Terrorismus:Inhaftierte IS-Kämpfer mit Hilfe von Imamen deradikalisieren

Deradikalisierung im Strafvollzug

Imam Husamuddin Meyer geht an der Gefängnismauer der hessischen JVA Preungesheim entlang. Er ist dort Seelsorger für muslimische Inhaftierte.

(Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Von den bis zu 1000 Menschen, die ab 2013 von Deutschland aus zum IS und anderen Terrorgruppen gestoßen waren, kommen die Überlebenden zurück.
  • Das Spektrum der Rückkehrer ist breit, es reicht von Fanatikern und Unbelehrbaren bis zu Reumütigen.
  • Das Bundeskriminalamt hat in Deutschland in diesem Jahr 414 sogenannte Gefährder registriert, gut ein Viertel von ihnen ist in Haft.

Von Joachim Käppner

Den jungen Rückkehrer aus dem Krieg in Syrien trieb vor allem ein Problem um: ob er nun in die Hölle kommt. Immerhin habe er einst dem IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi die Treue geschworen, den Kalifatstaat dann aber doch verlassen. Und so drehten sich die ersten Gespräche mit Betreuern in einem hessischen Gefängnis um Fragen der islamischen Theologie.

Wie so oft in solchen Fällen kannte der junge Mann den Koran nur bruchstückhaft, man musste ihm erst Basiswissen beibringen, sagt Cuma Ülger, Projektkoordinator beim Violence Prevention Network (VPN). "Nach sechs Sitzungen war die Hölle für ihn kein Thema mehr, und er begann sich zu öffnen." Erst danach konnte der Antigewalttrainer seine eigentliche Arbeit beginnen: bei seinem "Klienten" einen "Prozess der Selbstreflexion und Mündigkeit anzustoßen".

Die Zusammenarbeit mit VPN ist Teil eines Projektes, mit dem das Land Hessen IS-Rückkehrer "deradikalisieren" und andere muslimische Häftlinge vor deren Einfluss schützen will. Die meisten Bundesländer verfolgen diese Ziele in der einen oder anderen Form, das hessische Modell geht aber besonders weit, es vernetzt Sicherheitsbehörden, Seelsorge und soziale Betreuung.

Von den bis zu 1000 Menschen, die ab 2013 von Deutschland aus zum IS und anderen Terrorgruppen gestoßen waren, kommen seit dem blutigen Untergang des Kalifatstaates in Syrien und dem Irak die Überlebenden zurück - sofern die Justiz nicht vor Ort kurzen Prozess mit ihnen machte. So wurde die deutsche Staatsbürgerin Lamia K. im Irak zum Tode verurteilt, als eine von vielen ausländischen IS-Anhängern. In Deutschland landen viele Rückkehrer in Untersuchungshaft, wo sie oft lange bleiben, während die Staatsanwaltschaft mühevoll nach Beweisen sucht, was sie als Kämpfer oder Unterstützer der Terrormiliz verbrochen haben könnten.

BKA hat in diesem Jahr 414 sogenannte Gefährder registriert

Einige Fälle haben es zu trauriger Bekanntheit gebracht. So die 28 Jahre alte Deutsche Jennifer W., die derzeit in München wegen Kriegsverbrechen und Mordes durch Unterlassen vor Gericht steht, weil sie dabei zugesehen haben soll, wie ihr irakischer Ehemann ein gefangenes jesidisches Kind im Jahr 2015 bei praller Sonne im Hof an ein Fenstergitter fesselte und verdursten ließ.

Das Spektrum der Rückkehrer ist breit, es reicht von Fanatikern und Unbelehrbaren bis zu Reumütigen. Das Bundeskriminalamt hat in Deutschland in diesem Jahr 414 sogenannte Gefährder registriert, gut ein Viertel von ihnen ist in Haft. Ein Teil der Gefangenen besteht aus Rückkehrern. Ihretwegen machen sich die Sicherheitsbehörden besondere Sorgen, da sie teils radikalisiert sind und nun Erfahrung mit Waffen und Sprengstoff haben.

Genau hier, in den Haftanstalten, will Hessen mit seinem Präventionskonzept "Netzwerk zur Deradikalisierung im Strafvollzug" (NeDiS) ansetzen. Gefängnisse gelten als Brutstätten islamistischer Radikalisierung, schätzungsweise die Hälfte der Personen, die aus Deutschland zum IS gingen, hatte eine Gefängniskarriere hinter sich. Und manch früherer IS-Terrorist gibt nach seiner Rückkehr in der U-Haft den Helden, sagt der Imam und Seelsorger in der JVA Wiesbaden, Husamuddin Meyer. Er sieht die Gefahr, dass sich andere muslimische Häftlinge unter diesem Einfluss radikalisieren: "Die Ideologen bringen ihnen bei, ihre Straftaten nachträglich religiös zu legitimieren."

