Terrorismus: Gefahr in Deutschland:"Hochkonkret" oder "abstrakt?"

Codewort "Mumbai" und ein geheimnisvoller Scheich: Die Quellen der Geheimdienste sind nicht unbedingt glaubwürdig. Was ist dran an den Warnungen vor Anschlägen, die seit Monaten umgehen?

Hans Leyendecker

Das Wort "konkret" stammt ursprünglich aus der Sprachwelt der Philosophie, und den Gegensatz bildet der Begriff "abstrakt". So war es mehr als nur eine politische Floskel, dass Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Wochenende erklärte, die Gefahr von Anschlägen sei für "manche abstrakt", aber tatsächlich sei sie "hochkonkret".

Sprengstoffpakete wurden auf Flughafen Koeln/Bonn umgeladen

Am Flughafen Köln-Bonn wurde eine der Paketbomben aus dem Jemen umgeladen. Wie groß ist die Gefahr eines Anschlags in Deutschland bei nüchterner Betrachtung wirklich?

(Foto: dapd)

Doch der zuständige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) blieb gelassen. "Es liegen keine konkreten Anschlagspläne gegen Deutschland vor", sagte er. "Für Alarmismus besteht kein Anlass", hatte der Christdemokrat bereits vorigen Monat erklärt. Zwar sagte de Maizière nun wegen der Paketbomben aus dem Jemen kurzfristig eine Nahost-Reise ab und räumte auch Sicherheitslücken im Luftfrachtverkehr ein, aber er betonte, dass es weiterhin keine konkreten Hinweise auf Anschlagsziele in Deutschland gebe.

Seit Wochen drängen sich vier Fragen auf, die jetzt durch die Bombenfunde noch dringlicher geworden sind: Was ist dran an den umlaufenden Warnungen vor angeblich geplanten koordinierten Anschlägen in Europa, darunter auch in Deutschland? Wie seriös sind die Hinweisgeber? Wie sauber sind die Quellen der Geheimdienste? Oder ist die Terrorgefahr doch größer als offiziell zugegeben wird? Die frische Paketspur aus dem Jemen bedeutet aus Sicht von Experten deutscher Sicherheitsbehörden keine wichtige Veränderung der Lage für die Bundesrepublik. Absender der gefährlichen Post war vermutlich der Ableger der Terrorholding al-Qaida im Jemen, AQAP genannt. Die Gruppierung gilt bei Fachleuten zwar als brandgefährlich und professionell, aber ihre Anschlagsplanungen beziehen sich nicht auf Europa.

Das wissen die Geheimdienste auch deshalb, weil es ihnen mittlerweile bei AQAP - wie bei fast allen Qaida-Filialen - gelungen ist, in den Reihen der Terrorgruppen Informanten zu gewinnen. Der Telefonverkehr aus dem Jemen wird von diversen Diensten rund um die Uhr abgehört. Dass Anschläge jetzt vereitelt werden konnten, ist ein Beleg für die mittlerweile enge Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten aus dem arabischen Raum, aus Nordafrika, Europa und den USA. Diesmal gab der saudische Geheimdienst den entscheidenden Tipp auf die Bombenpakete in den Flugzeugen. Gerade im benachbarten, chaotischen Jemen haben die Saudis ihre Aufklärung in den vergangenen Jahren intensiviert.

Vor Wochen informierte die US-Regierung ihre Bürger mit einem Reisehinweis, der Vorstufe einer Reisewarnung, über drohende Anschlägen in Europa. Grundlage waren Aussagen der Hamburger Dschihadisten Ahmad S., der Anfang Juli in Kabul festgenommen worden war und der von amerikanischen Spezialisten in der US-Basis Bagram vernommen wurde. Der Deutsch-Afghane hatte von Anschlagsplänen in Europa berichtet, die angeblich vorbereitet würden von Scheich Younis al-Mauretani, der in der Qaida-Hierarchie weit oben stehen soll. Osama bin Laden habe angeblich die Pläne gebilligt.

Schon vor einiger Zeit hatten die US-Behörden Hinweise erhalten, rund ein Dutzend Dschihadisten sei auf dem Weg nach Europa, um Anschläge zu begehen. Die Gruppe sei ausgebildet, Gebäude zu sprengen; sie plane angeblich Terroranschläge in verschiedenen europäischen Ländern. Ihr Vorbild sei der koordinierte Angriff auf mehrere Ziele in der indischen Großstadt Mumbai im November 2008. Damals starben 174 Menschen.

Für die USA beinahe schon der Ernstfall

Das Codewort Mumbai, die Erzählungen des Ahmad S. und der geheimnisvolle Scheich waren für die USA beinahe schon der Ernstfall, die deutschen Behörden hingegen blieben vergleichsweise unaufgeregt. Im vergangenen Monat konnten Beamte des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes Ahmad S. in Afghanistan befragen und der sagte, was er schon den Amerikanern gesagt hatte: Nichts wirklich Konkretes, keine Namen möglicher Attentäter, kein Ort des Anschlags, kein Zeitpunkt einer Attacke. Also Dschihaisten-Geschwätz?

Seine Erzählungen decken sich zum Teil mit den Schilderungen des ebenfalls im Sommer festgenommenen deutschen Dschihadisten Rami M., der mit Ahmad S. im Frühjahr 2009 in den Krieg an den Hindukusch gereist war. Nach einem Vergleich der Aussagen beider Männer können deutsche Behörden nicht ausschließen, dass diese sich für den Fall von Festnahmen, abgesprochen hatten.

Zwar wurden die Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland jetzt hochgefahren, das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz haben rund 180 Leute freigestellt, um die diversen Szenarien auszuleuchten, und Innen-Staatsekretär Klaus-Dieter Fritsche reiste vorige Woche in die Vereinigten Staaten, weil Washington um ein Gespräch mit einem deutschen Sicherheitsexperten gebeten hatte. Aber eine öffentliche Anti-Terror- Präsenz, wie es sie bei den Innenministern Otto Schily (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) vermutlich in dieser Lage gegeben hätte, also mit Polizisten, die schwer bewaffnet auf Flugplätzen, Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen patrouillieren, lehnt de Maizière weiterhin ab. Dafür ist ihm die Gefahr nicht konkret genug.

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