Süddeutsche Zeitung

Terrorgefahr in Deutschland:Gefährliche Stümper

Noch nie wussten deutsche Sicherheitsbehörden so viel über die Gruppe islamistischer Fanatiker. Doch dieses Wissen allein hilft nicht: Die Hauptgefahr geht von Dilettanten aus, die nicht den ganz großen Plot planen.

Hans Leyendecker

Gefährder sind Leute, von denen Staatsschützer meinen, dass sie möglicherweise "politisch motivierte Straftaten von erheblichem Ausmaß" begehen könnten. Vor einigen Jahren waren es 60 Islamisten, die von deutschen Sicherheitsbehörden so eingestuft wurden. Derzeit sind es schon 131. Die "Gefährder" sollen auf rund 300 mögliche Unterstützer zählen können. So steht es jedenfalls in amtlichen Unterlagen.

Besonders im Fokus der deutschen Ermittler sind jene knapp 40 Islamisten, die nach der paramilitärischen Ausbildung in Lagern und nach Kämpfen am Hindukusch nach Deutschland zurückgekehrt sind. Sie werden fast rund um die Uhr überwacht. Hunderte Sicherheitsbeamte versuchen derzeit, die Szene im Blick zu behalten.

Noch nie wussten deutsche Sicherheitsbehörden so viel über die Träumer und Fanatiker, Hochstapler und Wirrköpfe einer ideologisch orientierten Gruppe, die möglicherweise Terroranschläge plant. Die dritte Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) blieb ein Phantom; die Namen möglicher dschihadistischer Verschwörer und vieler ihrer Sympathisanten hingegen finden sich in amtlichen Akten.

Doch die meiste Gefahr, da waren sich Sicherheitsleute immer relativ sicher, geht nicht von denen aus, die im Visier der Behörden sind, sondern von Dilettanten, die nicht den ganz großen Plot planen, sondern einmal bomben und dabei wild um sich schießen. Also von Einzeltätern, die sich durch das Studium extremistischer Schriften radikalisiert haben und selbst auf eigene Faust losschlagen.

Prototyp: "Kofferbomber"

Prototyp waren die beiden "Kofferbomber" aus Köln, die 2006 mit selbstgebauten Sprengkörpern in zwei Regionalzügen möglichst viele Menschen töten wollten. Auch der 18 Jahre alte Kevin S., der Anfang November festgenommen wurde, nachdem er sich Bombenanleitungen im Internet heruntergeladen hatte, war ein solcher Einzelgänger. Der junge Islamist hatte behauptet, für eine Gruppe von zehn zu allem entschlossenen deutschen Mudschaheddin zu sprechen - doch er war nur ein Hochstapler.

Das Phantom des Einzeltäters zieht sich durch die Geschichte der Attentate, und zwar seit der Ermordung des Königs Heinrich IV. von Frankreich im Mai 1610. Das Handwörterbuch der Kriminologie, Band 4, zitiert eine Langzeitstudie, derzufolge von 52 untersuchten Attentaten 30 von Einzeltätern verübt worden seien. Fachleute unterscheiden dabei "echte" und "vorgeschobene" Attentäter. Die einen handeln allein aus eigenem Entschluss, die anderen führen die Tat nur aus. Dieser Untersuchung zufolge ist der gewöhnliche Attentäter männlich, im Schnitt 28,3 Jahre alt, und meist handelt es sich um eine gescheiterte Existenz.

Ganz neu ist die Geschichte der Terroranschläge also nicht. In einem Aufsatz über die "Träumer des Absoluten" wies Hans Magnus Enzensberger darauf hin, dass allein im Jahr 1892 in Amerika 500 und in Europa mehr als 1000 Sprengstoffattentate registriert wurden. Das Ziel waren damals Könige und Minister, aber auch das sonstige leitende Personal, was daran zu erkennen war, dass die Bomben vorwiegend in Börsensälen, Clubs und Parlamenten explodierten.

Jede Generation führt die Diskussion über die jeweils drohende Terrorgefahr neu, dennoch verlaufen die Debatten in bekannten Bahnen. Die Befürworter von mehr Sicherheitsgesetzen fordern nach den Ereignissen von Stockholm mehr Sicherheitsgesetze.

"Solche Leute sind nicht pünktlich"

Das Bundesinnenministerium bleibt vergleichsweise gelassen; allgemein wird unverbindlich das Engagement gegen den Terrorismus neu beschworen. Die Diskussion über den fanatisierten Einzelkämpfer an sich signalisiert aber auch, dass die ganz große Gefahr durch organisierte Terrorgruppen, die vor Wochen noch heraufbeschworen wurde, im Moment jedenfalls nicht mehr als so groß wahrgenommen wird.

Von der Existenz einer sunnitisch-schiitischen Kampfgruppe, die in Deutschland angeblich Anschläge nach dem Mumbai-Vorbild plane, wird auch von Sicherheitsleuten nur noch mit ironischem Unterton gesprochen, und einige Landesinnenminister erklären mittlerweile in Hintergrundgesprächen, der Hype habe im Wesentlichen nur auf Meldungen amerikanischer Quellen basiert - die Warnungen seien also schwer zu durchschauen gewesen.

Angeblich sollten einige Terroristen, auch das stand in Warnmeldungen, bis Ende November in Deutschland einreisen. Die Frage eines Ministers, wo sie denn blieben, beantwortete ein Sicherheitsbeamter so: "Solche Leute sind nicht pünktlich, Herr Minister, und auch nicht verlässlich". Immerhin: Darauf ist Verlass.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2010/mob
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