die Marine zugestimmt, einen ausländischen Journalisten mit an Bord zu nehmen.

Fischerboote über 30 Tonnen müssen inzwischen mit einem GPS-System ausgestattet sein, so lassen sie sich orten und leichter überprüfen. Manatchai steuert die Pramongchai 59 an. Das Schiff ist erst kürzlich ausgelaufen, die Netze liegen noch ordentlich zusammengelegt an Deck. Leinen fliegen von einer Seite zur anderen. Der beleibte Kapitän des Fischerboots, der nichts außer einer Shorts auf der gegerbten Haut trägt, scheucht seine Mannschaft aufs Vorderdeck. Aufgereiht sitzen sie auf roten Planken, eingeschüchtert blicken sie geradeaus, über ihnen wacht ein bewaffneter Marinesoldat.

Die Marine schickt jetzt Patrouillenboote, es gibt "kaum etwas zu beanstanden"

Jetzt schickt der junge Kapitänleutnant seinen Einsatztrupp hinüber, um alle Papiere zu überprüfen. Dazu gehören auch die rosa Karten der Arbeiter, es sind 38 Kambodschaner. Alle Ausweise sind da. Nur dass einer der Fischer viel jünger aussieht als das eingetragene Alter von 20 Jahren. "Da können wir als Patrouillenboot nichts machen", sagt der Kapitän. Das Problem manipulierter Altersangaben ist bekannt. Laut Marine werden die Regularien gerade neu gefasst, um wirksamer gegen den möglichen Missbrauch vorzugehen.

"In jüngster Zeit hatten wir bei Fahrten kaum etwas zu beanstanden", sagt der Kapitänleutnant. Zumindest nicht auf thai-ländischen Schiffen. Ein paar vietnamesische Kutter haben sie beschlagnahmt, die sie in Thailands Gewässern erwischten. "Da schießen wir zur Not auch in die Luft, wenn sie versuchen abzuhauen."

Und was sagt der Chef des Kontroll-Kommandos zum Druck aus Brüssel? Vize-Admiral Jumpol Lumpiganon, der zum Briefing ins Hauptquartier geladen hat, erklärt: "Wir sind der EU sehr dankbar, dass sie das alles angestoßen hat. Die kennen sich mit den nötigen Regularien bestens aus." Seit Monaten stünden sie in regem Dialog, wobei der Vize-Admiral das Bild vom Lehrer zeichnet, der einem gelehrigen Schüler den Weg weist. Thailand tue alles, was nötig sei, um seinen Fischereisektor auf Vordermann zu bringen.

Was das für das eigene Militär bedeutet, bleibt nebulös. Als 2013 öffentlich Korruptionsvorwürfe gegen die Streitkräfte laut wurden, weil Angehörige der Marine in den Menschenschmuggel im Süden Thailands verwickelt gewesen sein sollen, überzog das Militär die berichtenden Reporter mit einer Klage. 2015 wurden sie freigesprochen. "Für den Fall, dass irgendwelche Unregelmäßigkeiten in den eigenen Reihen auftauchen sollten, regelt das die Marine intern", sagt Sprecher Benjamaporn Wongnakornsawang.

Europäische Diplomaten beobachten bei den Fischereireformen eine große Umtriebigkeit. "Der Wille, etwas zu verbessern, ist da", lautet eine Einschätzung. "Frühere Regierungen hat die Ausbeutung der Fischer kaum interessiert." Der neue Eifer in Bangkok könnte auch damit zu tun haben, dass die regierenden Generäle international Erfolge vorweisen wollen, um sich nicht weiter zu isolieren. Auf manche wirkt ihr Kurs paradox: Einerseits setzt sich die Militärregierung als Vorkämpfer gegen die Sklaverei auf See in Szene, andererseits geht sie an Land mit großer Härte gegen ihre Kritiker vor.

Und Tun Lin, der Fischer? Er erinnert sich nur an eine Kontrolle in all den Jahren auf See. Ein indonesisches Schiff hat sie aufgehalten. Er weiß noch, wie der Kapitän an Bord des Kriegsschiffes geholt wurde. Es dauerte, bis er zurückkam. Und sie fischten weiter. Damals gab es Wege, das unter dem Tisch zu regeln. Aber inzwischen hat Indonesien eine resolute Fischereiministerin. Sie lässt ausländische Schiffe, die beim illegalen Fang erwischt werden, auch schon mal in die Luft sprengen.

Tun Lin nimmt den Hut von seiner rechten Hand, so dass sie offen daliegt. Nur der Daumen ist noch dran. Alle anderen Finger hat er verloren, im Juli 2013, als der Kapitän ihm befahl, in das Netz zu klettern.

Am Tag des Unfalls macht der Kapitän allen wieder mal Beine, das Netz mit dem Fisch, das sie vom anderen Boot herübergezogen haben, soll mit der Winde schnellstens nach oben. Tun Lin macht einen Vorschlag, wie es gehen könnte, doch der Kapitän herrscht ihn nur an: "Ich gebe hier die Befehle." Tun Lin muss flott hinunterklettern ins Netz und das Seil mit dem Haken einhängen. Als er es geschafft hat, ruft er hinauf: "Wartet einen Moment." Er möchte zurückklettern, bevor sie das Netz hinaufziehen. Aber da rasselt schon die Winde, das Seil, das Tun Lin umklammert, rast nach oben. Alles geht wahnsinnig schnell, sodass er die Hand nicht mehr wegbekommt von diesem verfluchten Seil, das weiter oben über eine Rolle läuft.

Der Fischer hat fast seine ganze Hand bei der Arbeit verloren. Die Entschädigung: 8000 Euro

Der Schmerz macht Tun Lin rasend, sie helfen ihm an Deck und ziehen den Handschuh herunter. Als er hinsieht, verliert er das Bewusstsein. Die Bordapotheke gibt nur ein paar Schmerzmittel und Antibiotika her. Tun Lin braucht einen Arzt, aber sie sind weit draußen auf See. Ein paar Funksprüche, dann ist ein Boot gefunden, das einen Hafen auf den Molukken ansteuert. Als sie es erreichen, ist es Nacht. Auf zwanzig Meter kommt es heran. Tun Lin binden sie noch eine Plastiktüte um die zerquetschten Finger. Dann wünschen sie ihm viel Glück und sagen: "Schwimm".

Tun Lin springt in den Ozean und schwimmt, wie er noch nie geschwommen ist. Er schafft es bis zum anderen Boot, doch dauert es noch mehrere Tage, bis sie den Hafen erreichen. Der Arzt kann nur noch seinen Daumen retten. Tun Lin ist nun als Fischer nicht mehr zu gebrauchen. Doch hat er Glück, dass ihm eine kleine Organisation zur Seite springt, das "Labour Rights Promotion Network", kurz LPN. Sie hilft Arbeitern in Not und unterstützt Tun Lin dabei, Entschädigung einzufordern.

Der Streit ist zäh, schließlich erkämpft der Fischer für die verlorene Hand umgerechnet 8000 Euro. Die Firma Silver Sea Fisheries, die seine Entschädigung bezahlt, ist für ein Gespräch nicht zu erreichen. Anwälte verweigern jedes Telefonat.

Der Birmane hat nun auch Aussicht, bei LPN als Übersetzer zu arbeiten. "Ich will meinen Landsleuten erklären, dass es für Fischer Gesetze gibt." Die Chance auf den Job richtet ihn wieder ein wenig auf.

Kürzlich fuhr Tun Lin nach Hause zu seiner Mutter. 18 Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen. Sie weinten drei Tage lang.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2992863
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.05.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.