Terrornetzwerk in Syrien:Jungbrunnen für Al-Qaida-Kämpfer

Die Aufständischen in Syrien kämpfen für ihre Freiheit. Doch seit Beginn des Revolte bezichtigt das Assad-Regime die Kämpfer, gemeinsame Sache mit Al-Qaida-Terroristen zu machen. Inzwischen mehren sich die Hinweise darauf, dass Kämpfer des Terrornetzwerkes tatsächlich versuchen, die Revolution zu einem Kampf zwischen Schiiten und Alawiten zu machen. Und zwar nicht nur in Syrien.

Markus C. Schulte von Drach

Wer gegen wen kämpft in Syrien, scheint nur auf den ersten Blick eindeutig: Aufständische wehren sich gegen die Unterdrückung durch Präsident Baschar al-Assad, seine Soldaten und Milizen halten dagegen. Doch die Hinweise mehren sich, dass Kämpfer des Terrornetzwerks al-Qaida sich zunehmend in den Bürgerkrieg einmischen und versuchen, die Revolte für ihre eigenen Ziele auszunutzen.

Damage are seen at the Damascus district of Qaboun

Den Aufständischen in Syrien zufolge spielen al-Qaida bei den Kämpfen keine große Rolle. Die Terroristen selbst behaupten etwas anderes.

(Foto: REUTERS)

Bislang weisen die Anführer der Freien Syrischen Armee, die vor allem aus übergelaufenen Soldaten besteht, es weit von sich, dass Terroristen der al-Qaida mit ihnen gegen das Assad-Regime kämpfen - umso mehr, als die Regierung in Damaskus dies bereits früh behauptet hatte, um die Aufständischen zu diskreditieren. Doch die wachsende Zahl der Selbstmordattentate sowie Statements von Führern der Terrorgruppe etwa in Videos, die im Internet verbreitet werden, sprechen dafür, dass sich die Jünger von Osama bin Laden tatsächlich zunehmenden in die Kämpfe in Syrien einmischen.

"Wir bilden nun Zellen von Selbstmordattentätern, um im Namen Gottes in den Heiligen Krieg zu ziehen", zitiert etwa die New York Times maskierte Kämpfer. Zwar bezeichnen sie sich selbst als Angehörige der Freien Syrischen Armee. Doch Sprache und Formulierungen, die ihr Sprecher verwendet, und zwei typische schwarze Flaggen, die mit weißer Schrift das islamische Glaubenbekenntnis wiedergeben, sprechen deutlich dafür, dass es sich hier um al-Qaida-Mitglieder handelt.

Bereits vor Monaten gab es Warnungen aus dem Ausland, dass tatsächlich al-Qaida-Kämpfer vom Irak aus nach Syrien eingedrungen sind. Insbesondere der "al-Nusra-Front", die Ende 2011 in Syrien gegründet wurde, sollen sich Bewaffnete angeschlossen haben. Sie behaupten sie selbst in Internetvideos, dass sie zuvor auf anderen Schlachtfeldern etwa in Aghanistan oder im Irak gekämpft haben. Bestätigt wurde dies jetzt von Iraks Ministerpräsident Nuri al-Maliki, dem zufolge die gleiche al-Qaida-Gruppe in Irak und Syrien aktiv ist.

"Die Zahl (der nach Syrien eingedrungenen Dschihadisten) war zu Anfang nur klein", sagte auch Alastair Crooke, ein britischer Experte und ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, kürzlich der BBC. "Aber ich denke, sie ist mit der Zeit gewachsen." Ein weiterer Hinweis ist, dass sich die al-Nusra-Front mehrfach zu Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten bekannt hat - zur Bestätigung des Assad-Regimes und zum Ärger der offiziellen syrischen Opposition.

