Thailand:Ausgesetzt auf hoher See

Thailands Marine soll Motoren von Flüchtlingsbooten abmontiert und birmanische Flüchtlinge auf offener See gelassen haben. Hunderte der Flüchtlinge sind verschollen.

Oliver Meiler

Ein ungeheuerlicher Verdacht lastet auf Thailand. Die Erzählung der Opfer, die überlebt haben und diese Geschichte vor kurzem bekannt machten, hört sich so unmenschlich an, dass der thailändische Armeechef die Vorwürfe zunächst abstritt, noch bevor die Untersuchungen des Falls begonnen hatten.

Thailand: Die indische Küstenwache hat mehr als hundert Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet von Birma und Bangladesch aus höchster Seenot gerettet.

Die indische Küstenwache hat mehr als hundert Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet von Birma und Bangladesch aus höchster Seenot gerettet.

(Foto: Foto: AFP)

Im vergangenen Dezember soll die thailändische Marine 992 Flüchtlinge aus Birma auf einer Insel in der Andamanischen See aufgespürt und sie in ihren Schiffen zurück ins Meer gestoßen haben, jedoch ohne Motoren. Diese hatte die Marine angeblich abmontiert.

Versorgt wurden die Flüchtlinge nicht, obwohl Trinkwasser und Nahrung an Bord knapp waren. Nur zwei Säcke Reis und zwei Fässer Wasser wurde ihnen mitgegeben. Sie waren der See ausgeliefert.

Die indische Küstenwache rettete 107 der Flüchtlinge kurz vor Weihnachten vor den Andamanen. Ihr Zeugnis war der erste Hinweis auf den Fall. Am 7. Januar strandeten 193 Schiffbrüchige auf einer Insel vor Aceh in Indonesien. Wenige Tage später konnten 150 weitere Flüchtlinge auf der indischen Nikobaren-Insel Tillanchong an Land gehen.

Die Hälfte jener 992 Birmanen, die Thailand offenbar ohne Rücksicht auf internationales Recht abschob, gilt noch als verschollen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie tot sind. Alle stammten sie aus Birmas westlichem Arakan-Staat, der neu Rakhaing heißt, genauer: aus dessen nördlicher Grenzregion zu Bangladesch, wo die Rohingyas leben, eine kleine muslimische Minderheit, der rund 750.000 Menschen angehören.

Volk ohne Heimat

Es ist ein heimatloses Volk. Die schlechte Behandlung durch das Militärregime im mehrheitlich buddhistischen Birma, das sie nicht als eigenständige Ethnie betrachtet und schon gar nicht als Ureinwohner des Staates, sondern als illegale Einwanderer aus Bangladesch, treibt viele von ihnen in die Flucht, vorzugsweise in Staaten mit muslimischer Mehrheit: Pakistan, Saudiarabien, Indonesien, Bangladesch. Oder, wie wahrscheinlich in diesem Fall, nach Malaysia.

In Malaysia dürfen Rohingyas arbeiten, wenn sie denn einen Job finden. In ihrer Heimat verbietet man ihnen sogar, sich frei von einem ins andere Dorf zu bewegen. Dafür braucht es eine Bewilligung. Die Rohingyas haben keine Bürgerrechte, weder in Birma noch in Bangladesch. Birmas Militär ging seit der Unabhängigkeit 1948 oft mit brutalen Offensiven gegen seine vielen Minderheiten vor, so auch gegen die Rohingyas.

Es zerstörte Siedlungen, brannte Moscheen nieder und vertrieb Hunderttausende. 1992 zum Beispiel, nach der bisher letzten großen Militäroffensive, flüchtete fast ein Drittel der Rohingyas ins Nachbarland. Doch auch in Bangladesch sind sie nicht willkommen. Mehrere internationale Organisationen sind im Norden Arakans tätig, ohne deren Hilfe die Rohingyas kaum überleben könnten. So auch das Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR), das seit vielen Jahren auf die besondere Not des staatenlosen Volkes hinweist.

Vor einigen Tagen forderte das UNHCR die thailändische Regierung auf, dass sie ihm schnell Zugang gewähre zu einem Camp auf einer thailändischen Insel, in dem 126 Rohingyas vom Militär festgehalten werden sollen. Den Hinweis erhielten die UN von Menschenrechtsgruppen, die Thailand vorwerfen, es gehe systematisch gegen Rohingyas vor, die skrupellosen Abschiebungen seien nicht neu.

Als Grund für die Praxis vermuten sie die Sorge Bangkoks, dass es unter den Flüchtlingen solche haben könnte, die sich, wenn man sie passieren ließe, dem Aufstand islamistischer Gruppen im Süden Thailands anschließen würden. In den vergangenen Monaten strandeten laut thailändischer Armee mehr als 4000 Rohingyas an den Küsten des Landes.

Nutzlose Beweise

Thailands neuer Premierminister, Abhisit Vejjajiva, der sein Amt erst seit einigen Wochen innehat, versicherte, er werde dieser Angelegenheit mit aller Konsequenz auf den Grund gehen. Doch dem UNHCR will er vorerst nur einen bedingten Zugang verschaffen zu den 126 mutmaßlich festgehaltenen Flüchtlingen.

"Wir wollen schon mit den Vereinten Nationen kooperieren, doch zu unseren Bedingungen", sagte Abhisit, "sie sollten verstehen, dass jedes Land seine Probleme hat mit der Einwanderung". Er habe die Marine gebeten, ihm Fotomaterial zu unterbreiten, das ihren Umgang mit Migranten dokumentiere. Das Material stammt also genau von jener Einheit, die unter Verdacht steht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: