Es war einiges los am Donnerstag vor dem Anwesen der Familie Shinawatra in Bangkok, auf der ruhigeren Seite des Flusses. Hinter den hohen Mauern, die in der Nachbarschaft üblich sind, berieten sich die Spitzen der Pheu-Thai-Partei mit ihren Koalitionspartnern, wer der nächste Premierminister Thailands werden soll, nachdem das Verfassungsgericht den amtierenden Staatschef am Mittwoch seines Amtes enthoben hatte. Es sagt einiges über die Verhältnisse im Land aus, dass die Verantwortlichen dafür in das Haus des Ex-Premierministers und Multimilliardärs Thaksin Shinawatra, 75, fuhren, der offiziell gar keine Funktion mehr ausübt.
Der Patriarch selbst favorisierte wohl den 75-jährigen Justizminister Chaikasem Nitisiri, einen ehemaligen Generalstaatsanwalt. Am Ende aber setzten sich die Parteioberen und Koalitionspartner durch und einigten sich auf Paetongtarn Shinawatra, Thaksins 37 Jahre alte Tochter. Sie hatte als hochschwangere Kandidatin den Wahlkampf der Pheu-Thai-Partei im Jahr 2023 maßgeblich gestaltet und sie zur zweitstärksten Kraft gemacht.
Der alte Thaksin wird schon wissen, warum er seine Tochter nicht in diesem Amt haben wollte. Immerhin war er selbst von 2001 bis 2006 Premierminister Thailands, bis er durch einen Militärputsch abgesetzt wurde. Seine Schwester Yingluck wurde 2014 als Premierministerin ebenfalls abgesetzt.
Thaksin mobilisierte aus dem Exil seine Anhänger
Thaksin Shinawatra, reich geworden mit diversen Telekommunikationsunternehmen, musste ins Exil gehen. Er wurde wegen eines Verstoßes gegen die „Lèse-majesté“ angeklagt, das überaus scharfe Gesetz, das die Monarchie vor Kritik schützt. Dabei gilt Thaksin Shinawatra als Unterstützer der Monarchie, doch seine Pheu-Thai-Partei war angetreten, alte Monopole aufzubrechen und die Wirtschaft zu liberalisieren. Das ist in Thailand fast so gefährlich, wie die Monarchie zu kritisieren.
Aus dem Exil mobilisierte Thaksin seine Anhänger, was zur Protestbewegung der Rothemden wurde; sie erregten international Aufmerksamkeit, als sie sich Straßenschlachten mit den monarchistischen Gelbhemden lieferten. Nachdem Thaksin im vergangenen Sommer nach den Wahlen nach Hause gekommen war, vermuteten viele einen Deal zwischen ihm und der alten Machtelite. Er musste eine Nacht ins Gefängnis, durfte dann aber bis zu einer Verhandlung nach Hause. Seine Tochter postete ein Bild, das ihn am Pool seines Anwesens zeigte. Dazu schrieb sie: „Nachdem er 17 Jahre nicht zu Hause war, sitzt Papa einfach so draußen.“
Im Demokratie-Index rutschte das Land weiter ab
Gebraucht wurde Thaksin vermutlich, weil er seine Pheu Thai auch aus dem Exil im Griff behielt – und weil sie bei der Wahl im Mai 2023 die zweitstärkste Kraft wurde; hinter der Reformpartei „Move Forward“, die sich für eine Änderung der „Lèse-majesté“ einsetzte und ebenfalls gegen alte Monopole vorgehen wollte. Plötzlich erschienen Thaksin und seine Partei als das kleinere Übel. Die Pheu Thai wählte in einer großen Koalition mit zehn konservativen Parteien, die bei den Wahlen mit schlechten Ergebnissen abgestraft worden waren, den bis dahin in der Politik unbekannten Srettha Thavisin, 62, einen ehemaligen Immobilienunternehmer, zum Premierminister.
Doch Srettha Thavisin hielt sich nicht mal ein Jahr im Amt. Nachdem das Verfassungsgericht in Bangkok in der vergangenen Woche bereits geurteilt hatte, dass die Move-Forward-Partei aufgelöst werden muss, enthob es Srettha diesen Mittwoch seines Amtes. Das Gericht befand, dass Srettha „in grober Weise gegen ethische Standards“ verstoßen habe, als er Thaksins ehemaligem Anwalt Pichit Chuenban einen Kabinettsposten übertrug, obwohl dieser vorbestraft ist. „Die Regeln für eine demokratische Machtübergabe sind in Thailand eindeutig nicht etabliert oder akzeptiert, und die Justiz ist nicht unabhängig“, schrieben die Analysten der „Economist Intelligence Unit“ in diesem Frühjahr, als die neueste Version ihres Demokratie-Index erschien. Demzufolge verschlechterte sich Thailand noch mal um sechs Plätze auf Rang 63.
Sretthas Sturz löste am Donnerstag das Kommen und Gehen bei den Shinawatras aus. Denn schon am Freitag sollte der neue Kandidat oder eben die Kandidatin für die Parlamentsabstimmung feststehen. Es musste schnell gehen, bevor das Elf-Parteien-Bündnis unter Pheu Thai zerfällt. Zusammen verfügt es über 314 der 500 Sitze im Repräsentantenhaus – doch nur 141 davon gehören zu Pheu Thai. Und die ehemalige Move Forward, die sich nach dem Gerichtsbeschluss nun „People’s Party“ nennt und mit 143 Sitzen immer noch die größte Kraft im Parlament ist, signalisierte am Donnerstag, dass sie den Kandidaten der Pheu Thai nicht unterstützen und weiterhin die Opposition anführen werde. Trotzdem wird die nächste Premierministerin Thailands sehr sicher wieder Shinawatra heißen.