Terrorismus-Bekämpfung:Zwei Billionen Dollar würden reichen

Kampf gegen den Terror, nicht gegen den Islam: Was der Westen tun sollte, wenn er den Fundamentalisten den Boden entziehen will.

Avi Primor

"Nicht alle Moslems sind Terroristen, aber alle Terroristen sind Moslems", das ist ein Spruch, den man in Indien in diesen Tagen immer wieder hört. Damit soll beschwichtigt werden, tatsächlich wird auf diese Weise jedoch wohl eher Öl ins Feuer gegossen. Nach den Anschlägen in Mumbai herrscht auf dem Subkontinent eine erboste anti-pakistanische Stimmung. Aber auch für die moslemische Minderheit in Indien, die 150 Millionen Menschen umfasst, wird es zunehmend gefährlich.

Terrorismus-Bekämpfung: Indische Muslime demonstrieren gegen den Terror und gegen die Anschläge in Mumbai.

Indische Muslime demonstrieren gegen den Terror und gegen die Anschläge in Mumbai.

(Foto: Foto: Reuters)

Dabei fürchtet die große Mehrheit der Moslems in aller Welt selber die Fundamentalisten und die Terroristen. Vor allem werden diese von den arabischen und moslemischen Regierungen, unter diesen auch die pakistanische Regierung, mit größter Besorgnis beobachtet.

Dennoch ist bei der allgemeinen moslemischen Bevölkerung weltweit auch eine gewisse Ehrfurcht vor den Terroristen zu spüren. Und die Tatsache, dass man die moslemische Bevölkerung nicht wirklich für den Kampf gegen den Fundamentalismus und Terrorismus rekrutieren kann, ist vielleicht das größte Hindernis bei der Verteidigung der Weltzivilisation gegen die fundamentalistischen Barbaren, die sie zerstören wollen.

Es gibt unterschiedliche Methoden, den Terroristen das Handwerk zu legen. So haben der Krieg in Afghanistan, aber offiziell auch der Krieg im Irak die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zum Ziel. Anti-Terror-Experten vor allem in Israel sind der Meinung, die Terrorbekämpfung müsse anspruchsvoller und durchdachter geführt werden als dies bei Kriegen der Fall ist.

In einem Krieg, sagen sie, versuche man, die Infrastruktur des Gegners zu schwächen, um ihn in die Knie zu zwingen. Die Infrastruktur der Terroristen bestehe jedoch nicht aus Häfen, Straßen und Eisenbahnen. Sie befinde sich in den Köpfen der Aktivisten. Die Terroristen müssen daher individuell identifiziert werden. Dies sei zu erreichen, indem Geheimdienstleute deren Reihen unterwandern.

Da man die selbstmordbereiten Fanatiker nicht umstimmen könne, müsse man sie, sobald man sie kenne, gezielt angreifen. Diese Methoden, die Israel seit Jahren höchst effizient anwendet, bringen dennoch nicht den erwünschten permanenten Erfolg. Immer wieder werden die "beseitigten" Terroristen von neuen Freiwilligen ersetzt, weil der palästinensische Durchschnittsbürger keine Aussicht auf ein Leben in Würde hat.

Dass man Fanatiker nicht überzeugen kann und sie bekämpfen muss, um sich selbst zu schützen, steht außer Frage. Damit hat man aber die Wurzel des Problems nicht behandelt. Und was ist der Grund dafür, dass die terroristischen Organisationen immer wieder freiwilligen Nachschub sowohl aus der islamischen Welt als auch aus den Ländern des Westens erhalten, wo so manche Terroristen in einem normalen, westlichen Umfeld aufwachsen und/oder leben?

Das Stichwort ist Würde

Das Stichwort zum Verständnis dieses Problems ist: Würde. Für die Mehrheit der Menschen in den moslemischen Ländern ist das Elend, in dem sie leben und aus dem sie keinen Ausweg sehen können, die Ursache ihres Gefühls der Demütigung. Solange man die Bevölkerung dort nicht unterstützt, solange man ihr keine neue Hoffnung gibt - solange werden immer wieder Terroristen aus ihr hervorgehen.

