TerrorwarnungWas hinter der Absage von Faesers Syrien-Reise steckt

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Syriens neue Machthaber haben viele Gegner. Immer wieder gibt es Kämpfe zwischen regierungstreuen Kräften und Anhängern des alten Assad-Regimes.
Syriens neue Machthaber haben viele Gegner. Immer wieder gibt es Kämpfe zwischen regierungstreuen Kräften und Anhängern des alten Assad-Regimes. (Foto: Karam al-Masri/Reuters)

Weil Sicherheitsbehörden vor einem Attentat warnen, fliegen die Innenministerin und ihr österreichischer Amtskollege nicht nach Damaskus. Auch für die Asyldebatte in Deutschland könnte das Folgen haben.

Von Markus Balser und Sina-Maria Schweikle, Berlin

Um Sicherheitsfragen sollte es bei dieser Reise ja gehen. Aber nicht so. Eine Maschine der Luftwaffe sollte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), ihren österreichischen Amtskollegen Gerhard Karner (ÖVP) und die jeweiligen Delegationen am Donnerstagvormittag von ihrem ersten Reiseziel Jordanien weiter in die syrische Hauptstadt Damaskus bringen. Beide Minister wollten dort ausloten, wie sicher das Land ist und welche Perspektiven es für eine Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland gibt.

Es waren besorgniserregende Geheimdienstinformationen, die dann jedoch schon am Mittwochabend die jordanische Hauptstadt Amman erreichten. Faeser und Karner erfuhren, dass Sicherheitsbehörden einen Anschlag auf Ziele in Damaskus in den nächsten Tagen befürchteten. Deutsche Behörden glichen die Informationen ab und hielten die Warnung für plausibel. Man habe nicht ausschließen können, dass sich die Gefährdung auf die deutsche und österreichische Delegation direkt bezog, sagte ein Sprecher. „Die mögliche Bedrohung für die Delegation sowie die eingesetzten Sicherheitskräfte war nicht verantwortbar.“ Der Flug wurde kurzerhand gecancelt.

Noch-Außenministerin Baerbock hat neulich erst die Botschaft in Syrien wiedereröffnet

Bei dem Anschlagsszenario ging es offenbar nicht in erster Linie gegen den Westen oder speziell Deutschland. Eine regierungsfeindliche Gruppierung wolle offenbar versuchen, mit einem Anschlag gegen ein westliches Ziel das Regime der Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) zu schwächen, hieß es am Donnerstag. Das Ziel: zeigen, dass die Übergangsregierung der HTS die Lage im Land nicht im Griff habe. Sowohl Anhänger von Ex-Präsident Baschar al-Assad und ihre iranischen Verbündeten als auch sunnitische Islamisten könnten daran ein Interesse haben. Damit müssen etwa Botschaften um ihre Sicherheit fürchten. Offenbar erwägen mehrere europäische Länder, Personal abzuziehen.

Von Jordanien aus wollten Innenministerin Nancy Faeser und ihr österreichischer Amtskollege Gerhard Karner weiter nach Damaskus fliegen.
Von Jordanien aus wollten Innenministerin Nancy Faeser und ihr österreichischer Amtskollege Gerhard Karner weiter nach Damaskus fliegen. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Erst vor einer Woche war Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erneut nach Syrien gereist, um sich ein Bild von der Lage nach der Machtübernahme der HTS im Dezember zu machen, aber auch, um die deutsche Botschaft wiederzueröffnen.

Wie ist die Lage jetzt, nach dem Bekanntwerden möglicher Anschlagspläne? „Wir haben für unsere Botschaft Sicherheitsmaßnahmen, die jetzt greifen und die wir je nach Lageveränderung weiter anpassen“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Man habe von Anfang an gesagt, dass die Sicherheitslage in Syrien fragil sei und man auf eine Stabilisierung hinarbeiten müsse. Auch dafür hat das Auswärtige Amt eine einstellige Zahl an Diplomaten in Damaskus. Sie sollen vor Ort etwa zum Wiederaufbau des schwer zerstörten Landes beitragen.

Syrische Flüchtlinge zurückbringen? Das dürfte nicht einfacher werden

Die Anschlagssorgen rückten am Donnerstag auch die Asyldebatte in Deutschland in ein neues Licht. In ihren Koalitionsverhandlungen sprechen Union und SPD in Berlin gerade auch darüber, wie sich syrische Flüchtlinge bald zurückbringen lassen. „Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern“, heißt in einem Abschlusspapier der Arbeitsgruppe zum Thema Inneres, Recht und Migration. Derzeit trifft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wegen der noch immer gefährlichen Lage im Land keine Entscheidungen zu Asylanträgen von Menschen aus Syrien.

