Terrorgefahr:Auf welchen Indizien die Anklage gegen den Frankfurter Terrorverdächtigen beruht

Terrorverdacht in Oberursel

Polizeibeamte durchsuchen am 30. April 2015 die Wohnung von Halil D. und seiner Familie in Oberursel (Hessen).

(Foto: Boris Roessler/dpa)
  • In Frankfurt beginnt der Prozess gegen einen Mann, der verdächtigt wird, einen Anschlag auf ein Radrennen geplant zu haben.
  • Die Anklage stützt sich auf Indizien, Beweise gibt es nicht.
  • In seiner Wohnung wurden zwei Liter Wasserstoffperoxid und eine Rohrbombe gefunden, von der jedoch unklar ist, wie gefährlich sie wäre.

Von Lena Kampf und Georg Mascolo

Es sind 74 Zeugen geladen. 14 Sachverständige müssen angehört werden. Eine Rohrbombe, 34 mal 20 Zentimeter, mit 239 kleinen Nägeln, 22 Stahlkugeln und fünf Blindnieten gefüllt, wird im Saal 2 des Landesgerichts Frankfurt in Augenschein zu nehmen sein. An mindestens 30 Verhandlungstagen wird es dort von kommender Woche an um die Frage gehen: Ist in Deutschland im vergangenen April knapp ein terroristischer Anschlag verhindert worden, der Dutzende Menschen hätte töten können?

Der einzige Angeklagte heißt Halil Ibrahim D., Bilder zeigen einen stämmigen Mann mit Glatze und szenetypischem Bart. Der deutsche Staatsbürger mit türkischen Wurzeln Halil D., 35 Jahre alt, arbeitslos, ehemals Chemiestudent, hat Verbindungen in die salafistische Szene und plante angeblich einen Anschlag auf das Radrennen "Rund um den Finanzplatz" am 1. Mai 2015. Einen Tag vorher wurde der Wettkampf abgeblasen. Solche Warnungen gab es nun mehrmals, abgesagt wurden auch Karnevalsveranstaltungen, Fußballspiele oder Silvester am Münchner Hauptbahnhof. Aber meist erweisen sich die Hinweise als falsch oder zumindest nicht verifizierbar. D. ist der einzige bisher gefasste Verdächtige.

Am 30. März um 16 Uhr 34 betraten Halil D. und seine Frau Senay D. in dunkelblauem Gesichtsschleier, der Niqab, mit ihren beiden Kleinkindern einen Frankfurter Baumarkt. Laut Aussagen des Ehepaares wollte die Familie Holz für ein Regal kaufen, Halil D. besorgte zusätzlich auch drei Literflaschen Wasserstoffperoxidlösung, 19,9 Prozent. Die Baumarktmitarbeiterin bat D. um seine Personalien, ein Routinevorgang, der von einer bestimmten Menge an vorgeschrieben ist. Doch Halil D. zeichnete mit falschen Personalien.

D. soll sich in "verdächtiger Weise" entlang der Rennstrecke bewegt haben

Ein Fingerabdruck führte die Polizei zu D., der wegen Körperverletzung vorbestraft ist. Fast vier Wochen lang wurde die Familie observiert. Die Ermittler stellten fest, dass D. sich in "verdächtiger Weise" entlang der Strecke des Radrennens bewegte. Er fuhr mit seinem BMW immer wieder auf den Landstraßen, auf denen wenige Wochen später auch mehr als 5000 Radfahrer rollen sollten, hielt mit seiner Familie, und nachts auch allein, an Waldparkplätzen an der Strecke. Ende April nahm ein Spezialeinsatzkommando das Ehepaar fest.

Im Keller fanden die Ermittler eine funktionsfähige Rohrbombe und Waffenteile. Die Kripo ging davon aus, dass "wir ein Anschlagsgeschehen verhindert haben", so der Polizeipräsident für Westhessen, Stefan Müller, am Tag nach der Festnahme. Das Radrennen sei ein "weiches Ziel", ähnlich wie der Boston-Marathon 2013, bei dem drei Menschen durch Sprengsätze starben. Die D.s waren jetzt in den Medien das "Terrorpaar von Oberursel".

Es gibt nur Indizien, keine Beweise

Wenige Wochen später musste die Staatsanwaltschaft Frankfurt Senay D., gelernte Rettungssanitäterin, bereits wieder freilassen; sie hatte ausgesagt, nichts von Waffen gewusst zu haben. Das Verfahren gegen die 35-Jährige wurde eingestellt. Bei Anklageerhebung gegen D. im Oktober war sich die Staatsanwaltschaft Frankfurt zwar sicher: Halil D. sei fest entschlossen gewesen, mit der Rohrbombe und den aus Bauteilen hergestellten Waffen bei einer Großveranstaltung aus dschihadistischen Motiven einen Anschlag zu begehen. Nur das Ziel sei nicht klar. Für ein geplantes Attentat auf das Radrennen gebe es keinen hinreichenden Tatverdacht.

Erst das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, das den Fall von D. auf den Tisch bekommen hatte, schärfte die Anklage nach: Der Senat sei davon überzeugt, heißt es in einem Beschluss, dass der Angeschuldigte D. die Wasserstoffperoxidlösung zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat beschafft und als Anschlagsziel das Radrennen zumindest in Betracht gezogen habe.

Vor dem Frankfurter Landgericht beginnt am 21. Januar nun vermutlich ein ebenso langer wie mühsamer Indizienprozess. Halil D. war nach bisherigem Kenntnisstand nie in einem Lager von al-Qaida oder der Terrormiliz Islamischer Staat. Er hatte zwar Kontakte zu Männern aus dem islamistischen Spektrum, die Polizei fand aber keine Hinweise auf eine strukturelle Einbindung in eine Tätergruppe. Es wurden Propaganda-Videos bei ihm gefunden, ebenso wie ein verschlüsselter USB-Stick mit dem Betriebssystem "Tails", mit dem auch Edward Snowden kommunizierte.

