Süddeutsche Zeitung

Terroristen im Jemen:Ein Dörfchen namens al-Qaida

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Der Weg in den bewaffneten Kampf führt über den Jemen: Dort lassen sich seit Jahrzehnten deutsche Terroristen ausbilden - einst die RAF, heute junge Islamisten.

Hans Leyendecker

Abdulelah Hider Shaea ist ein jemenitischer Journalist mit guten Drähten zu den Gotteskriegern von al-Qaida. Er kommt auch an die Großen ran. Vor ein paar Monaten sprach er mit Nasser al-Wuhayshi. Jenem Wuhayshi, der Privatsekretär Osama bin Ladens gewesen sein soll und der von vielen westlichen Nachrichtendiensten gejagt wird, weil er seit 2009 der Anführer der aus Saudis und Jemeniten gebildeten AQAP-Filiale der Terrorholding auf der arabischen Halbinsel ist. Bei dem Treffen, berichtete der Journalist, habe er etliche europäische Muslime gesehen, unter ihnen auch einige aus Deutschland.

Im September dieses Jahres fand in fünf Bundesländern eine Razzia der Sicherheitsbehörden gegen angebliche radikale Islamisten statt. Sie stehen im Verdacht, für ein islamistisches Zentrum im jemenitischen Dammaj zu werben, das angeblich enge Kontakte zur al-Qaida unterhält. Angeblich gehört ein militärisches Ausbildungslager zur Schule. Immer wieder sollen sich ausländische Koranschüler dem Dschihad anschließen. Die Koranschulen im Jemen seien "besonders radikal", sagt ein Sprecher der Karlsruher Bundesanwaltschaft.

Wenn nette junge Leute von nebenan plötzlich in den Heiligen Krieg ziehen wollen, führen nicht selten ihre Spuren in den Jemen. Der Bonner Mounir C. etwa, der einst als Sachbearbeiter beim Statistischen Bundesamt tätig war und Rentnerinnen unaufgefordert die Tasche trug, trat im vergangenen Jahr in Werbefilmchen der al-Qaida als Abu Ibraheem auf. Er soll über den Jemen Richtung Front gereist sein. Auch sein Bruder Yassin, der sich jetzt Abu Ibrahim nennt, ist mit in den Kampf gezogen.

Seit Jahrzehnten ist der Jemen, eines der ärmsten und archaischsten Länder der Welt, ein Hort für deutsche Terroristen. Vor gut einem Jahr wurde im Fernsehen der Dokumentarfilm "Mogadischu" gesendet.

Er begann im Jemen: Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) ballerten in einem jemenitischen Terrorcamp mit Maschinenpistolen. "Das sind einfach Schweine" sagte einer der Ausbilder. "Aber nützliche Schweine" antwortete ein anderer.

Die einst mit der RAF verbündete palästinensische Terrororganisation PFLP-SC (das Kürzel stand für "Special Command"), die ihre Kriegskasse mit der Erpressung westlicher Fluggesellschaften füllte, unterhielt im Südjemen ein Ausbildungscamp.

Dort trainierten seit den siebziger Jahren Angehörige der RAF, der Bewegung 2. Juni, der Revolutionären Zellen sowie baskische, irische und sogar holländische Terroristen. Als nach der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz Mitte der siebziger Jahre inhaftierte deutsche Extremisten freigepresst wurden, ließen sie sich in den Südjemen nach Aden ausfliegen.

Zu der Gruppe gehörte die damalige Terroristin Verena Becker, die im Frühjahr wegen der Beteiligung an der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback und dessen beiden Begleiter angeklagt werden soll. Die zweite Generation der RAF, die damals von dem Anwalt Siegfried Haag angeführt wurde, reiste im Sommer 1976 zum Terrortraining nach Aden. Dort war auch der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock, der jetzt der Hauptbelastungszeuge im Fall Becker ist.

