Terrorismus:Manneken Pis entwaffnet den Terror

Der Angriff auf Europas Hauptstadt wirkt wie eine Machtdemonstration der Attentäter. Die Brüsseler begegnen der Gewalt mit Menschlichkeit - und dem Wahrzeichen der Stadt.

Reportage von Paul Munzinger, Brüssel

Mit bunter Kreide haben sie ihre Botschaften auf den Boden geschrieben, der ganze Platz ist voll davon. "Liebe ist meine Religion", steht da auf Englisch, "Unseren Hass kriegt ihr nicht" auf Französisch. Und viele haben einfach den Manneken Pis gemalt, jenen Knaben, der mitten in Brüssel in den Brunnen pinkelt. Vielleicht weil es sich so einfach zeichnen lässt, ein Männchen mit vier langen Strichen und einem kurzen.

Vielleicht auch, weil es am besten die Botschaft verkörpert, die viele Brüsseler den Terroristen an diesem Tag senden wollen: Verpisst euch! Deutlich, aber respektlos. Ohne den heiligen Ernst, mit dem die Attentäter ihr schreckliches Werk verrichten. Ohne die Furcht, die diese gerne mit Ehrfurcht verwechseln.

34 Menschen haben die Bomben der Terroristen am Dienstag mit in den Tod gerissen, Hunderte verletzt, die Hauptstadt Europas tief getroffen. Vier Tage nach der Festnahme des Paris-Attentäters Salah Abdeslam im Brüsseler Stadtteil Molenbeek wirken diese Anschläge wie eine Machtdemonstration. Ob sich nun ein direkter Zusammenhang zur IS-Miliz ermitteln lässt oder nicht, die Botschaft erscheint klar: "Ihr könnt uns nichts, wir sind stärker als ihr."

"Wir brauchen keine Waffen"

Die Menschen, die sich bis spät in die Nacht auf der Place de la Bourse im Zentrum Brüssels versammeln, sind gekommen, um ihnen das Gegenteil zu beweisen. Einfach, indem sie da sind. Indem sie Kerzen für die Opfer aufstellen. Und indem sie ihre Botschaften der Stärke auf den Boden kritzeln, mit bunten Kreiden. "Wir brauchen keine Waffen", sagt Jawad. "Wir geben die richtige Antwort mit unseren Herzen und unseren Köpfen."

Der 27-Jährige hält das eine Ende eines weißen Banners fest, "Je suis Bruxelles" steht in großen schwarzen Buchstaben darauf. Es ist die belgische Adaption von "Je suis Charlie" und "Je suis Paris", die vielen ja wie eine logische Fortsetzung erscheint. Die Pariser Anschläge vom November wurden weitgehend im Brüsseler Stadtteil Molenbeek entworfen, und spätestens seit dies bekannt ist, hängt der Terror wie eine dunkle Gewitterwolke über Brüssel.

"Wir haben einen Anschlag befürchtet und es ist passiert", sagte der belgische Innenminister Jan Jambon am Dienstag. Jawad sieht das nicht so: Er habe nicht mit einem Anschlag gerechnet, sagt er, zuerst habe er es gar nicht glauben können. Dann sagt er aber auch das: Dass Belgien Hilfe brauche, dass Europa jetzt zusammenstehen müsse.

Studentin Ana: Kerzen allein reichen nicht aus

Terrorismus: Manneken Pis steht in Brüssel als Symbol gegen den Terror.

Manneken Pis steht in Brüssel als Symbol gegen den Terror.

(Foto: AP)

Ana ist 19, eine Studentin, die sich eine belgische Flagge um die Schultern gebunden hat. Sie sei hier, um den Opfern ihr Mitgefühl auszudrücken, sagt sie, sie wolle Solidarität zeigen. "Brüssel, wir sind bei dir", hat sie auf den Boden geschrieben, auf ihrer Muttersprache Rumänisch. Sie sei ein bisschen enttäuscht, dass nicht mehr Leute gekommen sind, sagt sie. Aber vielleicht hätten viele ja auch einfach Angst. Ein Attentäter ist vermutlich noch auf der Flucht, die Polizei fahndet mit einem Foto nach ihm.

Eines möchte Ana noch loswerden. Sie findet es wichtig, Kerzen aufzustellen, Botschaften zu schreiben, Zeichen zu setzen. Deshalb sei sie hier. Aber es reiche nicht, sagt Ana, die Kerzen würden nichts ändern. Die Regierung in Belgien, aber auch die Menschen in ganz Europa, müssten anfangen, kritischer nachzufragen, wie es wieder so weit kommen konnte.

Ob man nicht immer nur an der Oberfläche kratze, wenn über Terrorismus diskutiert wird, anstatt das Problem an der Wurzel anzugehen. Und was ist die Wurzel? "Ich habe das Gefühl, dass etwas grundsätzlich schief läuft", sagt Ana.

Dutzende Polizisten bewachen die Place de la Bourse, manchmal schieben sich Soldaten in Tarnfarben durch die Menge, manchmal flackert das Blaulicht vorbeirauschender Einsatzwägen über die prächtige Säulenfassade der Börse. Zwei Löwen flankieren hoch über der Menge den Eingang, an einem hangelt sich gerade ein Kameramann entlang. In der Hand hat er sein Stativ, gar nicht so leicht, das hier oben aufzustellen.

Auch das gehört zu diesem eigentümlichen Abend in Brüssel: Dass das Kerzenlicht auf dem Boden von grellen Scheinwerfern überstrahlt wird, dass auf zehn Brüsseler ein Kamerateam kommt, dass die Trauer in Livebildern um die ganze Welt geht.

Eine stille Andacht ist das nicht. Viele, die gekommen sind, sitzen mit einem Bier in der Hand auf der Treppe vor der Börse, aus den Mülleimern quellen die Dosen heraus. Vielleicht ist das die Brüsseler Art, dem Terror die kalte Schulter zu zeigen. Vielleicht ist das heute der richtige Zeitpunkt für einen Manneken-Pis-Abend.

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