Terroranschlag von Wien:"Nicht tolerierbare Fehler"

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Sicherheit first: Angehörige des Polizei-Einsatzkommandos Cobra stehen mit ihrem gepanzerten Fahrzeug Wache vor dem Bundeskanzleramt am Ballhausplatz in Wien. (Foto: Alex Halada/imago images/Alex Halada)

In Österreich werden weitere Pannen bei den Ermittlungen zu Kujtim F. bekannt, in Deutschland durchsuchen Polizisten die Wohnungen von vier Bekannten des Attentäters.

Von Florian Flade und Cathrin Kahlweit, Wien/München

In Wien folgt derzeit eine Krisensitzung des Innenministeriums und der Polizeibehörden auf die andere. Am Freitagmorgen war nach Recherchen von SZ, NDR und WDR bekannt geworden, dass es eine zweite Ermittlungspanne im Zusammenhang mit dem islamistischen Anschlag vom Montag gegeben hatte. Der Besuch von zwei aus Deutschland stammenden, behördenbekannten und unter Überwachung stehenden Islamisten bei dem späteren Attentäter Kujtim F. war zwar vom österreichischen Verfassungsschutz registriert worden, hatte aber zu keinen weiteren Konsequenzen geführt.

Etwa zur selben Zeit war F. auch mit einem Komplizen zum Munitionskauf in die Slowakei gefahren, was die slowakischen Behörden nach Wien meldeten; auch das führte offenbar nicht dazu, dass der spätere Täter konsequenter observiert oder gar erneut festgesetzt wurde. Am Freitag trat deshalb der Leiter des Wiener Landesamtes für Verfassungsschutz, Erich Zwettler, zurück. Innenminister Karl Nehammer sagte auf einer Pressekonferenz, es habe "offensichtliche und nicht tolerierbare Fehler in den Ermittlungen" gegeben.

Zwei Moscheen in Wien sollen geschlossen werden

Die Regierung in Wien kündigte außerdem die Schließung zweier radikaler Moscheen an, darunter der Moschee in Ottakring, in welcher der spätere Attentäter radikalisiert worden war. Außerdem sollen Bundes- und Landesverfassungsschutz im Lichte der jüngsten Erkenntnisse noch einmal alle derzeit gelisteten sogenannten Gefährder und Gefährdungseinschätzungen überprüfen. Kujtim F. hatte am Montag bei einem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt vier Menschen ermordet und mehr als 20 teils schwer verletzt.

Der Rücktritt in Wien ergab sich aus letztlich aus Erkenntnissen, die in Deutschland gesammelt worden waren. Dort hatten die Sicherheitsbehörden unmittelbar nach dem Anschlag in Wien vier Islamisten in den Blick genommen, von denen bekannt war, dass sie mit dem Attentäter in Kontakt gestanden hatten. Unter ihnen waren zwei Männer in Osnabrück sowie eine Person aus Kassel und dem Kreis Pinneberg. Die Islamisten sind zwischen 19 und 25 Jahren alt, drei besitzen die deutschen Staatsangehörigkeit, einer ist Kosovare. Das Bundeskriminalamt (BKA) observierte sie nach dem Anschlag rund um die Uhr und überwachte ihre Telefone.

Am Freitag kam das BKA, unterstützt durch die GSG 9

Am Freitagmorgen dann rückte das BKA, unterstützt durch die GSG 9-Spezialeinheit der Bundespolizei, an und durchsuchte die Wohnungen der vier Männer. Gegen die vier Personen bestehe "nach bisherigem Stand der Ermittlungen (...) kein Anfangsverdacht für eine Beteiligung an dem Anschlagsgeschehen", teilte das BKA an.

Die Islamisten waren schon vor einiger Zeit in den Fokus der Ermittler geraten. Im BKA beschäftigt man sich seit mehr als einem Jahr mit der möglichen Entstehung neuer dschihadistischer Netzwerke mit Balkan-Bezug, der Gefahrenabwehrvorgang trägt den Namen "Metapher". Im Juli soll sich einer der Extremisten aus Osnabrück gemeinsam mit dem Mann aus Kassel in Wien aufgehalten haben. Dabei trafen sie offenbar den späteren Attentäter Kujtim F. und übernachteten in dessen Wohnung. Die österreichischen Behörden bekamen den Besuch mit und meldeten den Vorgang an den deutschen Verfassungsschutz.

Was die Männer in Wien wollten und wie eng der Kontakt zu F. war, ist bislang unklar - die Ermittler erhoffen sich mehr Aufschluss durch die Durchsuchungen vom Freitag. Der Zeitpunkt des Besuchs jedenfalls ist brisant: Denn Ende Juli soll Kujtim F. mit einer bis heute unbekannten Person in die Slowakei gereist sein, um Munition für ein Sturmgewehr zu kaufen.

Auch der 22-jährige Anzor W. aus dem Kreis Pinneberg, bei dem eine Durchsuchung stattfand, hatte zwischenzeitlich in Wien gelebt. Er war im Juli 2019 in die österreichische Hauptstadt gezogen, hatte sich dort allerdings nicht angemeldet. Im Oktober 2020 soll er von österreichischen Behörden nach Deutschland ausgewiesen worden sein. W. ist bereits länger aktenkundig. Er wurde im Frühjahr 2018 vom Landgericht Hamburg wegen einer versuchten Ausreise nach Syrien zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass er sich im April 2017 mit fünf weiteren Islamisten aus Norddeutschland ins Kriegsgebiet aufgemacht hatte, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. In Bulgarien wurde die Gruppe von Grenzpolizisten gestoppt und festgenommen.

Spuren führen auch zum Prediger "Abu Walaa"

Anzor W. war vor seinem Ausreiseversuch schon bei Ermittlungen zum Netzwerk rund um den islamistischen Prediger Ahmad Abdulaziz Abdullah A. alias "Abu Walaa" aus Hildesheim aufgefallen. Im März 2016 soll W. das sogenannte Osterseminar des Predigers besucht haben. Bei einer anschließenden Durchsuchung stießen die Ermittler auf handschriftliche Notizen, die sie als Anweisungen zur Vorbereitung zur Ausreise in den Krieg oder sogar eines Selbstmordanschlags werteten.

Nach dem Anschlag in Wien hatten die österreichischen Ermittler eine europäische Ermittlungsanordnung an die deutschen Behörden gerichtet und Daten übermittelt mit der Bitte, diese zu überprüfen. Inzwischen hat der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da in Wien auch eine Deutsche getötet wurde. Das Verfahren richtet sich gegen unbekannt.

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