Islamischer Staat:François Hollandes unmögliche Mission

Eine Allianz gegen den IS erscheint fast aussichtslos. Kurden, Schiiten, Sunniten und die Weltmächte verfolgen vor allem eigene Ziele.

Von Paul-Anton Krüger

Frankreichs Präsident François Hollande zieht aus, um eine globale Allianz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zu schmieden. Er reist nach Washington und Moskau, um die beiden nominell mächtigsten Akteure im Syrien-Konflikt zu verpflichten, dem Kampf gegen diesen Feind Vorrang vor allem anderen zu geben. Allein: Er müsste Besuche in Teheran, Damaskus, Bagdad, Riad, Ankara, Erbil und Qamischli anschließen. Der IS hat viele Gegner, irgendwie, aber vor allem haben diese Gegner eigene Interessen.

US-Präsident Barack Obama führt ein Land, das im Wahlkampfmodus steckt; er will nicht tiefer in den Konflikt hineingezogen werden und den Einsatz von Bodentruppen vermeiden. Am Tag vor den Attentaten von Paris rechtfertigte er seine Zurückhaltung mit dem Satz, die Bedrohung durch den IS sei "eingegrenzt" - ein grandioses Fehlurteil, selbst wenn der Vormarsch des IS im Irak und in Syrien gestoppt ist. Unstrittig bleibt, dass Luftangriffe nicht reichen, um den IS zu zerschlagen. Die Infanterie sollten eigentlich von den USA ausgebildete irakische Einheiten stellen. Die 5000 neu trainierten Soldaten sind dem IS aber nicht gewachsen.

Die Kurden haben Sindschar freigekämpft - im ureigenen Interesse

So erfreuen sich die Kurden des Rufs, am effektivsten gegen die Soldaten des Kalifats zu kämpfen; Deutschland hat den Peschmerga Panzerabwehrraketen geliefert. Auch damit haben die Kurden Sindschar freigekämpft - im ureigenen Interesse: Die Stadt liegt in einem Gebiet, das als Teil eines künftigen kurdischen Staates gesehen wird. Mossul werden die Kurden indes nicht befreien. Das würde der Regierung in Bagdad in die Hände spielen, mit der Erbil im Clinch liegt über Ölverkäufe und den Status von Kirkuk. Kirkuk wiederum war an die Kurden gefallen, als die Armee davonlief vor dem IS.

Die Türkei fürchtet nichts mehr, als einen Kurdenstaat entlang ihrer Grenze. Als die syrischen Volksverteidigungseinheiten, ein Ableger der als terroristisch eingestuften PKK, jüngst von Kobanê den Euphrat nach Westen überschritten, wo sich der IS breitmacht, flog Ankara Angriffe - auf die Kurden, nicht etwa auf den IS.

Kaum besser sieht es im Irak aus. Dort haben zumeist von Iran gesteuerte Schiiten-Milizen zwar Tikrit befreit. Die Operation diente aber zuallererst dazu, Premier Haidar al-Abadi zu demonstrieren, wer in Bagdad das Sagen hat. Al-Abadi konnte gerade noch nach Samara fahren, um den Eindruck zu erwecken, er hätte die Offensive befohlen. Die mächtigen Schiiten-Blöcke verhindern im Verbund mit Iran bis heute, dass die Sunniten mehr als ein paar lumpige Sturmgewehre bekommen, um in ihren eigenen Siedlungsgebieten in Anbar und anderswo gegen den IS zu kämpfen. So fiel auch Ramadi an den IS.

Mehr noch: Die Rachemorde der Milizen (in ihrer Grausamkeit dem IS nicht unähnlich) und die jahrelange Marginalisierung durch die Regierung Nuri al-Malikis haben die Sunniten in die Arme des IS getrieben. Auch das hat den IS stark gemacht, genauso wie die US-Invasion im Irak. Nach Tikrit etwa können viele Sunniten nicht zurückkehren. Die Schiiten nutzen den Kampf gegen den IS als Vorwand für ethnische Vertreibungen in einst gemischt besiedelten Gebieten. Ziel der Schiiten - im Irak und in Iran - ist es, die Sunniten von der Macht fernzuhalten.

In Syrien hat sich Machthaber Baschar al-Assad mit dem IS arrangiert - er konzentriert sich darauf, die gegen ihn kämpfenden Rebellen niederzuhalten. So hofft er, die Welt vor die Wahl zu stellen zwischen seinem Regime, das mindestens 180 000 der 250 000 Toten des Bürgerkriegs zu verantworten hat, und dem Islamischen Staat. Sein Ziel ist der Machterhalt. Russland und noch mehr Iran haben sich dieser Logik angeschlossen.

Eine Allianz gegen den IS scheint unmöglich zu sein

Es wird also eines gewaltigen Kraftaktes bedürfen, all diese Akteure in einer Front gegen den IS zu einen: Assad müsste sich mit den Rebellen verbünden, mithin an seinem eigenen Ende mitwirken. Man darf gespannt sein, ob Wladimir Putin gewillt und in der Lage ist, ihn dazu zu zwingen. Amerikaner und viel mehr noch die Saudis müssten die syrischen Rebellen in diese Allianz drängen - was nur gelingen wird, wenn man ihnen Assads Abgang glaubhaft in Aussicht stellen kann. Seine Bedeutung verliert Assad langsam auch für Russland, das 224 Menschen durch eine IS-Bombe verloren hat. Iran müsste in Bagdad auf die Einbindung der Sunniten hinwirken, Amerikaner und Russen gemeinsam Ankara disziplinieren.

Das ist eine gewaltige Aufgabe, gegen die sich der Atomkompromiss mit Teheran wie ein Kinderspiel ausnimmt. Vielleicht ist nach Paris die Bereitschaft gestiegen, die Syrien-Gespräche von Wien mit neuer Kraft anzugehen. Man kann Hollande nur Glück und Ausdauer wünschen. Die Ausgangslage für sein Vorhaben aber ist so verworren wie schlecht.

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