Süddeutsche Zeitung

Terrorgefahr nach Brüssel:Das Terror-Risiko wird überschätzt

Nach den Anschlägen in Brüssel erscheint die Terrorgefahr in Europa und Deutschland größer denn je. Risikoforscher Wolfgang Bonß sagt: alles Quatsch.

Interview von Lukas Ondreka

Wolfgang Bonß ist Soziologe. Er forscht an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München über Öffentliche Sicherheit und Risiko.

SZ: Nach den Anschlägen in Brüssel findet sich in den sozialen Medien das Wahrzeichen Manneken Pis. Es pinkelt auf die Attentäter. Trotz und Humor, Herr Bonß, sind das die richtigen Reaktionen auf den Terror?

Wolfgang Bonß: Das trägt auf jeden Fall zur Bewältigung dieses Schocks bei. Die Menschen in Brüssel und dem Rest Belgiens sind zu beglückwünschen, dass sie zu so einer Reaktion fähig sind.

Die Kehrseite der Gelassenheit ist, dass über schärfere Sicherheitsmaßnahmen gesprochen wird, auch hierzulande. Was bringt das Aufrüsten?

Wenn jetzt zum Beispiel verlangt wird, Flughäfen besser zu schützen, halte ich das für einen ziemlichen Blödsinn. Alle Experten sind sich darin einig, dass es nichts bringt, das "Vorfeld" eines Fluges zusätzlich zu schützen. Denn das führt nur dazu, dass neue "Vorfelder" erzeugt werden. Nach dieser Logik müsste man letztlich alle öffentlichen Räume wie zum Beispiel Bahnhöfe abriegeln. Überdies ist mir kein Fall bekannt, bei dem ein Anschlag durch schärfere Sicherheitsmaßnahmen hätte verhindert werden können. Vielmehr nutzen die Sicherheitsbehörden in der Regel die vorhandenen Möglichkeiten nicht ausreichend. Das gilt auch und gerade für Brüssel: Dort hat man die einschlägige Szene offensichtlich nicht angemessen im Blick gehabt.

Was also tun?

Gerade bei relativ unwahrscheinlichen Bedrohungen wie Terroranschlägen muss man vor allem eins tun, nämlich die Bedrohung entdramatisieren. Manneken Pis ist da ein gutes Beispiel. Zwar ist die Terrorgefahr nicht gering, aber sie hat sich zwischen vorgestern und heute nicht unbedingt erhöht. So hat es mit Frankfurt 2011 in Deutschland bislang nur einen islamistischen Anschlag gegeben, aber mehr als 10 NSU-Tote - darüber wird nach wie vor kaum diskutiert wird. Aktuell wäre es falsch, panisch zu reagieren. Wir dürfen jetzt bloß keine Sicherheitsspirale in Gang setzen, wie schon so oft nach Anschlägen geschehen. Gelassen zu reagieren ist zwar nicht einfach, aber letztlich unabdingbar.

In Deutschland sind viele Menschen im Angesicht des Terrors ganz und gar nicht gelassen. Seit Charlie Hebdo ist hier die Angst vor Terror sprunghaft angestiegen. Das sagt zumindest eine Studie der R+V-Versicherung.

Angsteinflößende Ereignisse wie der Terror in Paris oder jetzt die Anschläge in Brüssel tragen schnell zu einer Verunsicherung der Bevölkerung bei, und die Angst vor Terroranschlägen ist 2015 in der Tat erheblich gestiegen. Aber betrachtet man die Umfragewerte über einen längeren Zeitraum, so verweisen diese auch immer auf eine Art Erregungskurve. Nach dem ersten Schock geht die Angst in der Regel wieder zurück. Und sie muss auch zurückgehen, weil der Alltag sonst längerfristig nicht bewältigt werden kann.

Was können wir gegen die Angst machen, müssen wir uns an die Terrorgefahr gewöhnen?

Ja, so schwer es sein mag, aber wir müssen wohl lernen, mit dem Risiko möglichst angstfrei zu leben. Denn in einer globalisierten und durch die Digitalisierung geprägten Welt haben alle, und damit auch potenzielle Terroristen, mehr Möglichkeiten. An die Stelle eines verabsolutierten Sicherheitsdenkens sollte eine Unsicherheitsorientierung treten. Das bedeutet keineswegs ein uneingeschränktes Bekenntnis zur Unsicherheit. Nehmen Sie das Beispiel der Atomkraftwerke: Da haben sich die Menschen zwar einerseits an das viel zitierte Restrisiko gewöhnt, aber es zugleich bekämpft, und genau deshalb hat Deutschland nach Fukushima auch den Ausstieg beschlossen.

In Deutschland haben die Menschen das Restrisiko der Atomtechnologie nicht akzeptiert - in Belgien schon. Und dort hatten die Terroristen offenbar auch Atommeiler im Visier. Einen erfolgreichen Anschlag auf ein Atomkraftwerk will man sich nur schwer als reales Restrisiko vorstellen. Oder müssen wir auch das?

Nein, auf keinen Fall. Restrisiken, wie sie nicht nur, aber vor allem am Beispiel der Atomtechnologie diskutiert worden sind, zeichnen sich dadurch aus, dass möglicher Schaden trotz aller Sicherheitsbemühungen nicht verhindert werden kann. Bei Anschlägen auf Atomkraftwerke handelt es sich dagegen um aktive Schädigungsversuche, die bekämpft werden müssen und auch bekämpft werden können.

Wie kann ich persönlich lernen, das Restrisiko zu akzeptieren? Gibt es da Bücher?

Nein, und ich bin auch kein Therapeut, der sich mit Angststörungen beschäftigt. Aber prinzipiell geht es darum, die Wahrscheinlichkeit von Bedrohungen zu realisieren. Ich gebe ihnen ein Beispiel: Nach den Terroranschlägen von 9/11 sind viele Leute in den USA auf Autos umgestiegen. Am Ende des Jahres gab es unter dem Strich mehr Verkehrstote als in den Jahren zuvor. Einfach deshalb, weil das Risiko im Straßenverkehr zu sterben höher ist als beim Flugverkehr. Das hat niemand beabsichtigt, war aber wegen des Umstiegs auf ein riskanteres Verkehrssystem kaum zu vermeiden. Im Ergebnis ist die Risikoeinschätzung letztlich schief gelaufen.

Warum liegen wir bei der Risikoeinschätzung so oft falsch?

Wir haben uns an Alltagsrisiken einfach gewöhnt. Weit wichtiger noch ist, dass wir viele Risiken aktiv eingehen und andere eher nicht. Wenn ich rauche oder Auto fahre, dann gehe ich diese Risiken freiwillig ein. Risiken, die man freiwillig und aktiv eingeht, werden in der Regel eher unterschätzt, weil man davon ausgeht, dass man sie beherrschen kann. Unsicherheiten, die von außen kommen und nicht beherrschbar erscheinen, werden hingegen oft überschätzt, weil die Menschen sie nicht in der Hand haben. Genau deshalb ist es wichtig, Risiken nicht zu dramatisieren, sondern sie unter Berücksichtigung der Differenz zwischen objektiver Bedrohung und subjektiver Risikowahrnehmung möglichst kühl einzuschätzen. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Dachziegel erschlagen zu werden ist einfach höher als die Wahrscheinlichkeit einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen.

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