Terroranschlag in Kunming:Entsetzen über Chinas "9/11"

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Der Schock reicht tief: Analog zu "9/11" wird der Anschlag in Kunming in China vielfach schon als "3/01" bezeichnet. (Foto: AFP)

Der Terrorakt im Südosten Chinas schockt die Bevölkerung - und wird schon als "3/01" bezeichnet. Peking bezichtigt uigurische Separatisten, für das Messer-Massaker mit Dutzenden Toten verantwortlich zu sein. Falls das stimmt, wären die Folgen gravierend.

Von Kai Strittmatter, Peking

Mindestens 33 Tote, mehr als 140 Verletzte - der Terroranschlag, der die Stadt Kunming im Südosten Chinas in der Nacht von Samstag auf Sonntag heimsuchte, hat die Chinesen schockiert. Augenzeugenberichten zufolge waren mehr als zehn in Schwarz gekleidete Männer und Frauen in den Bahnhof der Stadt gestürmt und hatten mit langen Messern und Macheten wahllos die dort wartenden und Schlange stehenden Menschen niedergemetzelt.

Sie töteten demnach 29 Menschen, vier der Angreifer wurden von der Polizei erschossen. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete später unter Berufung auf die Stadtregierung, der Angriff sei von "Separatisten aus Xinjiang orchestriert" worden. Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping, versprach, einen "harten Schlag" gegen alle terroristische Gewalt.

Sollten die Täter wirklich Angehörige der uigurischen Minderheit aus Xinjiang sein, dann könnte der Angriff schwerwiegende Folgen nach sich ziehen für das Verhältnis zwischen den landesweit 92 Prozent Han-Chinesen und den etwa zehn Millionen Uiguren, die die Grenzprovinz im Westen ihre Heimat nennen.

Xinhua sprach in einem Kommentar von "Chinas 9/11", was angesichts der Opferzahl - etwa 3000 in New York, bislang 30 in Kunming - ein stark überspitzter Vergleich ist; und doch zeichnet sich ab, dass der Effekt auf die Psyche Chinas lange anhalten wird. Staatsmedien und Internetnutzer sprechen von dem am 1. März verübten Anschlag schon als "drei null eins".

"Ich konnte meine Mutter nicht mehr fortziehen"

Gewalt in der Unruheprovinz Xinjiang war in den vergangenen Jahren alltäglich geworden, viele Chinesen hatten sich an die Meldungen gewöhnt. Aber das Massaker von Kunming ist der erste Angriff mit so vielen Toten außerhalb Xinjiangs, und es ist der erste Angriff, dem nicht vor allem Polizisten des bei vielen Uiguren verhassten Staates zum Opfer gefallen sind, sondern unschuldige Zivilisten.

Dass das Entsetzen über den Anschlag so tief geht, hat auch mit den sozialen Medien zu tun. Während Chinas Staatsmedien früher die Berichterstattung über sensible Ereignisse monopolisierten und nicht selten verzögerten oder stark zensierten, konnten User bei Mikroblogging- und Nachrichtendiensten wie Weibo oder Weixin das grausame Geschehen praktisch live verfolgen.

Ein Mann berichtete, wie er mit seinen Eltern um sein Leben lief, als die Mutter über einen Stuhl stolperte. "Ich konnte meine Mutter nicht mehr fortziehen, da wollte es mein Vater tun, aber der Mörder hatte ihr schon den Hals aufgeschlitzt." Augenzeugen twitterten um Hilfe, berichteten von ihrer Todesangst und fanden doch Zeit, Fotos vom blutigen Tatort online zu stellen. Viele der Fotos wurden von der Zensur schnell gelöscht.

Xinjiang ist als Grenzprovinz und Reservoir von Rohstoffen für Peking von strategischer Bedeutung. Peking investiert seit Jahren große Summen in die Provinz und verweist auf die positive Wirtschaftsentwicklung, unter den turksprachigen und muslimischen Uiguren allerdings wuchs der Unmut. Einst stellten sie die Mehrheit in der Provinz, nun klagen sie, der Zuzug von Millionen von Han-Chinesen mache sie zur Minderheit in der eigenen Heimat.

Die Investitionen und die guten Jobs kämen hauptsächlich Han-chinesischen Zugezogenen zugute. Zudem verweisen sie auf die Beschneidungen ihrer religiösen Freiheit. 2013 starben mehr als 100 Menschen in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Uiguren und Vertretern des Staates.

Im Oktober 2013 dann fuhren Mitglieder einer uigurischen Familie auf Pekings Tiananmen-Platz mit einem Jeep in eine Menschenmenge und töteten zwei Passanten. Chinas Regierung spricht seit Jahren regelmäßig von "terroristischen Anschlägen" und von "ausländischen Unterstützern", blieb überzeugende Belege dafür aber bislang schuldig.

Journalist warnt vor vorschnellem Urteil

Exiluigurische Organisationen verweisen oft auf die Repression in Xinjiang und sagen, Peking dulde nicht einmal moderate Stimmen der Kritik: Unlängst verhafteten Sicherheitsorgane den in Peking lebenden Universitätsdozenten Ilham Toti, einen gemäßigten Sprecher für die Sache der Uiguren. Vergangene Woche wurde bekannt, dass Toti nun wegen "Separatismus" angeklagt werden soll, dafür kann man in China zum Tode verurteilt werden.

Chinas Öffentlichkeit ist derweil nicht in der Stimmung, über Hintergründe zu diskutieren. "Sprecht dies mir nach: Ich bin gegen alle Terrorangriffe gegen Zivilisten", beginnt einer der populärsten Tweets auf Weibo: "Egal wie viel du gelitten hast und wie edel deine Motive sein mögen - wenn du Menschenleben nimmst, bist du ein Feind der Menschheit, ein Verbrecher, der den Tod verdient. Deine Geschichte interessiert mich nicht, dein Anliegen ist mir egal, reden ist sinnlos."

Es gab auch weitverbreitete Nachrichten wie jene von Luo Changping, Chinas bekanntestem Journalisten, der vor einem allzu schnellen Urteil warnte. Lehre die Erfahrung einen doch, dass Chinas zensierte Presse "einem nie erzählt, was wirklich passiert ist". Es reiche der Parteipresse, "wenn du blind hasst, von unbestimmter Furcht erfüllt bist, schlafwandelnd durchs Leben gehst und am Ende stirbst, ohne wirklich verstanden zu haben". Andere Nutzer attackierten Luo daraufhin und warfen ihm vor, er zeige Sympathie mit den Angreifern.

© SZ vom 03.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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