Süddeutsche Zeitung

Terrormiliz "Islamischer Staat":Erdoğan rechnet mit IS-Sieg in Kobanê

  • IS-Milizionäre rücken weiter in Kobanê vor, mittlerweile kämpfen sie im Südwesten der Stadt. Der Widerstand der Kurden droht zu brechen - in dem Fall stünde der "Islamische Staat" hier direkt an der türkischen Grenze.
  • Türkischer Präsident Erdoğan spricht von Fall der Stadt - und setzt kurdische PKK mit IS gleich.
  • US-Streitkräfte fliegen Angriffe auf die Stellungen der Islamisten in der Stadt.
  • Im Kampf um Kobanê sind in den vergangenen drei Wochen mindestens 400 Menschen getötet worden.
  • Linke-MdB drängen auf Einsatz von Militär unter UN-Mandat.

Erdoğan rechnet mit IS-Sieg in Kobanê

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan befürchtet die baldige Einnahme der syrischen Stadt Kobanê durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). "Kobanê ist dabei zu fallen", sagte er vor Flüchtlingen in der südosttürkischen Stadt Gaziantep nach Angaben der staatsnahen Nachrichtenagentur Anadolu. Erdoğan kritisierte die Angriffe der USA und ihrer Alliierten aus der Luft als unzureichend. "Nur durch Luftangriffe können sie diesem Terror kein Ende setzen." Er forderte erneut die Bildung einer Schutz- und einer Flugverbotszone in Syrien. Moderate Kämpfer der Opposition in Syrien müssten gestärkt werden.

Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu erklärte, die Türkei sei "zu allem" im Kampf gegen die IS-Extremisten in Syrien bereit, stellte aber Bedingungen. Notwendig sei eine abgestimmte Strategie gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad, sagte Davutoğlu dem US-Nachrichtensender CNN.

Das türkische Parlament hatte in der vergangenen Woche einen Militäreinsatz gegen die Extremisten in Syrien genehmigt. Ankara hat Truppen an der Grenze zusammengezogen und Panzer aufgefahren.

Die Verteidiger Kobanês haben enge Kontakte zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, gegen die die türkische Regierung jahrelang gekämpft hat. Auch deshalb scheint Erdoğan mit einem Einsatz eigener Truppen in Kobanê zu zögern. Bei dem Auftritt vor den Flüchtlingen machte Erdoğan klar, was er von der PKK hält: "So, wie die Türkei gegen die Terrororganisation Isis (IS) ist, so ist sie auch gegen die Terrororganisation PKK."

IS-Dschihadisten rücken in Kobanê weiter vor

Die radikale IS-Miliz ist nach Angaben der Syrischen Beobachterstelle für Menschenrechte weiter in die schwer umkämpfte Kurden-Stadt Kobanê (arabischer Name: Ain al-Arab) eingerückt. Im Südwesten der syrischen Grenzstadt hätten die Islamisten mehrere Gebäude erobert, teilte die in London ansässige Organisation mit. Im Osten der Grenzstadt wehten zudem zwei Fahnen des "Islamischen Staats" (IS), wie Journalisten von der türkischen Seite der Grenze aus beobachten konnten.

Am Montag hat die Terrormiliz nach heftigen Kämpfen bereits drei Stadtviertel im Osten von Kobanê erobert, eine Industriezone und zwei Wohnviertel. Mustafa Bali von der kurdischen Mediengruppe "Freie Medienunion" sprach von massiven Straßen- und Häuserkämpfen. Kurdische Volksschutzeinheiten würden sich den Extremisten in östlichen Gebieten der Stadt entgegenstellen und Zivilisten zur nahe gelegenen türkischen Grenze in Sicherheit bringen. Die Dschihadisten seien mit Panzern vorgerückt und setzten darüber hinaus Autobomben ein. Kurdische Politiker hatten wenige Stunden zuvor die internationale Gemeinschaft zum Handeln aufgerufen und vor einem Massaker gewarnt.

US-Streitkräfte fliegen Angriffe im Südwesten der Stadt

Die US-geführte Koalition im Kampf gegen die Dschihadistengruppe hat neue Luftangriffe gegen Stellungen der Extremisten in Kobanê geflogen. Dabei wurden Ziele im Südwesten der Kurdenstadt getroffen. Damit will die Allianz die Kurden unterstützen, die sich derzeit in Kobanê den Dschihadisten entgegenstellen. Nach Angaben aus der Grenzstadt sind dies derzeit 5000 kurdische Kämpfer.

Trotz deren heftiger Gegenwehr rücken die Dschihadisten seit Tagen unhaufhaltsam vor. Sie haben bereits mehr als 300 Döfer im Umland der Stadt eingenommen. Etwa 160 000 Menschen flohen in die Türkei. Die kurdischen Volksschutzeinheiten erklärten Kobanê nach Angaben eines Sprechers zur "Militärzone" und brachten die noch in der Stadt gebliebenen Zivilisten in Richtung der Grenze im Norden.

Linke-MdB drängen auf Einsatz von Militär unter UN-Mandat

14 Politiker der Linkspartei fordern für den Verteidigungskampf der Kurden in der nordsyrischen Enklave Kobane "militärische Unterstützung und Kooperation". Das berichtet das früherere SED-Blatt "Neues Deutschland" unter Verweis auf eine ihr vorliegende Erklärung der Parlamentarier. Die Unterzeichner, unter ihnen Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und Fraktions-Vizevorsitzender Dietmar Bartsch, sprechen demnach davon, dass sich der UN-Sicherheitsrat "nun endlich hinter seinem Generalsekretär Ban Ki Moon versammeln und umgehend zusammentreten" müsse, "um über eine gemeinsame Antwort gemäß der UN-Charta zur Wahrung der internationalen Sicherheit zu beraten und zu entscheiden". Es sei seine Verantwortung und seine Pflicht, "zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um die Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken".

Weitere Unterstützer der Erklärung sind der Obmann im Außenpolitischen Ausschuss des Bundetages Stefan Liebich und der Fraktionsvizevorsitzende Jan Korte. In ihrem Parteiprogramm fordert die Linke das Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr, auch aller deutscher Beteiligungen an UN-mandatierten Militäreinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta.

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