A-Qaidas Kampf richtet sich gegen die Schiiten

Dass die syrischen Rebellen sich von den Terroristen distanzieren, hängt nicht nur damit zusammen, dass eine Zusammenarbeit mit al-Qaida in den westlichen Nationen nicht gut aufgenommen würde. "Die Syrer sind nicht aufgestanden, um einen Heiligen Krieg zu erklären", sagte etwa Wissam Tarif von der Organisation Avaaz in Syrien der BBC. "Sie sind aufgestanden, weil sie sich Freiheit wünschen, und ich glaube nicht, dass Muslimbrüder, Salafisten oder irgend ein anderes islamisches Modell ihnen die Freiheit bieten wird, für die sie seit 14 Monaten kämpfen."

Die Extremisten dagegen wollen zum einen wieder an Einfluss gewinnen. Zwar spielen sie eine wichtige Rolle in Ländern wie dem Jemen, Somalia und Mali. Für die Revolutionen in Tunesien und Ägypten aber waren sie ohne Bedeutung.

Dazu kommt, dass das Al-Qaida-Netzwerk seine Kämpfer unter sunnitischen Extremisten rekrutiert. Die Sunniten stellen in Syrien etwa drei Viertel der Bevölkerung, während die übrigen Syrer der schiitischen Sekte der Alawiten angehören, Kurden sind oder Christen. Tatsächlich sind neben der regulären Armee auch die berüchtigten Schahiba-Milizen an den Auseinandersetzungen beteiligt, die von jungen Alawiten gebildet werden.

Trotzdem sind die Aufständischen - jedenfalls offiziell - nicht religiös motiviert. Ihr Ziel ist kein islamischer Staat, sondern Freiheit und Demokratie.

Die al-Nusra-Front dagegen verfolgt eher jene Ziele, die ein irakisches al-Qaida-Mitglied der New York Times jetzt erklärt hat: "Unsere große Hoffnung ist es, einen syrisch-irakischen islamischen Staat für alle Muslime zu bilden, dann Iran und Israel den Krieg zu erklären und Palästina zu befreien."

Hilfe aus dem Westen - oder von den Dschihadisten

Dass al-Qaida ausgerechnet der islamischen Republik Iran den Krieg erklären will, hängt damit zusammen, dass dort fast 90 Prozent der Bevölkerung Schiiten sind. Die Alawiten - al-Qaidas Hauptgegner in Syrien - sind eine Abspaltung der Schia, der schiitischen Konfession, was das gute Verhältnis zwischen dem Regime des Alawiten Assad mit Teheran erklärt. Für die sunnitischen Fundamentalisten der al-Qaida aber gelten Schiiten und Alawiten nicht als wahre Muslime.

Das erklärt auch, wieso al-Qaida nun versucht, nicht nur erfahrene Kämpfer nach Syrien einzuschleusen, sondern auch im Irak Vorteile aus der Auseinandersetzung im Nachbarland zu ziehen. So bezeichnete ein Sprecher des Terrornetzwerks im Irak den Konflikt in Syrien im Internet als Jungbrunnen für seine Kämpfer.

Den Aufstand, der dort vor allem von Sunniten getragen wird, nutzte er als Gelegenheit, auch sunnitische Stämme in Irak zum Aufstand gegen die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad aufzurufen. Tatsächlich steht Iraks Ministerpräsident Nuri al-Maliki nicht gerade für eine ausgeglichene Machtverteilung zwischen Sunniten und Schiiten, die etwa 60 Prozent der Bevölkerung stellen. Und wie prekär die Situation im Irak noch immer ist, hat gerade erst die Anschlagsserie gezeigt, der mehr als 80 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Noch beteuern die Anführer der Aufständischen in Syrien, dass al-Qaida keine Rolle für ihren Kampf spielt. Noch, so erklärte ein hoher Offizier der Freien Syrischen Armee der BBC, kämpften seine Truppen für Demokratie, nicht für die Scharia. Wenn aber der Westen nicht helfe, könnten die Dschihadisten an Einfluss gewinnen.

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