Faeser und Karner wollten mit dem Innen- und dem Außenminister der syrischen Übergangsregierung sprechen. „Insbesondere arbeiten Deutschland und Österreich intensiv daran, dass schwere Straftäter und Gefährder mit syrischer Staatsangehörigkeit schnellstmöglich wieder nach Syrien zurückgeführt werden können“, sagte ein Ministeriumssprecher am Donnerstag. Dies solle nun zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit der syrischen Übergangsregierung weiter erörtert werden. Allerdings zeige der Vorfall, „dass die Sicherheitslage in Syrien weiterhin fragil ist“.

Baerbock hatte vergangene Woche in Syrien bereits weitere humanitäre Hilfe und eine Lockerung der Sanktionen in Aussicht gestellt – allerdings unter Bedingungen. „Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich“, sagte Baerbock. „Dies ist aber auch mit klaren Erwartungen verbunden, dass Freiheit, Sicherheit und Chancen in Syrien für alle Menschen gelten – für Frauen und Männer, für Angehörige aller Ethnien und Religionen.“

Außenministerin Annalena Baerbock lässt sich bei ihrem Besuch in Damaskus vergangene Woche Bürgerkriegszerstörungen zeigen.
Außenministerin Annalena Baerbock lässt sich bei ihrem Besuch in Damaskus vergangene Woche Bürgerkriegszerstörungen zeigen. (Foto: Hannes P. Albert/dpa)

Man wolle den politischen Prozess dort unterstützen – dafür brauche man eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „als Augen und Ohren vor Ort“. „Eine Botschaft zu haben, heißt vor allen Dingen auch, Botschaften setzen zu können“, sagte sie.

Nach den möglichen Anschlagsplänen stellt sich die Frage aufs Neue, wie sich Deutschland und Europa in dem kriegszerrütteten Land engagieren können, das erneut in einen Bürgerkrieg abzugleiten droht. Vor wenigen Wochen hatte ein Massaker an Alawiten in der Küstenregion Latakia, ehemaliger Stammsitz der syrischen Präsidentenfamilie Assad, die selbst der alawitischen Glaubensgemeinschaft angehört, das Misstrauen gegen die Übergangsregierung der islamistischen HTS verstärkt.

Die Gräueltaten seien dramatisch und zeigten, „wie sehr das Land auf Messers Schneide steht“, sagte die scheidende Ministerin Baerbock bei ihrem Besuch in Damaskus. Deutschland habe ein Interesse an einem stabilen Syrien.

Assads Sturz ist erst ein paar Monate her, das neue Regime noch instabil

Was da gerade in Syrien passiert und welche Gegner Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa hat? „Es gibt Milizen im Land, die mit al-Sharaa gar nicht einverstanden sind“, sagt Naseef Naeem. Man erreicht den Verfassungsrechtler, Syrien- und Nahost-Experten gerade in Damaskus. Eine Woche war er in Syrien unterwegs, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

Al-Sharaa, sagt Naeem, sei zwar der starke Mann an der Spitze, „aber die Leute an der Basis werden noch lange machen, was sie wollen“. In der Diskussion um Syrien werde oft vergessen, dass der Sturz des syrischen Diktators Assad erst wenige Monate zurückliegt. „Wie soll und kann man in so kurzer Zeit einen Staat hierarchisch organisieren, der Befehlsstrukturen folgt und sich an Institutionen bindet?“, fragt Naeem.

Der De-facto-Herrscher müsse derzeit zu allen Mitteln greifen, um seine Macht und die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Zivilgesellschaft fürchtet, was auf sie zukommen könnte – nicht nur ein möglicher neuer Bürgerkrieg, sondern auch, dass die Sanktionen des Westens nicht gelockert werden, um die Energie- und Infrastruktur wieder aufzubauen. Das hat laut Naeem auch Auswirkungen auf die Machtbasis des HTS-Anführers al-Sharaa: „Solange kein Geld von außen kommt, muss er sehen, wie er seine Leute bezahlt“, sagt Naeem. Sonst würden diese weiter machen, was sie wollten, „und im schlimmsten Fall nutzen am Ende wieder externe Mächte wie Iran oder Russland das Vakuum, um sich in Syrien festzusetzen“.

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