Prozess gegen "Gruppe S.":"Ich bin davon ausgegangen, dass es was mit Mittelalter zu tun hat"

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Die mutmaßliche Terrorzelle wollte einen Umsturz in der Bundesrepublik herbeiführen. (Foto: Pool/Getty Images)

Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft plante die mutmaßlich rechtsterroristische "Gruppe S." einen gewalttätigen Umsturz in Deutschland. Vor Gericht sagt nun einer der zwölf Angeklagten aus - und stellt sich als völlig unbeteiligt dar.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Ausgedruckt füllen die Akten zum Strafverfahren, das Mitte April gegen die mutmaßlich rechtsterroristische Vereinigung "Gruppe S" begonnen hat, mehr als 250 Ordner. Die Generalbundesanwaltschaft ist davon überzeugt, dass sie beweisen kann, dass hier eine gefährliche rechtsextremistische Gruppierung am Werk war, die sich zum gewalttätigen Umsturz der Gesellschaftsordnung in Deutschland verabredet haben soll.

Doch könnte alles vielleicht auch nur ein großes Missverständnis sein? Sitzen Tatverdächtige seit mehr als einem Jahr völlig grundlos in Untersuchungshaft? So jedenfalls will es einer der Angeklagten aussehen lassen, der am Dienstag seine Version des mutmaßlich konspirativen Treffens vorstellt, das im Februar 2020 zur Festnahme der zwölf Angeklagten führte.

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Sie wollten laut den Ermittlungen in Moscheen töten und einen Bürgerkrieg provozieren: In Stuttgart stehen die mutmaßlichen Mitglieder der "Gruppe S." vor Gericht - zwölf Männer, die ein irritierendes Bild abgeben.

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Thorsten W., 51, ist einer der wenigen, die zu einer Aussage bereit waren. Er ist Verwaltungsangestellter der Polizei in Hamm, für ihn steht seine Existenz auf dem Spiel. Er war dabei, als sich die Gruppe um den Augsburger Hauptverdächtigen Werner S. nach Ansicht der Generalbundesanwaltschaft in Minden getroffen, Angriffe auf Moscheen geplant und Geld für Waffen gesammelt hat. Thorsten W. will das nicht nur ganz anders erlebt haben, er trägt auch vor, dass er völlig aus Versehen in das Treffen hereingeraten sei. Seine Aussage ist von großen Erinnerungslücken geprägt und nicht frei von Widersprüchen.

Er habe gedacht, der Gastgeber und heutige Mitangeklagte Thomas N. lade ihn zu einem Treffen von Mittelalterfans ein, sagt er. Thorsten W. geht in seiner Freizeit gern auf historische Messen und Märkte und nimmt auch verkleidet an mittelalterlichem Lagerleben teil. Bei einer dieser Veranstaltungen habe er Thomas N. kennengelernt. Die anderen Gäste des Treffens, zu dem Thomas N. nach Minden eingeladen hatte, seien ihm nicht bekannt gewesen, obwohl er offenbar schon seit längerer Zeit derselben Chatgruppe angehörte wie einige von ihnen.

"Ich saß dabei als Nichtbeteiligter"

Thomas N. habe ihm bei der Einladung am Telefon gesagt, dass es bei dem Treffen um einen Zusammenschluss der "Bruderschaft Deutschland", von "Wodans Erben" und der "Vikings" gehen solle - gemeint war wohl "Vikings Security Germania", eine rechtsextreme Vereinigung. Das alles habe ihm aber nichts gesagt, behauptet der Angeklagte. "Da bin ich davon ausgegangen, dass es was mit Mittelalter zu tun hat." Bezeichnungen mit "Wotan" oder "Wikinger" seien für mittelalterliche Lagergruppen gängig. Erst nach dem Treffen habe er im Internet danach gesucht - und sei schockiert gewesen. "Ich bin in den öffentlichen Dienst gegangen, weil ich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe."

In Minden hätten die Versammelten miteinander gegessen und "über normale, alltägliche Politik" geredet. Es habe zwar auch ein paar "rechte Unmutsäußerungen" gegeben. An deren Inhalt könne er sich nicht mehr erinnern. Die Gruppe habe auch darüber geredet, dass sie aktiver werden wolle. Da sei von "Plakate entwerfen und auf Demonstrationen gehen" die Rede gewesen. Er habe über weite Strecken nicht auf den Inhalt geachtet, da es ja nicht ums Mittelalter gegangen sei. "Ich saß dabei als Nichtbeteiligter."

Als Werner S. die Runde gefragt habe, wer Geld geben wolle, sei er davon ausgegangen, dass damit ein Vereinsheim finanziert werden solle. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich aber innerlich schon verabschiedet gehabt. Er habe "nein" gesagt.

Einen der Mitangeklagten belastet Thorsten W. mit seiner Aussage gezielt: Paul-Ludwig U., der die Polizei über die Pläne der "Gruppe S." informiert haben soll und als einziger der zwölf Angeklagten nicht in Untersuchungshaft sitzt. U. habe bei dem Treffen Drogen konsumiert, sich in den Vordergrund gespielt und schließlich vorgeschlagen, "dass man was in Moscheen machen sollte". W. will darauf entsetzt gefragt haben: "Aber da meinst du nicht so etwas wie Christchurch?" Mit so etwas wolle er nichts zu tun haben. Danach sei in der Gruppe wieder über "völlig normalen Kram" gesprochen worden. Trotzdem sei es ihm zu diesem Zeitpunkt nur noch darum gegangen, unbeschadet nach Hause zu kommen. "Mich hat dieser ganze Kram eingeschüchtert", trägt er dem Gericht vor, will sich aber wiederum nicht an Details erinnern können.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat viel Zeit für die Wahrheitsfindung eingeplant. Derzeit wird mit einem Ende frühestens im Juli 2022 gerechnet.

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