Süddeutsche Zeitung

Terrorismus:Verschlossene Augen

Die Grünen monieren einen mangelnden Aufklärungswillen im Fall Amri. Sie fordern einen Untersuchungsausschuss: der sei zwingend- "eigentlich".

Von Stefan Braun, Berlin

Im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri üben die Grünen scharfe Kritik an dem aus ihrer Sicht mangelnden Aufklärungswillen der Behörden und der Koalition. Nachdem das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages die Prüfung der Fehler und Versäumnisse im Umgang mit Amri weitgehend abgeschlossen hat, werfen die Innenexperten der Grünen, Konstantin von Notz und Irene Mihalic, Union und SPD vor, sie würden bewusst die Augen vor Ungereimtheiten verschließen, weil sie sich im Wahljahr politisch nicht schaden wollten. Angesichts vieler unbeantworteter Fragen sei das inakzeptabel, betonte von Notz. Mit Blick auf einen Untersuchungsausschuss des Bundestages sagte der Innenexperte, ein solcher sei "eigentlich zwingend". Die Einschränkung "eigentlich" bezieht sich auf die Tatsache, dass es knapp sechs Monate vor einer Bundestagswahl kaum noch Chancen auf einen Ausschuss geben dürfte - zumal Grüne und Linke im Bundestag dafür die Unterstützung aus der Koalition bräuchten. Das ist angesichts des aufziehenden Wahlkampfs nicht zu erwarten.

Gleichwohl treibt die Grünen der Verdacht um, dass die Landes- und Bundesbehörden Anis Amri deshalb so lange unbehelligt gewähren ließen, weil sie hofften, über ihn, seine Kontakte und Telefonate weitere Informationen über die islamistisch-extremistische Szene in Deutschland zu erhalten. Aus Sicht der Grünen würde das erklären, warum Amri trotz zahlreicher Straftaten und der Einstufung als sogenannter Gefährder nicht belangt und nicht abgeschoben wurde.

Dass Amri vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen als sogenannter Nachrichtenmittler beobachtet wurde, ist inzwischen unstrittig. Nach Auskunft des Unionspolitikers Clemens Binninger gibt es aber keinen Beleg dafür, dass Landes- oder Bundesbehörden deshalb die Hand über Amri gehalten hätten. Aus Koalitionskreisen hieß es am Donnerstag, die den Fall überprüfende Task Force des PKGr habe die beteiligten Kriminalämter und Geheimdienste offen mit diesem Verdacht konfrontiert - und diese hätten allen diesbezüglichen Vermutungen dezidiert widersprochen. Nach Ansicht der Unionsvertreter im PKGr zeige der Fall Amri vor allem, dass die Kooperation zwischen Landes- und Bundesbehörden durch das Hin- und Herschieben von Verantwortung bis heute nicht gut funktioniere.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3443693
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.03.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.