Der Terrorismusverdächtige Ramsi bin al-Schibb erscheint vor einem Militärtribunal auf dem US-Stützpunkt Guantanamo Bay und wirft den Wachen vor, dass sie ihn quälen. Er spricht über nächtliche Geräusche, "Schläge gegen die Wand meiner Zelle" oder über "Vibrationen". "Es ist, als würde man im Auto sitzen, wenn der Motor an ist", sagt bin al-Schibb. "Es ist sehr störend, sehr zermürbend, sehr . . . es macht einen verrückt."
Bin al-Schibb, 44, im Jemen geboren, später nach Deutschland ausgewandert, ist vor dem Sondergericht des Mordes an 2976 Menschen angeklagt, ihm droht die Todesstrafe. Er soll als Bote von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden gewirkt und den Terroristen geholfen haben, die am 11. September 2001 vier Flugzeuge kaperten - zwei Maschinen flogen sie ins New Yorker World Trade Center, eine in das Pentagon in Washington, eine stürzte auf freiem Feld ab. Dieser Tag liegt nun 15 Jahre zurück, aber er hat sich in das Gedächtnis der Menschheit eingebrannt.
Der Terrorverdächtige al-Schibb ist über die Jahre auch zum Opfer geworden
Das Tribunal in Guantanamo versucht seit Jahren mit enormem Aufwand, die insgesamt fünf Verdächtigen zu verurteilen, unter ihnen Ramsi bin al-Schibb und der mutmaßliche Cheflogistiker Khalid Scheich Mohammed. Aber der Prozess kommt nicht von der Stelle. Noch immer streiten die Beteiligten über Verfahrensfragen.
Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR ist ungewiss, ob man bin al-Schibb und dessen vier mutmaßliche Komplizen in absehbarer Zeit rechtskräftig verurteilen wird - oder überhaupt je. Manche Beteiligte rechnen damit, dass der Prozess erst im Jahr 2020 so richtig damit beginnt, sich mit den Taten und der Schuld der Angeklagten zu beschäftigen, das wäre also zwanzig Jahre nach 9/11.
Nach 2001 haben die USA aus Ramsi bin al-Schibb, der sich selbst einer solch mörderischen Tat rühmt, ein Opfer gemacht. Agenten der Central Intelligence Agency haben ihn gefoltert und jahrelang in Isolationshaft gehalten. Nun will ihn die US-Regierung womöglich auch noch hinrichten. Gleichzeitig versucht die CIA, so viel wie möglich über die Misshandlungen bin al-Schibbs geheim zu halten, und könnte damit einen fairen Prozess unmöglich gemacht haben.
Gerade in diesen Tagen mit immer neuen Anschlägen in Amerika und Europa scheint die Idee Guantanamo, die Idee einer Sonderjustiz für Terrorverdächtige, wieder einmal aufzuleben. Im US-Wahlkampf sagt der Republikaner Donald Trump, er würde Guantanamo "vollstopfen mit bösen Kerlen", in Frankreich redet man über ein eigenes Guantanamo. Der Fall bin al-Schibb aber zeigt, dass diese Methode weder Sicherheit noch Gerechtigkeit schafft.
Die Angehörigen der Opfer vom 11. September, die den Prozess beobachten, verzweifeln an dem quälend langsamen Tempo. Alison Crowther, deren Sohn im World Trade Center starb, macht dafür vor allem die Verzögerungstaktik der Verteidiger verantwortlich. "Wir bitten die Verteidigung, an die Kinder zu denken, die ihre Eltern verloren haben. Ist das nicht auch Folter?", fragt Crowther.
Aber das Verfahren hat sich auch zu einer Anklage entwickelt gegen die Ankläger selbst, gegen eine Paralleljustiz, die so gut gerüstet sein wollte für den modernen Terror, und die stattdessen erstickt an in ihren Widersprüchen.
Ein Widerspruch ist es, das man sich fair und transparent gibt, in Wahrheit aber die Exzesse der Geheimdienste vertuschen will. Der andere ist es, dass dies ein rechtsstaatliches Verfahren sein soll, die Angeklagten aber vorher gefoltert wurden.
Der Prozess offenbart, wie sehr es sich rächt, wenn ein Rechtsstaat das Recht preisgibt, und er wirft eine doppelte Frage auf: Haben die USA Ramsi bin al-Schibb so misshandelt, dass er psychisch krank geworden ist und Geräusche hört, die es nicht gibt? Und zeugt Guantanamo davon, dass es in Wahrheit der Staat ist, der den Verstand verloren hat?