Terrorverdacht:Wie sich ein deutscher Berufsoffizier als Bürgerkriegsflüchtling ausgab

Deutsch-Französische Brigade

Nicht aufgefallen: Der festgenommene Oberleutnant diente in den Reihen der deutsch-französischen Brigade im Elsass; im Bild ein Appell der Truppe.

(Foto: Marijan Murat/dpa)
  • Der deutsche Bundeswehrsoldat soll sich als syrischer Flüchtling ausgegeben haben und eine schwere staatsgefährdende Gewalttat geplant haben.
  • Eigentlich ist der 28-Jährige als Oberleutnant der Bundeswehr bei einem Jägerbataillon in Frankreich stationiert.
  • Sein Asylbegehren stellte er Ende 2015 in seiner Heimatstadt Offenbach unter dem Namen "David Benjamin".
  • Seit Beginn des Jahres 2016 sei er einer Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Landkreis Erding zugewiesen gewesen. Von da an bezog er auch staatliche Leistungen.

Von Christoph Hickmann und Ronen Steinke

Schon öfter haben deutsche Asylbehörden Kritik zu hören bekommen, weil sie angeblich zu leichtgläubig Menschen vertrauen würden, die sich als Syrer ausgeben. Einen derart kuriosen Fall aber gab es bisher noch nicht. Offenbar schon seit Anfang 2016 bezieht ein Mann monatliche finanzielle Leistungen aus der staatlichen Flüchtlingshilfe, obwohl er in Wahrheit weder Flüchtling noch Syrer ist. Sondern ein in Offenbach geborener und auch dort aufgewachsener Deutscher, ein aktiver Berufssoldat der Bundeswehr. Und, so glaubt zumindest die Frankfurter Staatsanwaltschaft: der Planer einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, möglicherweise gegen Ausländer gerichtet.

Erst am Mittwoch ließen die Strafverfolger den 28-Jährigen festnehmen, am Donnerstag gaben sie dies bekannt. Da hatte der Verdächtige sein Doppelleben schon mehr als ein Jahr lang führen können. Zwischen seinem Bundeswehrstandort und seiner Flüchtlingsunterkunft muss er mehrmals hin- und hergependelt sein. Doch weder seinem Arbeitgeber noch den diversen beteiligten Ausländerbehörden scheint das Spiel mit wechselnden Identitäten aufgefallen zu sein.

Der Mann gab sich als "David Benjamin" aus

Ermittler des Bundeskriminalamts werten jetzt Laptops und Handys aus, die sie am Mittwoch bei Durchsuchungen an 16 Orten in Deutschland, Frankreich und Österreich beschlagnahmt haben. Der Verdächtige hat allerlei fremdenfeindliche Sprüche mit Gesinnungsgenossen gewechselt. Dennoch rätseln die Ermittler, was genau er vorhatte mit den Schusswaffen, die bei einem mutmaßlichen Komplizen von ihm gefunden wurden, einem 24 Jahre alten Offenbacher Studenten.

Ob der 28-jährige Soldat einen Terrorakt syrischen Flüchtlingen in die Schuhe schieben wollte, um sie auf diese Weise zu diskreditieren, ähnlich wie zuletzt der BVB-Attentäter? Oder ob sich die Gewalt direkt gegen jene Flüchtlinge richten sollte, unter die er sich so ungehindert mischen durfte? Das sind offene Fragen. Die Flüchtlingsunterkunft jedenfalls war kein besonders gesicherter Ort. Um dort anzugreifen, hätte es nicht eines derart ausgefeilten Verwirrspiels bedurft.

Der Verdächtige ist als Oberleutnant der Bundeswehr bei einem Jägerbataillon stationiert. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung meldete er sich am 30. Dezember 2015 bei den Behörden in Offenbach mit einem Asylbegehren. Es war die Zeit, als täglich Tausende Flüchtlinge in Deutschland ankamen. Bei den Behörden herrschten Chaos und Improvisation, es gab wenig Zeit für Fragen.

