Es war die Chance auf einen Neuanfang, als in Thailand im vergangenen Mai die neue Reformpartei „Move Forward“ aus dem Stand die Mehrheit der Sitze im Parlament gewinnen konnte. Doch das Establishment nutzte die alten Instrumente, um einen Umbau des Landes zu verhindern. Eines dieser Werkzeuge ist das thailändische Verfassungsgericht. Es entschied am Mittwoch, dass die Move Forward aufgelöst werden müsse. Die Partei hatte unter anderem damit geworben, das Lèse-Majesté-Gesetz ändern zu wollen, das Kritik an der Monarchie in Thailand verbietet. Das sei ein Versuch gewesen, das demokratische System zu untergraben.
Tatsächlich geht es wohl vor allem darum, dass die Konservativen, der alte Geldadel und das Militär ihre Pfründe schützen wollen. Denn die Partei Move Forward wollte unter anderem einige Monopole aufbrechen, die alten Familien gehören. Amnesty International bezeichnete das Urteil in einer Erklärung als „unhaltbare Entscheidung“ und sagte, die Behörden würden die politische Opposition unerbittlich schikanieren.
Rückschlag für das politische System
Bereits die Vorgängerpartei „Future Forward“ wurde mit einer ähnlichen Technik daran gehindert, Reformen im Land umzusetzen. Damals wie heute wurde verfügt, dass die Partei aufgelöst und die Vorsitzenden für zehn Jahre für politische Ämter gesperrt werden müssen. Es ist nicht nur ein Rückschlag für die Partei, sondern für das gesamte politische System in Thailand. Denn auch die regierende, populistische Pheu-Thai-Partei will eigentlich Reformen anstoßen.
Move Forward hatte bei den Wahlen im vergangenen Mai 151 von 500 Sitzen gewonnen, die Pheu Thai 141 Sitze. Mehr als 66 Prozent der Thailänderinnen und Thailänder hatten also für eine Veränderung gestimmt, bei einer Rekordwahlbeteiligung von mehr als 80 Prozent.
Doch der Senat, der über die Wahl des Premierministers mitentscheidet, verhinderte die Machtübernahme durch die beiden Parteien, indem er die Wahl des Move-Forward-Vorsitzenden Pita Limjaroenrat, 43, zum Premier verhinderte. Der Senat war noch vom Militär eingesetzt worden und hat keine demokratische Legitimität. Auch im anschließenden Stillhalteabkommen zwischen der Pheu Thai, die die Macht schließlich übernahm, und dem vom Militär unterstützten Establishment zeigen sich Risse. In der kommenden Woche wird das Verfassungsgericht über eine Klage von 40 ehemaligen Senatoren entscheiden, die Premier Srettha Thavisin wegen der Ernennung eines Abgeordneten, der zuvor im Gefängnis saß, absetzen wollen. Es könnte sein, dass Thailand in einer Woche ohne Premierminister dasteht.
Wann kommt der Umbau zur echten Demokratie?
Ein neuer Premierminister aber müsste vom Parlament gewählt werden. Nur wie das funktionieren soll, wenn die stärkste Kraft vom Verfassungsgericht aus dem Rennen genommen wurde und die zweitstärkste Kraft ohnehin schon in einer zähen Koalition regieren muss, ist unklar. Nach zehn Jahren unter Militärherrschaft war bei den vergangenen Wahlen die Hoffnung aufgekommen, dass man die thailändische Kulissendemokratie zu einer echten Demokratie umbauen könnte. Doch auch das Verfassungsgericht ist in den vergangenen Jahren im Sinn der konservativen Kräfte besetzt worden und hat nun die Reste der Reformbewegung gestoppt.
Die Move Forward hatte wiederholt bestritten, die Monarchie unterminieren zu wollen, sie wollte lediglich den Paragrafen, der Kritik am König gefährlich machte, überarbeiten. Solche Kritik kann mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden, viele junge Menschen, die in den vergangenen Jahren für mehr Demokratie in Thailand auf die Straße gegangen waren, wurden durch eine enorm strenge Anwendung des Lèse-Majesté-Gesetzes zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Daher wird die Frustration bei den jungen Wählern, die das progressive Programm der Move Forward unterstützt haben, auch besonders groß sein.
Ob es zu Protesten kommt, ist fraglich, denn das wäre weiterhin gefährlich. Immerhin 142 Abgeordnete der Move Forward werden ihre Sitze im Parlament behalten und am Freitag in eine „neue Heimat“ umziehen, wie die bisherige stellvertretende Parteivorsitzende Sirikanya Tansakun am Mittwoch sagte. Sie wird wohl Anführerin der neuen Partei werden. Ähnlich hatten es im Jahr 2020 auch die Abgeordneten der verbotenen Future Forward gemacht. „Ich werde als Bürger weiter Politik machen, ich werde nirgendwo hingehen. Ich weiß, ihr seid vielleicht enttäuscht oder wütend“, sagte Pita Limjaroenrat, der nun für zehn Jahre gesperrte Parteivorsitzende der Move Forward am Abend vor Anhängern. Er sollte eigentlich seit dem vergangenen Sommer Premier sein. „Aber wir werden uns davon nicht auffressen lassen. Wir kommen bei der nächsten Wahl zurück.“