Süddeutsche Zeitung

Terrorismus:Opferanwältin verteidigt Angeklagten im NSU-Prozess

  • Die Anwältin der Schwester des NSU-Mordopfers Süleyman Tasköprü sieht keine Grundlage für eine Verurteilung von Ralf Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord.
  • Die Opferanwältin erhebt stattdessen Vorwürfe gegen andere Opferanwälte.
  • Rassismusvorwürfe gegen Ermittler seien unzutreffend und reproduzierten die Botschaft des NSU, sagt sie.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

"Unfassbar" nennen es die einen, "mutig" die anderen. Ein bislang einmaliger Vorgang ist es jedenfalls, dass eine Opferanwältin in ihrem Plädoyer im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München einen Angeklagten verteidigt und andere Opferanwälte verbal angreift. Die Hamburger Anwältin Angela Wierig vertritt eine Schwester von Süleyman Tasköprü.

Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt töteten den 31-Jährigen am 27. Juni 2001 in Hamburg mit drei Schüssen in den Kopf. Sie fotografierten den Sterbenden und verwendeten das Foto in ihrem Bekennerfilm, den Beate Zschäpe nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt verschickte.

Anwältin Wierig, die im NSU-Prozess bislang nicht mit vielen Worten aufgefallen war, hält Zschäpe für das "Mastermind" des NSU und Mundlos und Böhnhardt für Psychopathen. Ihre Theorie: Zschäpe habe Mundlos' und Böhnhardts krankhafte Lust am Morden für ihre eigenen rechtsextremen Ziele genutzt und den beiden Uwes damit zugleich das Ausleben ihrer Persönlichkeitsstörung ermöglicht. Damit spricht sie der Angeklagten eine bedeutendere Rolle innerhalb des NSU zu als die Bundesanwaltschaft.

Dass eine Opferanwältin einen Angeklagten verteidigt, kommt selten vor

Dann kommt Wierig auf den Angeklagten Ralf Wohlleben zu sprechen. Und von nun an wirkt das Plädoyer der Nebenklagevertreterin wie ein Plädoyer seiner Verteidigung. Wierig sagt, aus "einem einzigen Grund" sei Wohlleben angeklagt. Dieser Grund sei, dass der Angeklagte Carsten S. beim Bundeskriminalamt die Ceska - die Waffe, mit der neun Menschen ermordet wurden - als diejenige Waffe erkannt hat, die er dem NSU im Auftrag von Wohlleben beschaffte. Wierig betont, wie unsicher S. bei der Identifizierung der Waffe gewesen sei und dass er selbst gesagt habe, sich die Ceska zuvor "bestimmt 100 Mal" im Internet angesehen zu haben. Wierig: "Ich wage die Behauptung, dass eine so unsichere Angabe in fast jedem anderen Verfahren als unzureichend für eine Beweisführung eingestuft worden wäre." Die Forderung der Bundesanwaltschaft, Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord zu zwölf Jahren Haft zu verurteilen, stünde auf einem "wackeligen Fundament".

Dass eine Opferanwältin einen Angeklagten verteidigt, kommt selten vor. Einige Opferanwälte sprechen hinterher von "Parteiverrat". Sie sagen: Wierig habe die Interessen ihrer Mandantin zu vertreten, sie habe weder Wohlleben zu verteidigen noch den Rechtsstaat als solchen. Sie sagen, es sei in etwa so, als käme die Zschäpe-Verteidigung auf die Idee, sich in ihrem Plädoyer plötzlich Opferinteressen zu vertreten. Wierigs Mandantin scheint mit den Worten ihrer Anwältin jedenfalls einverstanden zu sein. Sie sitzt an diesem Tag im Saal und hört zu.

Für Irritation sorgen auch Wierigs weitere Sätze. Sätze wie: "Das Dritte Reich ist seit fast drei Generationen Geschichte; der Vorwurf aber, der Deutsche trage den Nationalsozialismus gleichsam einer Erbsünde ab Geburt in sich, ist überaus lebendig." Eine "geradezu hysterische Furcht" führe "des Öfteren" zu einem Mangel an Sachlichkeit "im Umgang mit Rechtsaußen". Dies sei in einem Strafprozess nicht hinnehmbar.

Sie erhebt Vorwürfe gegen andere Opferanwälte. Diese verunsicherten durch ihren Rassismusvorwurf gegen Ermittler die Menschen und trügen dazu bei, die Botschaft des NSU zu verbreiten. Wierig: "Die Botschaft an die Migranten, sie seien ihres Lebens nicht mehr sicher, ist zu meinem tiefsten Bedauern nicht mit dem NSU gestorben. Und diesmal sind es keine rechtsextremen Terroristen, die vermitteln, Deutschland sorge sich nur um die Deutschen, sondern es sind Anwälte und Journalisten." Dass nicht in der Neonaziszene, sondern jahrelang in den Opferfamilien ermittelt wurde, sei "kein institutioneller Rassismus", sondern "Erfahrungssätze der Kriminologie". Auch den Verfassungsschutz nimmt sie in Schutz: Der Einsatz von V-Leuten im NSU-Umfeld sei richtig gewesen.

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