Dort sei er zum ersten Mal als Flüchtling erkennungsdienstlich behandelt worden, heißt es aus Behördenkreisen. Er habe sich dort "David Benjamin" genannt, manchmal auch "Benjamin David". Offenbach, das ist die Stadt, in der er jahrelang zur Schule ging und im Verein ruderte - aber die Täuschung funktionierte. Von dort aus wurde er an eine Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen verwiesen und von dort weiter nach Bayern geschickt.

Er gab an, über die Balkanroute gekommen zu sein

Seit dem 14. Januar 2016 sei er einer Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Landkreis Erding zugewiesen, hieß es weiter. In Zirndorf bei Nürnberg soll er dann noch ein zweites Mal "erkennungsdienstlich behandelt" worden sein: Wieder nahm man Fotos, Fingerabdrücke und Personalien, wieder fiel niemandem etwas auf.

Im November 2016 sei der Mann als "David Benjamin" in Nürnberg im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) angehört worden. Die Anhörung war offenbar auf Französisch, da er angab, dass er kein Arabisch spreche, sondern nur Französisch. Seine Familie, soll er angegeben haben, sei französischer Abstammung, er sei syrischer Christ.

Der Mann hat dunkle Haare, das mag ihm bei der Täuschung genutzt haben. Aber sonst? Wie sich das Bamf derart austricksen lassen konnte, darüber herrschte am Donnerstag noch weithin Verblüffung. Einen nahöstlichen Migrationshintergrund hat der Verdächtige nicht. In seiner Asyl-Anhörung soll er angegeben haben, über die Balkanroute nach Deutschland gekommen zu sein, größtenteils zu Fuß. Dokumente habe er keine mehr.

Das Bataillon des 28 Jahre alten Offiziers gehört zur deutsch-französischen Brigade und ist in Frankreich stationiert, nahe Straßburg. Die Sprache, die er als vermeintlicher Syrer in seinem Zweitleben in Bayern sprach, war also dieselbe, die er, zurück im Dienst, auch mit seinen französischen Kameraden sprach. Französisch soll er perfekt beherrschen.

Waffe auf Wiener Flughafen entdeckt

Seit Januar 2016 bezog er staatliche Leistungen als syrischer Flüchtling in Bayern, zuletzt 409 Euro im Monat. Das Geld wurde auf ein Konto eingezahlt. Nach Angaben aus Behördenkreisen wurde die zugehörige Geldkarte ausschließlich im Raum Erding eingesetzt.

Terrorverdacht: SZ-Grafik

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Der Bundeswehr durch die Maschen zu schlüpfen, war wohl noch sein geringstes Kunststück: Schon wenige Urlaubs- und Wochenendtage dürften für alle Behördengänge als "David Benjamin" genügt haben. Auch in der Asylunterkunft konnte er frei kommen und gehen: Ein Wohnheim ist kein Gefängnis. Residenzpflicht bedeutet nicht, dass jemand überwacht wird, und bei Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive wie Syrern wird sie meist ohnehin nach ein paar Monaten aufgehoben.

Spätestens seit Anfang des Jahres aber scheint der Mann dunklere Pläne verfolgt zu haben. Ende Januar entdeckte ein Putztrupp im österreichischen Flughafen Wien-Schwechat eine geladene Pistole, Kaliber 7,65 Millimeter, versteckt in einem Putzschacht im Vorraum einer Toilette. Die Polizei behielt den Raum mit Kameras im Blick. Wenige Tage später, am 3. Februar, tappte ihr der 28-Jährige in die Falle. Von da an entwirrten Ermittler des Bundeskriminalamts und des Militärischen Abschirmdienstes seine Geschichte.

Was er in Wien der Polizei erzählte, waren überaus "illustre" Versuche, sich herauszureden, heißt es in Ermittlerkreisen. Als Grund, den Oberleutnant in Haft zu behalten, genügte es damals noch nicht.

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