Terrorgruppe IS:Vom Informatiker zum Henker

  • Großbritannien diskutiert, wie aus Mohammed Emwazi der Henker "Jihadi John" werden konnte.
  • Emwazi wuchs im Westen Londons in behüteten Verhältnissen auf und studierte an der University of Westminster.
  • Der spätere IS-Milizionär stand seit 2009 im Fokus des britischen Geheimdienstes MI5.
  • Ein Sprecher der Organisation "Cage", die sich um Muslime kümmert, meint, Emwazi sei erst durch die Befragungen und die Überwachung von MI5 radikalisiert worden.

Von Christian Zaschke, London

Wie wurde aus Mohammed Emwazi der Henker "Jihadi John", der im Namen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien westliche Geiseln enthauptet? Über diese Frage wird in Großbritannien auch eine gute halbe Woche nach der Identifizierung des stets schwarz verhüllt auftretenden Killers intensiv diskutiert.

Der 1988 in Kuwait geborene Emwazi kam mit sechs Jahren nach Großbritannien und wuchs im Westen Londons in behüteten Verhältnissen auf. Er ging auf eine gute Schule, studierte an der University of Westminster, wo er 2009 seinen Abschluss als Informatiker machte. Eine drängende Frage: Hätten seine Lehrer früher sehen können oder müssen, dass der junge Mann radikalisiert worden ist?

Home believed to be of IS militant in London epa04638488 An exterior view of a home (R) believed to be where IS militant 'Jihadi John', identified as Mohammed Emwazi, used to live in London, Britain,

In diesem Haus in London soll Muhammaed Emwazi gelebt haben.

(Foto: dpa)

Ehemalige Direktorin: Emwazi war ruhiger Teenager

Die BBC sprach am Montag mit Jo Shuter, die von 2002 bis 2013 Direktorin der Quintin Kynaston Academy war, die Emwazi besuchte. "Ich weiß nicht, wann die Radikalisierung stattgefunden hat", sagte sie, "alles, was ich sagen kann, ist, dass wir nichts davon gewusst haben. Sonst hätten wir etwas getan." Sie beschrieb Emwazi als ruhigen Teenager, der hart arbeitete und ehrgeizig war.

Die Regierung hat eine Untersuchung der Schule angeordnet, um herauszufinden, ob in deren Umfeld eine besondere Gefahr der Radikalisierung besteht. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass neben Emwazi zwei weitere ehemalige Schüler zu Terroristen wurden.

Choukri Ellekhlifi, der zwei Jahre älter als Emwazi war, kam 2013 in Syrien ums Leben. Mohammed Sakr wurde 2012 von einer amerikanischen Drohne getötet, nachdem er sich den Terroristen von al-Shabab in Somalia angeschlossen hatte.

Der britische Geheimdienst hatte Emwazi im Visier

Der britische Geheimdienst MI5 hatte den Verdacht, dass sich auch Emwazi ursprünglich al-Shabab anschließen wollte. Die ehemalige Schulleiterin Shuter sagte: "Es gab nie irgendeinen Verdacht, dass diese jungen Männer, so wie ich sie kannte, radikalisiert worden sind, während sie auf der Schule waren."

Emwazi stand seit 2009 im Fokus der Sicherheitsbehörden. Damals reiste er nach Tansania. Um auf Safari zu gehen, wie er sagte. Um von dort über Kenia nach Somalia zu den Terroristen zu gelangen, vermutete MI5. Ihm wurde die Einreise verweigert, bei seiner Rückkehr wurde er ausführlich befragt. Daraufhin reiste Emwazi nach Kuwait, wo er bis April 2010 für eine IT-Firma arbeitete.

Terrorgruppe IS: Der spätere IS-Milizionär Mohammed Emwazi als Student in London.

Der spätere IS-Milizionär Mohammed Emwazi als Student in London.

(Foto: oh)

Der Guardian hat seinen früheren Chef gesprochen, der sagt: "Er war der beste Angestellte, den wir je hatten. Er konnte gut mit Menschen umgehen. Er war ruhig und anständig." Zweimal reiste Emwazi in dieser Zeit nach London zurück. Beim zweiten Mal wurde er von einer Anti-Terror-Einheit befragt, anschließend wurde ihm die Ausreise verweigert. Sein Ex-Chef sagt: "Wir haben dann nie wieder von ihm gehört. Aber er hat uns noch seine SIM-Karte mit der Post zurückgeschickt."

Eltern meldeten ihn als vermisst

In London bildete sich Emwazi zum Lehrer für Englisch für Ausländer fort, 2012 machte er seinen Abschluss. Er gab an, in Saudi-Arabien als Englischlehrer arbeiten zu wollen, durfte jedoch erneut nicht ausreisen. 2013 änderte er seinen Namen, was in Großbritannien ohne großen Aufwand möglich ist. Erneut versuchte er, nach Kuwait zu reisen, erneut wurde ihm das verweigert. Daraufhin verschwand Emwazi. Seine Eltern meldeten ihn als vermisst. Vier Monate später teilte die Polizei ihnen mit, dass ihr Sohn in Syrien sei.

Offenbar sind Emwazis Eltern wieder permanent nach Kuwait gezogen. Dort wurden sein Vater Jassem, seine Mutter Ghaneyah und sein ältester Bruder Omar am Sonntag laut Guardian von den Behörden vernommen. Den Angaben zufolge gelten die Emwazis in Kuwait nicht als Staatsbürger, weil die Familie ursprünglich aus dem Irak stammt.

Debatte um Grund für Radikalisierung

In Großbritannien wird nun auch darüber diskutiert, ob der Geheimdienst mehr oder weniger hätte tun sollen. Ein Sprecher der Organisation "Cage", die sich um Muslime kümmert, die ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten, argumentiert, Emwazi sei erst durch die Befragungen und die Überwachung von MI5 radikalisiert worden. Er beschrieb Emwazi als "warmen, zartfühlenden Menschen".

Diese Interpretation sorgt in Großbritannien allerdings größtenteils für Unverständnis und Empörung. Eher wird die Frage gestellt, ob der Geheimdienst mit weiterreichenden Befugnissen die heimliche Ausreise des Killers nicht hätte verhindern können.

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