Terrorismus:Das unbekannte Video

Der LKW nach dem Anschlag auf den am Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin.

Der LKW nach dem Anschlag auf den am Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Der BND hält Aufnahmen unter Verschluss, die Anis Amri zeigen, wie er bereits einige Wochen vor dem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz mit Gewalt drohte.

Von Florian Flade und Ronen Steinke, Berlin

Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin vor fast drei Jahren ist ein neues Video aufgetaucht, in dem der Attentäter Anis Amri bereits einige Wochen vor der Tat mit Gewalt drohte. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR im Besitz dieses Videos. Die Aufnahme ist bislang nicht in die Ermittlungsakte des Bundeskriminalamts (BKA) gelangt, das den Anschlag und seine Hintergründe aufklären soll. Auch die Untersuchungsausschüsse verschiedener Parlamente, die seit geraumer Zeit an der Aufklärung des Terrorfalles arbeiten, wussten offenbar nicht von der Existenz des Videos.

Die etwa elf Sekunden lange Aufnahme soll im November 2016 entstanden sein, Wochen bevor der Attentäter am 19. Dezember 2016 mit einem Lkw in Berlin zwölf Menschen tötete und Dutzende verletzte. In dem Video, das wohl mit einem Mobiltelefon aufgenommen wurde, sagt Amri auf Arabisch: "Oh Allah! Diese Schweine, kommen wir zu ihnen, um sie zu enthaupten!" Er hält eine Pistole in der Hand, bei der es sich nach Einschätzung des BND um jene Waffe der Marke Erma, Modell EPP 52, Kaliber .22 handeln soll, mit der Amri später einen polnischen Lkw-Fahrer erschoss, um dessen Fahrzeug zu rauben.

Die Ermittler werteten nach dem Anschlag zwei Handys von Amri mit mehr als 12 000 Dateien aus

Der BND hatte die Ermittler des BKA zwar bereits im März 2017 über die Existenz der Aufnahme informiert. Jedoch erklärten die Agenten damals, das Video dürfe nicht verwendet werden, weil es von einem ausländischen Geheimdienst stamme, dem man zur Vertraulichkeit verpflichtet sei. Um welchen Dienst es sich handelt und wie dieser an die Aufnahme gelangte, dazu wollte sich der BND nicht äußern. Eine Sprecherin teilte auf Nachfrage mit, der BND äußere sich zu "operativen Aspekten" der Geheimdienstarbeit und etwaigen Erkenntnissen "grundsätzlich nur gegenüber der Bundesregierung und den zuständigen geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages".

Es ist nicht unüblich, dass Geheimdienste ihre Erkenntnisse nur unter der Bedingung weitergeben, dass sie vertraulich bleiben. Oft geht es darum zu verhindern, dass heimliche Quellen bekannt werden. Offenbar war es dem BND im März 2017 aber möglich, das BKA zumindest über die Existenz des Videos zu unterrichten. Der Vizevorsitzende des Geheimdienst-Kontrollgremiums, Konstantin von Notz (Grüne), kritisierte am Mittwoch, dass dies trotz vieler Nachfragen nicht auch den Aufklärern im Bundestag mitgeteilt wurde.

Zu dem Zeitpunkt im Herbst 2016, als das Video aufgenommen wurde, hatte Amri den deutschen Behörden nicht mehr als akut gefährlich gegolten. Er verkehrte im Drogenmilieu und besuchte nur noch unregelmäßig die Moschee. Sollte der BND schon damals das Video gekannt und "keine Konsequenzen gezogen haben", wäre dies "ein Skandal", sagte der FDP-Abgeordnete im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages, Benjamin Strasser. Darauf deutet aber bislang nichts hin.

Die Ermittler der Polizei haben nach dem Anschlag zwei Handys von Amri ausgewertet und darauf mehr als 12 000 Dateien sichergestellt. Das besagte Video soll nicht dabei gewesen sein. So stellt sich die Frage, ob Amri womöglich noch andere Geräte benutzte, von denen die Ermittler der Polizei bislang nichts wussten. Bislang war bekannt gewesen, dass er ein Bekennervideo auf einer Brücke im Berliner Nordhafen aufgenommen hatte, offenbar zwischen dem 31. Oktober und dem 1. November 2016. Dieses Video hatte die Terrormiliz "Islamischer Staat" einige Tage nach der Tat im Internet veröffentlicht.

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