Man darf auch nicht vergessen, dass die Bevölkerung, von der wir sprechen, enorm wächst. 1950 lebten im Nahen Osten und in den nordafrikanischen Staaten 112 Millionen Menschen. Im Jahr 2006 waren es bereits mehr als 450 Millionen Menschen. Demographen behaupten, dass diese Zahl sich bis zum Jahr 2050 noch mehr als verdoppeln wird.

Heute lebt diese Bevölkerung von einem jährlichen Bruttosozialprodukt von höchstens 1500 Euro pro Kopf. Das steht in krassem Gegensatz zum Bruttosozialprodukt ihrer europäischen Zeitgenossen von 15000 bis 40000 Euro. Verstädterung und sonstige allgemeine Verelendung, Wassermangel und die negativen Auswirkungen der Globalisierung sind weitere Faktoren, die diese rasant wachsende Bevölkerung noch tiefer ins Elend treiben.

Es gab eine Zeit, in der viele frustrierte Menschen in der islamischen Welt ihre Hoffnungen auf den Kommunismus und sogar den Stalinismus setzten. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es für diese Menschen keine anderen falschen Hoffnungsträger mehr als die Fundamentalisten.

Zwei Billionen Dollar würden reichen

Solange man die Fundamentalisten von der allgemeinen Bevölkerung nicht trennen kann - mit anderen Worten: solange man der Bevölkerung keine Hoffnung gibt -, wird auch die unverzichtbare gezielte Bekämpfung der Fanatiker nicht enden, so lange wird man das Problem nicht lösen können.

Terrorismus-Bekämpfung: Avi Primor war von 1993 bis 1999 Israels Botschafter in Deutschland. Vor kurzem erschien im Droste-Verlag sein Buch "Mit dem Islam gegen den Terror".

Avi Primor war von 1993 bis 1999 Israels Botschafter in Deutschland. Vor kurzem erschien im Droste-Verlag sein Buch "Mit dem Islam gegen den Terror".

(Foto: Foto: dpa)

Im Jahr 1947 gewannen die Amerikaner den Eindruck, dass Westeuropa begonnen hatte, in Richtung Kommunismus und Stalinismus zu treiben. Selbst die Deutschen liefen trotz ihrer großen Angst vor den Russen und ihrem Hass auf den Kommunismus Gefahr, in Richtung Moskau umzukippen. Das materielle Elend der Europäer war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch gravierender als während des Krieges.

Das galt insbesondere für die Deutschen. Im Jahr 1947, einem Jahr der Kälte und des Hungers, begannen die Deutschen, das Ausmaß ihrer Katastrophe zur Kenntnis zu nehmen. Bis dahin waren sie teilweise noch von der Niederlage betäubt. Überall herrschte Hoffnungslosigkeit. Am 12. Juli 1947 wurde in Paris die erste Marshallplan-Konferenz eröffnet. Der Marshallplan beseitigte nicht sofort das Elend.

Es dauerte Jahre, bis er die Lebensbedingungen der Europäer grundsätzlich verbessern konnte. Aber schon 1947 kam in den Köpfen der Menschen die Wende. Sobald die Leute neue Hoffnung erhielten und an eine bessere Zukunft glauben konnten, glänzte Moskau nicht mehr.

Einen Marshallplan für die islamische Welt? Wer kann sich so etwas leisten? Der Marshallplan in Europa kostete die Amerikaner damals ein Prozent ihres jährlichen Bruttosozialprodukts. Heute würde ein Prozent des kumulierten Bruttosozialprodukts der USA, der EU-Staaten, reicher Länder wie Kanada, Japan, aber auch der ölreichen pro-amerikanischen arabischen Länder zwei Billionen Dollar (das sind 2000 Milliarden) im Jahr betragen.

Mit einer solchen Summe, verwaltet von einem vernünftigen internationalen Gremium, kann man in den islamischen Ländern eine Wende herbeiführen. Erst dann werden die Massen der Moslems den Fanatikern den Rücken kehren, und der Kampf gegen den fundamentalistischen Terror wird eine Chance haben.

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