Pandemie:Misstrauen im Musterland

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Ein Regierungskritiker zeigt den Drei-Finger-Gruß als Symbol des Widerstands bei einer Kundgebung in der vergangenen Woche. Die Demonstranten forderten den Rücktritt von Ministerpräsident Chan-o-cha. (Foto: Sakchai Lalit/DPA)

Nach verheerenden Corona-Monaten öffnen die Geschäfte wieder, von Oktober an sollen fünf Provinzen Touristen empfangen. Doch Thailands Premierminister Prayut Chan-o-cha steht weiter unter Druck - im Unterhaus und auf der Straße.

Von David Pfeifer, München

In der "Icon Siam"-Mall, einem der luxuriösesten Einkaufszentren der Stadt, am Ufer des Chao Phraya gelegen, werden die Kunden wieder mit Hygienespray für die Hände und einem Lächeln begrüßt. Auch die Restaurants, Friseure und Schulen öffnen, nachdem Thailands Hauptstadt über Monate in einem harten Lockdown eingefroren war. Man durfte nur noch mit Sondergenehmigung vor die Tür, die Fahrer der Lieferdienste hatten die Straßen teilweise für sich.

Nun können die Menschen wieder in die Malls, die einen wichtigen Teil des öffentlichen Lebens in der Stadt beherbergen. Nicht nur, weil die Leute gerne shoppen gehen, sondern weil die Einkaufszentren klimatisiert sind, weil man sich dort treffen und unverbindlich einen Kaffee trinken kann. Der neue "Starbucks" im obersten Stock der Icon Siam sieht aus wie die Brücke aus "Star Trek" und war ein Sammelpunkt vor allem für Jugendliche, bis im Mai alles heruntergefahren wurde, weil die Delta-Variante sich zu verbreiten begann.

Bis zum vergangenen Samstag wurde auch der Misstrauensantrag gegen Ministerpräsident Prayut Chan-o-cha verhandelt, in einer "No-Confidence"-Debatte (kein Vertrauen), wie es in Thailand heißt. Vier Tage wurden Prayut und fünf seiner Kabinettsmitglieder im Unterhaus des Missmanagements während der Pandemie beschuldigt. Sompong Amornvivat, Anführer der "Pheu Thai Party", der größten Oppositionspartei, legte vor, indem er den Ministerpräsidenten eine "machtverrückte, arrogante Person" nannte, "ungeeignet, dieses Land zu führen". Es ist bereits die dritte Debatte dieser Art, seit Prayut 2019 gewählt worden war. Von 2014 bis 2019 hatte er das Land nach einem Staatsstreich als Chef einer Militärjunta regiert.

Die Proteste, die sich nach der Wahl 2019 entzündet hatten, konnte der Premierminister im vergangenen Jahr kleinhalten, da die Maßnahmen gegen die Pandemie auch ein Versammlungsverbot einschlossen. Doch trotz verschärfter Ausgangssperren halten sich die Demonstranten mittlerweile immer weniger an die Restriktionen. Tausende Menschen waren auch an diesem Wochenende auf den Straßen, forderten den Rücktritt des Ministerpräsidenten und zeigten den Drei-Finger-Gruß. Die Geste verbindet sie mit der Protestbewegung im Nachbarland Myanmar, wo ebenfalls ein General regiert.

Die Hoffnungen in das Misstrauensvotum waren groß

Bis zum vergangenen April war Thailand mit nur etwa einhundert Toten innerhalb eines Jahres eins der Musterländer, das mit seiner "No Covid"-Strategie die Zahlen hatte niedrig halten können. Dann kam die Delta-Variante, wie auch in den Nachbarländern Myanmar und Vietnam. Innerhalb der zurückliegenden fünf Monate steckten sich 1,2 Millionen Menschen in Thailand damit an, etwa 12 000 starben. Mitte August war die Zahl der Neuansteckungen bis auf 23 000 Fälle am Tag angestiegen, obwohl das Land bereits unter dem harten Lockdown ächzte.

Die Krankenhäuser waren rasch überlastet, es wurden Notlazarette eingerichtet. 97 Prozent der Neuansteckungen und 99 Prozent der Todesfälle wurden in den vergangenen fünf Monaten gezählt. Dafür wurde Ministerpräsident Prayut Chan-o-cha im Unterhaus gegrillt: Wieso die Impfkampagne erst so spät losgegangen und so schlecht geplant war.

Seit Juni wurden nur etwa zwölf Prozent der etwa 69 Millionen Thailänderinnen und Thailänder geimpft. Auf Phuket und Koh Samui ist die Bevölkerung fast vollständig immunisiert, weil hier das sogenannte Sandbox-Programm eingeführt wurde, bei dem sich Touristen ohne Quarantäne auf die Inseln begeben, dort testen und dann wieder heim- oder weiterreisen können. Der Tourismus war im vergangenen Jahr fast vollständig zusammengebrochen, die Wirtschaft um 6,1 Prozent zurückgegangen. Für dieses Jahr wurden die Prognosen noch weiter nach unten korrigiert. Immerhin wird das Sandbox-Programm auf fünf weitere Provinzen ausgedehnt, vom Start der Saison am 1. Oktober an. Dafür aber muss die Impfkampagne besser vorankommen.

Noch einen Totalausfall wie im vergangenen Jahr würden viele Hoteliers und Gastronomen nicht verkraften, von den Massagesalons, den Rotlicht-Bars, den Kampfarenen und Jet-Ski-Verleihern gar nicht erst zu sprechen. "Ich glaube, jeder fühlt die gleiche Hoffnungslosigkeit und den Zweifel darüber, wie sich unsere Wirtschaft davon erholen soll", hatte Pichai Naripthaphan, der Vizechef der oppositionellen "Pheu Thai"-Partei, vor der Debatte gesagt. Die Prognosen über Thailands Wirtschaftsentwicklung für dieses Jahr sind düster, "wir hoffen, dass diese No-Confidence-Debatte ein paar Änderungen bringt - entweder eine Umbildung des Kabinetts oder einen Rückzug einer der Koalitionsparteien - später."

Später vielleicht. Denn der Misstrauensantrag am vergangenen Samstag ist gescheitert. Der Ministerpräsident, sein Gesundheitsminister und vier weitere Kabinettsmitglieder überstanden die Abstimmung komfortabel mit 264 zu 208 Stimmen.

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