Im Lager wurde die so genannte "Offensive 77" ausgeheckt, deren Ziel vor allem die Befreiung (Tarnbezeichnung: "Big Raushole") der in Stammheim inhaftierten RAF-Führer war. Auch der Anschlag auf Buback soll in Aden geplant worden sein. Damals präsentierten die PFLP-Leute ihren westdeutschen Gästen vertrauliche Dokumente von Interpol und Bundeskriminalamt mit dem Ermittlungsstand in Sachen RAF. Die Stasi hatte die Unterlagen von Agenten in Westdeutschland erhalten und sie an die Regierung des Südjemen weitergereicht.

Die "Offensive 77" scheiterte, die Gefangenen in Stammheim begingen Selbstmord, aber der Jemen blieb der Rückzugsraum der RAF. Beispielsweise saß Brigitte Mohnhaupt, die zeitweise eine zentrale Rolle in der Bande innehatte, mal kurze Zeit auf dem Balkan ein. Sie kam dann frei und flog in den Jemen. Auch Christian Klar, der nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft einer der Buback-Mörder war, hielt sich zeitweise im Jemen auf. Er soll dort das Schießen mit der Panzerfaust gelernt haben. Die Zahl der deutschen Terroristen, die in den Jemen zogen, lässt sich selbst mit Hilfe von Stasi-Unterlagen und alten Ermittlungsakten des BKA nicht mehr genau feststellen. Fast alle, die zwischen 1975 und 1990 den Finger am Abzug hatten, waren mal im Jemen gewesen.

Im Mai 1990 wurde die Vereinigung von Nord- und Südjemen proklamiert. Den Sowjets, die den sozialistischen Süden unterstützt hatten, war das Geld ausgegangen. Der gesamte Osten implodierte. Trotz aller Turbulenzen blieb der Jemen ein Ruheraum für selbsternannte Revolutionäre wie den "dienstältesten und erfolgreichsten deutsche Terroristen" (Bundeskriminalamt), Johannes Weinrich, Deckname "Steve", der viele Jahre der Adjutant des Top-Terroristen Carlos, genannt der "Schakal" war: Morde, Geiselnahmen, Raketenattacken, Bombenattentate sind mit dem Namen Carlos verbunden, und Weinrich war seine rechte Hand. Carlos war ein miserabler Schütze. Im Jemen zerballerte er mal den einzigen Wassertank im Lager.

Zwanzig lange Jahre stand Weinrich auf deutschen Fahndungslisten. Im September 1992 musste er sein langjähriges Asyl in Damaskus aufgeben und ging in den Jemen zurück, wo er sich früher häufig aufgehalten hatte. Weinrich, der einst mit den Geheimdiensten von Ostberlin, Budapest und Belgrad eng verbandelt war, hatte im Jemen noch Freunde aus revolutionären Tagen.

Die deutsche Botschafterin in Sanaa erklärte dann im Mai 1995 den Jemeniten, die Deutschen hätten weiterhin ein wirklich großes Interesse an der Festnahme von Weinrich. Staatspräsident Ali Abdullah Saleh, der seit 1978 an der Macht ist und sich einmal jährlich in Deutschland medizinisch untersuchen lässt, teilte kurz darauf mit, Weinrich sei in einem Haus in Sanaa verhaftet worden. Sofort holte ihn eine Sondermaschine der Bundeswehr im Jemen ab; ihm wurde in Berlin der Prozess gemacht. Fünf Jahre später wurde der Mitbegründer der Revolutionären Zellen und Carlos-Adjutant zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Die alten Wirrköpfe der RAF und die Hochstapler der Revolutionären Zellen sind während ihrer Jemen-Aufenthalte manchmal in ein Dörfchen gefahren, das nahe der Stadt Tais liegt. Es heißt al-Qaida - genau wie das Terrornetzwerk, in dem sich jetzt junge Fanatiker wie die Bonner Brüder Yassin und Mounir C. verfangen haben.

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SZ vom 02.01.2010
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