Das Wasserstoffperoxid wurde nachweislich zur Schimmelbekämpfung benutzt

"Sein Bart wurde immer länger", berichtete ein Zeuge aus der Schulzeit über D.s Hinwendung zum Islam. Und die Schwester des Angeklagten, zu der dieser kein gutes Verhältnis hat, erzählte den Ermittlern von ihrem Eindruck, er sei einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Ist Halil D. also einer jener einsamen Wölfe, von denen in diesen Zeiten eine große Bedrohung ausgeht? Die monatelangen Ermittlungen wurden mit größter Akribie betrieben, und doch bleibt die Geschichte undurchsichtig.

Da ist das Wasserstoffperoxid. Die Ermittler haben die Baumarktunterlagen über andere Käufer überprüft und hielten fest, es könne bei drei Litern nicht von einer unüblichen Menge gesprochen werden. 2,9 Liter davon hat die Polizei in der Wohnung und im Keller der D.s gefunden, 100 Milliliter waren verbraucht. Zur Schimmelbekämpfung sei das Zeug bestimmt gewesen, sagten beide Eheleute in einer ersten Vernehmung, ihre Aussagen wurden als glaubhaft eingeschätzt. Whatsapp-Nachrichten von Senay D. zeigen, dass sie sich mit einer Freundin über den schlimmen Schimmelbefall im Schlafzimmer unterhalten hat. Als ein vom LKA mit der Prüfung beauftragter Sachverständiger die Wohnung betrat, bemerkt er sofort, dass sich dort bereits behandelter Schimmel befand, in einer Sprühflasche wurden Rückstände der Lösung gefunden.

Doch dass D. die Chemikalien auch gegen seinen Schimmel benutzt habe, mache ihn nicht unverdächtig, folgerte das OLG. Möglicherweise habe D. lediglich die Wirksamkeit des Stoffes überprüfen wollen? Was also hatte er mit dem Rest vor?

Da ist auch die Rohrbombe, ein Stück Metall mit Schraubverschlüssen an beiden Seiten und einem Bohrloch, aus dem eine kurze Lunte ragt. Verschiedene Gutachten hat das Landeskriminalamt dazu eingeholt, doch die Experten können mit dem Ding wenig anfangen: Die Bombe ist "zündfähig" und gefährlich im Umkreis von acht bis zehn Metern. Ob sie Menschen töten kann, ist nicht klar, genauso wenig wie ihr Alter. Sicher ist nur: Das Loch wurde nicht kurz zuvor ins Rohr gebohrt, und die Konstruktion der Bombe ist "sprengtechnisch unlogisch", schrieb einer. Es wirke, als habe jemand einen "handelsüblichen Böller nachgebaut".

Keine der anderen gefundenen Waffen ist funktionsfähig

Halil D., der den Ermittlern nach seiner Festnahme kenntnisreich erklärt hatte, wie er das Wasserstoffperoxid zur Schimmelbekämpfung benutzt hat, schwieg plötzlich, als die Beamten ihn mit der Bombe aus seinem Keller konfrontierten. Ein alter Schulfreund sagte später aus, dass D. und er als Teenager solche Bomben gebaut haben, um Zigarettenautomaten aufzusprengen. D. sei damals schon ein Bombennarr gewesen.

Und wie sind die Waffen im Keller zu erklären? Darunter ein Übungsgeschoss für eine Panzerfaust, eine Schulterstütze, ein Griffstück und ein Magazin des Sturmgewehrs G3, Hunderte Patronen und zwei umgebaute Schreckschusspistolen. Keine der Waffen ist funktionstüchtig. Daneben lagern Schlagringe und Butterflymesser. Und schließlich fanden die Ermittler 37 handgeschriebene Karteikarten: "Sumpfbombe", "Düngerbombe", "Stinkbombe" sind sie überschrieben, aber auch: "Möglichkeit, einen Herzanfall vorzutäuschen", "Gewitter Experiment", "Quarkleim", "Raketengetriebene Harpune" und "Abwehrmittel gegen Schlangen". Unter "Eine Explosion, um irgendetwas zu sprengen" steht am Ende: "Nach dem Anzünden läuft man möglichst weit weg". Unter "9 Hausmittel" sind "Kamille, Thymian und Huflattich" vermerkt. Auf den Karten sind Substanzen zum Teil mit D-Mark-Preisen angezeigt.

Halil D. hat in seiner Vernehmung gesagt, er wisse nicht, "wo der Vorwurf herkommt und um welches Radrennen es sich handelt". Die falschen Personalien habe er im Baumarkt angegeben, weil er nichts Verbotenes vorgehabt habe, er habe keine Probleme bekommen wollen. Seitdem schweigt er.

Sein Anwalt, der Frankfurter Strafverteidiger Ali Aydin, hat Beschwerde gegen die Untersuchungshaft seines Mandanten eingelegt: Es müsse die Frage gestellt werden, ob D. weiterhin sitzen würde, "wenn er keinen muslimisch klingenden Namen und keinen Bart hätte". Zuletzt hat Aydin gar das Bundesverfassungsgericht angerufen, Halil D. sei in seiner Menschenwürde verletzt. Bis das Verfassungsgericht über die Zulässigkeit entscheidet, wird der Prozess begonnen haben. Rechtsanwalt Aydin hat eine Einlassung seines Mandanten angekündigt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: