Es hat sich ein wildes Katz-und-Maus-Spiel auf den Straßen von Bangkok entwickelt, seitdem die Militärregierung in Thailand vergangene Woche den Notstand verhängt hatte. Die überwiegend jungen Demonstranten, die demokratische Rechte und eine Reform von Verfassung und Monarchie fordern, ließen bei ihren Protesten nicht erkennen, dass sie zurückschrecken würden vor der Härte des Staates. Sie verlegten ihre Versammlungsorte blitzschnell und machten es der Polizei auf diese Weise schwer, Proteste aufzulösen.
Schließlich versuchte Premier Prayuth Chan-ocha in einer Fernsehansprache am Mittwochabend mit versöhnlich klingenden Worten, kompromissbereit zu wirken. Er beschwor die Bürger, vom "Rand des rutschigen Abhangs" zurückzutreten. Er nahm dafür auch die Notstandsverordnung, die eigentlich einen ganzen Monat gelten sollte, nach weniger als einer Woche wieder zurück. Sie hatte ein Versammlungsverbot enthalten, das die Demonstranten in den vergangenen Tagen weitgehend ignorierten.
Die protestierende Jugend signalisierte, dass sie ihre Proteste nicht einstellen werde und antwortete auf Prayuths Rede mit einem Ultimatum. "Wenn er nicht innerhalb von drei Tagen zurücktritt, wird er wieder dem Volk begegnen", rief Patsaravalee Tanakitvibulpon über Mikrofon und Lautsprecher in die Menge, wie in einem geposteten Videoclip zu sehen war. Später wurde die 25-Jährige festgenommen, kam aber am Donnerstag wieder frei.
Tatsächlich gilt Prayuth, der nicht nur versucht, Demonstrationen einzudämmen, sondern auch um seine politische Zukunft bangen muss, seit einiger Zeit schon als angezählt. Zwar ist er seit dem Putsch 2014 das allgegenwärtige Gesicht der regierenden Armee, er hat sich einen zivilen Mantel umgeworfen. Doch er soll in Reihen der Armee und am Hof des Königs auch seine Widersacher haben, wie wiederholt durchsickerte. Für Prayuth geht es in diesen Stunden um sehr viel, ohne dass erkennbar wäre, wie er seine beiden Ziele noch erreichen könnte: die Lage zu beruhigen und zugleich sein Amt zu behalten.
Thailand:"Sie können uns nicht stoppen"
Junge Thailänder demonstrieren gegen das Militärregime, trotz Haftbefehlen und Einschüchterungsversuchen. Die führungslose Bewegung organisiert sich vor allem über soziale Medien.
Der Verlauf der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag jedenfalls ließ nicht erkennen, dass die Jugend Zugeständnisse machen will. Ihr Frust wird durch die schwierige Lage der Wirtschaft noch verstärkt, die nicht erst seit der Covid-19-Krise schwächelt und jungen Leuten kaum Perspektiven gibt. Unter Prayuth sei "ein Missmanagement der Ökonomie" zu beobachten gewesen, erklärte Thitinan Pongsudhirak, Politologe an der Chulalongkorn University in Bangkok. Ein Rücktritt des Premiers sei derzeit der leichteste Schritt, um die Lage zu entschärfen, sagte Thitinan in einem Videointerview. Doch dann stelle sich sofort die Frage: Was kommt danach? Thailand steuert in ungewisse Zeiten, zumal keiner abschätzen kann, wie sich der König in einer verschärften Krise verhalten wird.
Die Demonstranten hatten Mittwochnacht erneut den Amtssitz des Premiers umlagert, trotz Polizeiaufgebots wichen sie nicht zurück, durchbrachen Barrikaden. Zugleich berichtete die Bangkok Post über Kundgebungen in anderen Provinzen, wo Königstreue in Gelb aufmarschierten, um ihre Loyalität für das Königshaus zum Ausdruck zu bringen. Teils wurde bei den Versammlungen des 120. Geburtstags von Prinzessin Srinagarindra gedacht, der verstorbenen Großmutter des Monarchen.
Eine vielversprechende Partei wurde durch ein Gericht aufgelöst
Suthep Thaugsuban, der vor dem Militärputsch Straßenproteste gegen die demokratisch gewählte Regierung von Yingluck Shinawatra anführte, postete eine pathetische Botschaft, um Ultrakonservative zu mobilisieren: "Ich erweise allen meine Ehre, die ein großes Herz haben und die Nation, die Religion und die Monarchie über alles stellen." Kräfte im Umfeld des Hofes können noch immer viele Kräfte mobilisieren, was zeigt, wie tief der Graben geworden ist, der die Gesellschaft spaltet. Die Märsche der Königstreuen stehen in Kontrast zu jener Szene, die sich vergangene Woche in Bangkok zutrug, als Demonstranten der Königin Suthida in ihrer Limousine drei geschlossene Finger entgegenstreckten, das Zeichen des Widerstands aus dem Film "Die Tribute von Panem". Zwei festgenommenen Aktivisten droht deshalb lebenslange Haft.
Prayuth hat einer Sondersitzung des Parlaments Anfang nächster Woche zugestimmt, in der über Auswege diskutiert werden soll. Allerdings hat dies für die Demonstranten geringe Relevanz, weil sie sich vor allem durch die "Future Forward Party" des Milliardärs Thanathorn Juangroongruangkit vertreten fühlen. Sie verbuchte bei den Wahlen 2019 zwar großen Erfolg, wurde dann aber im Februar durch ein Gericht aufgelöst. Aus Sicht der protestierenden Jugend zeigte das von Prayuth geführte System damit sein wahres Gesicht als Unrechts- und Unterdrückungsregime.