Zum Beispiel Mohammed Ilyas Kaschmiri: Die Amerikaner dachten, sie hätten ihn längst getötet. Angeblich war er im September 2009 einem US-Drohnenangriff im Nordwesten Pakistans zum Opfer gefallen. Aber das unbemannte Predator-Flugzeug verfehlte ihn.
Einige Zeit nach der vermeintlichen amerikanischen Erfolgsmeldung meldete sich der Gejagte zu Wort. Er empfing im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet einen Reporter der Asia Times. Der 1,80 Meter große Untergrundkämpfer ging am Stock, trug ein Maschinengewehr über der Schulter und plauderte dann wolkig über kommende Schlachten. "Ich würde sagen, jedes Ziel hat seine Zeit und seine Gründe", erklärte Kaschmiri, der im Kampf gegen sogenannte Ungläubige ein Auge verloren hat und zu Unrecht als früherer Angehöriger pakistanischer Elite-Truppen dargestellt wird. Der Mann weiß immerhin, wie man einen Guerilla-Krieg führt, er hat es schon im Kampf gegen die Sowjets gelernt.
Droht von einem wie ihm Gefahr für Deutschland? Seit längerer Zeit warnen die US-Sicherheitsbehörden ihre deutschen Kollegen immer wieder davor, dass der einäugige Kaschmiri ein bis zwei Dutzend seiner Kämpfer nach Europa geschickt haben könnte, um hier Anschläge zu begehen. Womöglich planten sie eine Kommandoaktion wie jene in Mumbai, wo Terroristen vor zwei Jahren tagelang wüteten und dabei fast 200 Menschen töteten.
In deutschen Sicherheitskreisen heißt es, der Hinweis auf Kaschmiri sei nicht der konkrete Anlass für jene Terrorwarnung, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Mittwoch ausgegeben hat. Aber alle Informationen über den angeblichen Terroristen Kaschmiri werden sorgfältig ausgewertet.
Die Gefahr hat viele Gesichter und die Angst vor Kaschmiri und anderen mutmaßlichen Qaida-Größen offenbart das Dilemma deutscher und europäischer Sicherheitsexperten. Sie kennen viele zwielichtige Figuren, denen man das Schlimmste zutrauen muss, aber es ist schwer zu erkennen, wo die größte Gefahr in diesem Augenblick wirklich lauert. Mal sind es aus Deutschland nach Afghanistan oder Pakistan gereiste Terrorlehrlinge, die auf der Rückreise sind, mal ein aufstrebender Strippenzieher am Hindukusch, mal al-Qaida im Maghreb oder jene auf der arabischen Halbinsel.
Die vereitelten Anschläge mit Paketbomben aus dem Jemen jedenfalls beweisen, dass höchste Wachsamkeit auch neun Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Amerika geboten ist. Die Qaida- Führung um Osama bin Laden sorgt sich zwar vor allem um das eigene Überleben und mag geschwächt sein.
Auch deren Bilanz ist durchwachsen: Der islamistische Terror der Nullerjahre hat zwar mächtige Spuren in der Geschichte hinterlassen, letztlich aber hat er den Anhängern von Kalifat, Gottesstaat und der Vertreibung des westlichen Satans so gut wie keine strategischen Erfolge beschert, nicht einmal in Afghanistan oder im Irak. All diesen Rückschlägen zum Trotz ist es entschlossenen und versierten Terroristen jederzeit zuzutrauen, abermals eine große Zahl Unschuldiger zu töten, ob auf einem Transatlantikflug, in einer europäischen Hauptstadt oder an der Ostküste der USA.
Ein Mann wie Kaschmiri gilt den Sicherheitsexperten in Washington und anderswo deswegen als so gefährlich, weil er einerseits im lokalen Dauerkrieg um Afghanistan aufgewachsen ist und die Kunst des Guerillakampfes mit all seinen Widrigkeiten beherrscht. Andererseits denkt er global, sieht seine Ziele im großen internationalen Kontext. Zu diesem rechnet er eben nicht nur die Nato in Afghanistan, sondern auch die Auseinandersetzung mit Indien um Kaschmir und europäische Mohammed-Karikaturen.
Die US-Justiz hat Mohammed Kaschmiri denn auch angeklagt, weil er sich an verschiedenen Verschwörungen beteiligt haben soll, nicht nur in Indien, sondern zum Beispiel auch in Europa. Kaschmiri soll einen Komplizen auf die Reise geschickt haben, um einen Anschlag auf die dänische Zeitung Jyllands Posten zu begehen, die im Jahr 2005 die Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte. Laut US-Anklageschrift soll Kaschmiri seinem Mitverschwörer erklärt haben, bei wem in Europa er Geld, Waffen und Gehilfen anfordern könne.
Auch Dschihadisten aus Deutschland unterstützen diese Gotteskrieger. Dieses Netzwerk mit den vielen europäischen Knoten ist noch immer das größte Kapital der angeschlagenen al-Qaida. Die Amerikaner sehen in Kaschmiri einen der neuen Anführer, aber die Afghanistanreisen etlicher zorniger Männer aus Deutschland haben gezeigt, dass Terroraufträge nicht nur von Qaida-Prominenten, sondern auch von weitgehend unbekannten Anführern stammen können. Vielleicht sind die Namenlosen sogar noch gefährlicher als der gefürchtete Einäugige.