Süddeutsche Zeitung

Thailand:Protest im Zeichen Harry Potters

Schüler und Studeten führen die größten Demonstrationen im Land seit dem Militärputsch 2014 an.

Von Francesca Polistina

Die Popkultur ist derzeit eine feste Begleiterin von Protestbewegungen in aller Welt. Masken wie Joker oder Guy Fawkes in "V wie Vendetta" kamen in den letzten Jahren mehrmals zum Einsatz, wie bei Occupy-Demos oder in Hongkong. Nun ist die Zeit von Harry Potter. In Thailand gehen junge Menschen auf die Straße, um Neuwahlen und Reformen der Monarchie zu fordern. Manche von ihnen tragen ein schwarzes Gewand samt Zauberstab und nennen den König: "Er, dessen Name nicht genannt werden darf." Das ist eine Anspielung an Lord Voldemort, den Bösen in der Saga von J.K. Rowling. Ein anderes Symbol ist die erhobene Hand mit drei ausgestreckten Fingern: die Widerstandsgeste aus der "Tribute von Panem"-Trilogie. Der Gruß wurde schon bei den Demonstrationen gegen den Militärputsch 2014 verwendet, nur ist er zurück.

Seit Mitte Juli finden in Thailand regelmäßig Proteste statt, wie am vergangenen Sonntag in Bangkok: Etwa 10 000 Protestierende versammelten sich am Demokratiedenkmal im Zentrum der Hauptstadt, wie die Gruppe "Free Youth" (Freie Jugend) mitteilte. Dabei handelt es sich um die größte Demonstration seit dem Militärputsch. Die Protestierenden sind überwiegend junge und gut ausgebildete Menschen, die nach mehr Demokratie rufen. Zu den Hauptforderungen gehören die Auflösung des Parlaments und damit Neuwahlen, die Beendigung der Einschüchterung von politischen Gegnern und eine neue Verfassung. Eine Reform des Majestätsbeleidigungsgesetzes gehört zu den Punkten, die den Demonstranten besonders wichtig sind. Weitere Forderungen sind etwa eine Kürzung des königlichen Budgets und das Verbot für den Monarchen, politische Meinungen zu äußern.

Gegen die Demonstranten geht die Regierung mit Verhaftungen und Einschüchterung vor, ihnen werden Vorwürfe wie Volksverhetzung zur Last gelegt. Am vergangen Freitag wurde Parit Chiwarak, eine der führenden Stimmen der Bewegung, festgenommen und am Samstag gegen Kaution freigelassen. Auch andere bekannte Gesichter der Bewegung, Panupong Jadnok und Arnon Nampa, kamen erst auf Kaution wieder frei.

Die Demonstrationen sind kein Phänomen der letzten Wochen: Die ersten Proteste an Universitäten und Schulen fanden im Februar statt, nachdem die unter jungen Menschen populäre Oppositionspartei Future Forward vom Verfassungsgericht verboten wurde. Bei der Parlamentswahl 2019 hatte Future Forward sechs Millionen Stimmen bekommen und war zur drittstärksten Kraft im Land aufgestiegen. Anfang des Jahres ordneten die Richter deren Auflösung an, weil der Parteichef, der Milliardär Thanathorn, illegal Geld gespendet haben soll. Er wiederum kündigte an, die Auseinandersetzung auf der Straße fortzusetzen. Doch dann kam die Pandemie.

Für Marco Bünte, Professor für Politik und Gesellschaft Asiens an der Universität Erlangen-Nürnberg, ist die Tatsache, dass Menschen überhaupt auf die Straße gehen, schon an sich "bemerkenswert". Denn bis vor kurzem galt das Königshaus als unantastbar. Thailand hat eines der weltweit strengsten Gesetze gegen Majestätsbeleidigung: der Monarch gilt als eine Art Göttlichkeit und denjenigen, die ihn kritisieren, droht eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren - auch deshalb gingen die Demonstranten am Anfang extrem vorsichtig vor und nannten den König nicht namentlich. Außerdem wurden Studentenbewegungen in der neueren thailändischen Geschichte häufig niedergeschlagen, auch brutal - wie beim Massaker an der Thammasat-Universität 1976.

Noch werden die Proteste überwiegend von Studenten besucht, aber sie bekommen eine immer breitere Unterstützung. "Es brodelt", so Bünte. Für ihn sind junge Menschen von einer dauerhaften Unzufriedenheit getrieben. "Einerseits ist Thailand hochmodern, andererseits sind die politischen Strukturen archaisch. Für die Studenten ist das anachronistisch. Sie wollen, dass der Staat sich modernisiert", so Bünte. In welche Richtung sich die Bewegung entwickeln wird, ist noch offen. Vor allem angesichts der finanziellen Sorgen, die viele Menschen wegen der Pandemie und des ausfallenden Tourismus teilen.

Seit einem Putsch des Militärs 2014 ist General Prayut Chan-o-cha an der Macht, seine Regierung geht hart gegen Anhänger der Opposition vor. Was König Rama X. angeht, er dürfte von den Protesten überwiegend von Ferne mitbekommen haben, denn nur selten weilt er in Bangkok. Den Großteil des Jahres residiert er im Ausland, viel Zeit verbringt er in einem Luxushotel in Garmisch-Partenkirchen und in seiner Villa am Starnberger See. Auch während der Pandemie lebte er in Bayern. Bei jungen Menschen in Thailand kam das nicht gut an.

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SZ vom 18.08.2020
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