Süddeutsche Zeitung

Terrormiliz auf dem Vormarsch:Was den IS so stark macht

  • Der Terrormiliz Islamischer Staat sind innerhalb kürzester Zeit entscheidende Eroberungen gelungen.
  • Die Dschihadisten sind oft besser ausgerüstet als ihre Gegner und suchen den Tod. Das macht den Kampf gegen sie besonders schwierig.
  • Das Militär im Irak und in Syrien ist schwach. Ein schneller Sieg gegen den Islamischen Staat ist unrealistisch, Luftangriffe können die Terrormiliz nicht ausreichend schwächen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Das Timing hätte kaum schlechter sein können. Die Strategie der internationalen Koalition und der irakischen Sicherheitskräfte, um die Terrormiliz Islamischer Staat zu besiegen und ihr Kalifat wieder aufzulösen, sei "klar und auf gutem Wege" sagte US-Brigadegeneral Thomas D. Weidley am 15. Mai. Der Kommandeur der Operation Inherent Resolve hatte Journalisten per Telefonkonferenz über die Situation unterrichtet, nachdem es schiitischen Milizen zusammen mit der irakischen Armee und sunnitischen Stammeskämpfern nur Wochen zuvor gelungen war, Tikrit als erste irakische Großstadt vom IS zu befreien. Danach hatte Premier Haidar al-Abadi eine Offensive angekündigt, um die ganz überwiegend von Sunniten bewohnte Provinz Anbar zurückzuerobern.

Ramadi sei weiter umkämpft, sagte der General, die Koalition sei dort und in der Gegend um das nahegelegene Falludscha in den vergangenen vier Wochen mehr als 160 Luftangriffe geflogen. Das war ziemlich untertrieben.

Kein schneller Sieg gegen den IS in Sicht

In der folgenden Nacht nahm der Islamische Staat die Hauptstadt von Anbar ein. Sechs Tage später sollte den Extremisten auch die strategisch bedeutende Stadt Tadmur in Syrien in die Hände fallen - und mit ihr die Ruinen von Palmyra, Unesco-Weltkulturerbe von unschätzbarem Wert, dem jetzt die Zerstörung droht.

Über Wochen sah es so aus, als häuften sich die militärischen Niederlagen für den Islamischen Staat, als würden die finanziellen Ressourcen des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi dahin schmelzen, weil die Einnahmen aus Ölverkäufen zurückgehen. Als gebe es Hoffnung, dass bald weitere Teile Iraks befreit werden könnten.

Nun scheinen die Dschihadisten in schneller Folge bedeutende Siege zu feiern. Die Situation allerdings ist komplexer. Sie unterscheidet sich zwischen Syrien und Irak - und in Irak von Provinz zu Provinz. Klar ist allerdings auch: Ein schneller Sieg gegen den Islamischen Staat ist nicht zu erwarten, und Luftangriffe allein können die Terrormiliz nicht entscheidend schwächen.

Die Dschihadisten haben oft die besseren Waffen

In Ramadi war die Lage seit Längerem brenzlig; einen ersten Vorstoß, den der Islamische Staat im Schutze eines Sandsturms Anfang Mai gewagt hatte, hatten die in der Stadt stationierten Einheiten der irakischen Regierung noch mit Mühe und Not zurückschlagen können. Zehntausende Bewohner flohen dennoch aus der Gegend, nachdem Gerüchte die Runde machten, die Stadt würde fallen. Zwei Wochen später attackierte der IS erneut im Schutze eines schweren Sandsturms, der selbst für moderne Drohnen undurchdringlich ist und Luftangriffe unmöglich macht.

Mit schweren Autobomben, gefahren von Selbstmordattentätern, sprengten sie sich durch die Befestigungen der Verteidiger. Die zogen sich nach schweren Gefechten und Verlusten entgegen ihrer Befehle aus der Stadt zurück - die Munition wurde knapp, und die Soldaten und Polizisten wussten nur zu gut, welches Schicksal ihnen drohte, wenn sie den Schergen des Kalifen in die Hände fielen.

Die Asymetrie des Kampfes liegt nicht nur darin, dass die Dschihadisten oft die besseren Waffen und die bessere Ausrüstung haben. Sie suchen den Tod geradenach. Sie nehmen auf humanitäre Erwägungen keinerlei Rücksicht, noch schonen sie Infrastruktureinrichtungen. Sie können deswegen oft länger durchhalten. Die Soldaten dagegen kämpfen um ihr Leben und sollen unnötige Zerstörung möglichst vermeiden, zudem räumen selbst die Amerikaner ein, dass die Logistik der irakischen Armee "sehr problematisch" ist.

Was als schwere Niederlage für Premier Haidar al-Abadi und die Amerikaner gewertet wurde, nahm allerdings zumindest ein Teil der mächtigen schiitischen Fraktionen in Bagdad sehenden Auges in Kauf. Sie hatten verhindert, dass die sunnitischen Stämme in Anbar Waffen erhielten, wie es Abadi versprochen hatte. Letztlich sah sich Abadi gezwungen, dem Provinzrat die Zustimmung zum Einsatz der Schiiten-Milizen in Anbar abzuringen - was er zuvor im Einklang mit wichtigen sunnitischen Stammesführern und den Amerikanern zu verhindern versucht hatte.