"Strukturbeobachter" in den Gefängnissen

Es ist ein großer Unterschied, ob den jungen Menschen im Gefängnis ein deutscher Beamter gegenübersitzt oder ein Imam, der mit seiner theologischen Autorität fundamentalistische Scheingewissheiten erschüttern kann. Imame können von dem Rechtsgutachten berichten, mit dem 120 islamische Gelehrte 2014 die Gräueltaten des IS, die Morde, Vergewaltigungen und Versklavungen anprangerten und in dem es heißt: "Es ist im Islam verboten, Unschuldige zu töten." Dennoch sei das Gespräch mit den Verhetzten "oft eine echte Knochenarbeit", berichtet Meyer, da die meisten radikalen Jugendlichen den Islam nur aus Phrasen kennten. Häftlinge haben ihn schon gefragt, "ob jemand getötet werden müsse, der nicht bete, oder ob Terrorismus im Islam erlaubt sei".

Auch Cuma Ülger hat in den Gesprächen mit seinem aus Syrien zurückgekehrten Klienten festgestellt, dass er islamistischen Fanatikern auf den Leim gegangen war, zunächst in Deutschland, dann beim IS. "Die Szene reißt ganz gezielt Koranpassagen aus dem Zusammenhang heraus, sie verlangt Gehorsam und keine Diskussionen." Aber irgendwann sei bei seinem Schützling "der Groschen gefallen". Geholfen habe dabei, dass Berater wie er nicht zum Justizapparat gehören, das erleichtere das Vertrauen.

Die Säule des hessischen Konzepts ist die islamische Seelsorge, die heute in allen 16 Gefängnissen des Landes angeboten wird. Laut Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) hat Hessen die Mittel dafür von nur 50 000 Euro im Jahr 2016 auf 300 000 in diesem Jahr erhöht, dazu kämen 400 000 Euro für weitere Maßnahmen zur Deradikalisierung. Das Land beschäftigt dafür mittlerweile zwölf Imame, die es selbst aussucht und nicht von Islamverbänden benennen lässt. Alle sind sicherheitsüberprüft.

Datenaustausch mit Polizei und Verfassungsschutz

Imam Meyer, der auch die Beratungsstelle Salafismus leitet, ist einer von ihnen. Für ihn ist es ganz wesentlich, dass sich Muslime nicht auch noch im Gefängnis als Gruppe zweiter Klasse vorkommen, "dass sie sich ernst genommen und nicht ausgeschlossen fühlen". Die Imame feiern mit ihnen die hohen islamischen Feste und bieten inzwischen jede Woche das Freitagsgebet an. Im Frankfurter Untersuchungsgefängnis wird dazu mit wenigen Handgriffen die helle und transparente Anstaltskapelle umgestaltet und ein Teppich darin ausgerollt. Das seien wichtige Bausteine, sagt Clementine Englert, Leiterin von NeDiS im Justizministerium, damit sich die Gruppe muslimischer Häftlinge "wie alle anderen Häftlinge auch behandelt fühlt".

Hessens Konzept zur Deradikalisierung setzt auch auf den Datenaustausch mit der Polizei und dem Verfassungsschutz, greift aber noch weiter. In den Haftanstalten sind mittlerweile "Strukturbeobachter" eingesetzt, die sorgfältig auf Islamisierungstendenzen achten und deren Job es unter anderem ist, die Bildung entsprechender Cliquen und Gruppierungen zu unterbinden, notfalls durch Verlegung von Rädelsführern.

Im Frankfurter Untersuchungsgefängnis JVA I hat der betreffende Beamte, Stefan Schürmann, "eine niedrige zweistellige Zahl von Häftlingen" im Blick. Er zeigt sich optimistisch, dass das Präventionskonzept erfolgreich und die Anstalt keine der "Brutstätten für Radikalismus" mehr ist: "Das kann ich bei uns inzwischen ausschließen", sagt er.

Extremisten, die aus lauter Verblendung unerreichbar bleiben, wird es trotz der Anstrengungen weiter geben. Cuma Ülger hofft, dass sein Klient nicht zu diesen Hardlinern gehört. Der Syrien-Rückkehrer, den er nach wie vor betreut, hat seine Haftstrafe wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung inzwischen verbüßt und mache sich heute keine Sorgen mehr darüber, dass er seinen Eid auf den Terroristenführer gebrochen hat. Zuletzt habe der Mann sogar gesagt: "Wegen dieses Vollidioten wäre ich beinahe draufgegangen."

Prävention ist mühselig, oft gelingt sie nur in kleinen Schritten. Ülger lässt sich davon nicht beirren. 16 Menschen betreue VPN in Hessen zurzeit: "Für uns ist es schon ein Erfolg, dass so viele Häftlinge unser Gesprächsangebot annehmen."

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