Süddeutsche Zeitung

Terrorgefahr in Deutschland:Die tägliche Warnung vor der Apokalypse

Die Nachrichtendienste waren lange unsicher, wie verlässlich die vielen Hinweise auf Attentate sind. Nun sollen öffentliche Warnungen das Schlimmste verhindern.

Hans Leyendecker

An Hinweisen auf drohende Anschläge hat es in den vergangenen Monaten wirklich keinen Mangel gegeben. Der saudische und auch der marokkanische Geheimdienst wussten von einer Zelle zu berichten, die angeblich Paris ins Visier genommen habe. Es gab Festnahmen. Die Amerikaner warnten vor Terroristen, die in der Sprengung von Gebäuden ausgebildet worden seien und Attentate in Europa planten. Zwei deutsche Islamisten, die im Frühjahr 2009 aus Hamburg an den Hindukusch gezogen waren und in Pakistan und Afghanistan festgenommen wurden, hatten von angeblich sehr konkreten Anschlagsplänen in Europa berichtet. Aber sie nannten keinen Ort und keinen Zeitpunkt für einen Anschlag.

Wenn Nachrichtendienste einen Depeschendienst hätten, der die Öffentlichkeit mit Nachrichten versorgt, wären die Zeitungen voll gewesen von Geschichten über die angeblich täglich drohende Apokalypse. Hunderte Hinweise gab es und noch mehr Geraune. Nur, welcher Tipp war ernst zu nehmen, welcher basierte auf einer Lügengeschichte, welcher beruhte auf der Propaganda islamistischer Wichtigtuer? Selbst die Geheimdienste und Staatsschützer blickten nicht durch. Sie sammelten unablässig Informationen- wie ein Wal, der Tonnen von Wasser in sich hineinschwappen lässt für ein paar Gramm Plankton.

Über die Glaubwürdigkeit der diversen Quellen waren sich die Dienste lange Zeit uneins. Wie ernst sind die Anschlagswarnungen eines Hamburger Islamisten zu nehmen, der nach kurzer Zeit am Hindukusch mit Top-Leuten des Terrors zusammengekommen sein will? Ist er auf seine spezielle Weise seriös, oder ist er eine unseriöse Quelle?

Es gibt keine gemeinsame Lagebeurteilung der internationalen Dienste. Sie bewerten solche Aussagen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich. Manchmal spielen bei der Auslegung auch sicherheitspolitische Debatten eine Rolle. Amerikanische Dienste sind leichter bereit, vom Schlimmsten auszugehen, als zum Beispiel der Bundesnachrichtendienst. So wurden dieselben Aussagen festgenommener Dschihadisten von den amerikanischen Behörden und den deutschen Behörden lange Zeit unterschiedlich bewertet. Die Amerikaner beharrten darauf, dass ihre Warnungen furchtbar ernst zu nehmen seien, und verwiesen dann auf weitere Informationen, die den Europäern nicht zur Verfügung stünden, die aber sehr alarmierend seien.

Zu den Regularien der deutschen Sicherheitsbehörden gehört es, dass sie Sicherheitsstufen festlegen. Es gab in den vergangenen Wochen eine neue Nachricht eines ausländischen Polizeidienstes, dass auch in Deutschland ein Anschlag drohe. Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte und hat keinen Beleg dafür, dass diese Warnung falsch ist. "Bei diesem Stand müssen wir von einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Anschlagsplanung ausgehen", sagt ein hochrangiger Sicherheitsbeamter. Nachdem das BKA durch eigene Ermittlungen auch Hinweise auf mögliche Anschlagsplanungen in Deutschland erhielt, spitzte sich die Lage nun zu.

Terroranschläge seien "ernsthaft naheliegend", schreibt das Bundeskriminalamt (BKA) in einer frischen Analyse zu den Gefahren des islamistischen Terrorismus. Was heißt das? Droht die Gefahr heute, morgen, übermorgen, droht sie immer oder nie?

Ob eine Warnung berechtigt war oder nicht, das lässt sich leicht feststellen, wenn etwas passiert ist. Wenn aber am Ende nichts passiert, dann kann es schon sein, dass die starke und spürbare Prävention durch die Behörden ein Attentat verhindert hat. Es kann sogar sein, dass potentielle Attentäter durch starke Präsenz des Staates abgeschreckt werden. Manchmal werden auch Terrorpläne durch Bürger vereitelt. Ein Beispiel dafür ist der gescheiterte Autobomben-Anschlag am 1.Mai dieses Jahres auf dem New Yorker Times Square, der dank der Wachsamkeit von Passanten verhindert werden konnte.

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SZ vom 18.11.2010/wolf
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