Die Befürchtung ist, dass es zu Rachemorden und Plünderungen kommt, die nur weiter die Spaltung des Landes entlang ethnischer und konfessioneller Linien vertieft. Viele schiitische Politiker, die oft eng mit Iran verbunden sind, wollen aber in erster Linie verhindern, dass die Sunniten wieder erstarken und die Amerikaner ihren Einfluss ausbauen. Schon bei der Befreiung Tikrits hatten die Milizen Abadi de-facto vor vollendet Tatsachen gestellt. Ihm blieb am Ende nichts mehr, als sich an die Spitze der Offensive zu stellen.

Die irakischen Sicherheitskräfte allein sind aber derzeit militärisch und logistisch nicht in der Lage, eine größere Operationen in Anbar oder Niniveh ohne Unterstützung durch die sogenannten Volksmobilisierungseinheiten zu führen. Die Amerikaner bilden zwar neue Verbände aus, bisher aber haben nur knapp 6000 Mann dieses Training absolviert. Zunehmend unwahrscheinlich wird daher eine Offensive zur Rückeroberung von Mossul noch in diesem Jahr, der zweitgrößten Stadt des Landes. Es ist nicht so sehr die Stärke des Islamischen Staates, die Schwäche der irakischen Armee ist das größte Problem.

Geschwächtes Militär im Irak und in Syrien

Auch in Tikrit machten 20 000 schiitische Milizionäre und ihre iranischen Berater den entscheidenden Unterschied, nicht die 3000 Soldaten oder die 1000 sunnitischen Stammeskämpfer, die ebenfalls an der Operation beteiligt waren. Zahlenmäßig ums Doppelte überlegen, brauchten die regierungstreuen Kämpfer dennoch sechs Wochen und die Unterstützung durch Luftschläge, um den IS aus der Stadt zu vertreiben. Derzeit toben weiter heftige Kämpfe um Ölfelder und eine Raffinerie nördlich von Tikrit.

In Syrien ist die Armee des Regimes nach vier Jahren Bürgerkrieg überdehnt, die Moral niedrig. Aber auch hier werden die Truppen eher fliehen, als zu riskieren, dem Islamischen Staat in die Hände zu fallen. In Palmyra war das so. Das Regime sah den Fall der Stadt zuletzt offenbar als unvermeidlich an, verlegte Gefangene aus dem Folterknast in Tadmur in andere Gebiete.

Armee-Einheiten waren schon im März abgezogen und in die Provinz Idlib verlegt worden, um dort einen Vorstoß einer Allianz der mit al-Qaida verbündeten Nusra-Front und gemäßigter Rebellen abzuwehren. Diese rückten auf die Qalamun-Berge vor und kamen damit dem alawitischen Kernland im Küstenstreifen um Latakia gefährlich nahe. Inzwischen wurden sie von der Hisbollah zurückgeschlagen, das Regime ist zunehmend auf die Hilfe schiitischer Milizen angewiesen. Aber der Vorstoß in Idlib zwang das Regime, Prioritäten zu setzen - Palmyra war dabei nachrangig.

Assads Untätigkeit rächt sich

Es rächt sich nun, dass Assad den Islamischen Staat solange gewähren ließ, wie er nur Rebellen-Gruppen bekämpfte. Tadmur war die erste Stadt überhaupt, die das Regime direkt an die Dschihadisten verloren hat; die anderen Gebiete, inzwischen die Hälfte des syrischen Territoriums, hatte der Islamische Staat ungehindert von Assads Truppen, gemäßigten Rebellen abgenommen. Luftangriffe fliegen die Amerikaner und ihre Alliierten in Syrien zudem überwiegend in von Kurden kontrollierten Gebieten, um Kader des Islamischen Staates zu töten oder Einrichtungen wie mobile Raffinerien zu zerstören.

Die Dschihadisten haben sich zudem längst angepasst. Sie fahren nicht mehr in langen Konvois durch die offene Wüste, sondern versuchen sich in den Dörfern und Städten zu verschanzen, um kein Ziel zu bieten. Alleine mit Luftangriffen Territorium zurückerobern oder auch nur zu halten, ist so gut wie unmöglich. Oft aber fehlt es abgesehen von kurdischen Einheiten sowohl in Irak als auch in Syrien an Partnern, deren Truppen am Boden dazu in der Lage wären.

Jüngere Studien zeigen zudem, dass der IS finanziell nach wie vor große Reserven hat. Er ist nur zu geringen Teilen auf Erlöse aus dem Ölverkauf angewiesen ist und finanziert sich überwiegend aus Steuern und Schutzgeldern. Zudem erbeutet er immer wieder große Waffenlager, so offenbar auch in Ramadi und Tadmur. In Tikrit hat der Islamische Staat schwere Verluste erlitten, Hunderte, wenn nicht Tausende Kämpfer verloren und auch schwere Waffen. Doch diese Niederlage in Salaheddin schwächte ihn nicht entscheidend in Anbar oder in Syrien.

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