Terroranschläge in Brüssel:Wie ein Taxifahrer die Polizei auf die Spur der Attentäter brachte

Terroranschläge in Brüssel: Polzisten vor dem Zaventem Fughafen in Brüssel

Polzisten vor dem Zaventem Fughafen in Brüssel

(Foto: AP)

Weil er sich aus Platzgründen weigerte, eine weitere Tasche der drei Männer zu transportieren, hat der Mann womöglich noch Schlimmeres verhindert.

Von Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

Es ist ein strahlend schöner Morgen, als drei junge Männer in ein Taxi steigen. Sie lassen sich von einer Wohnung im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek abholen und an den Flughafen fahren. Der Taxifahrer weiß nicht, wen er da als Fahrgäste begrüßt. Er weiß es erst, als die belgischen Behörden das Bild einer Videoüberwachungskamera veröffentlichen. Es zeigt drei junge Männer mit schwarzen Haaren und möglicherweise falschen Bärten, einer trägt einen dunklen Hut. Zwei von ihnen sollen die Bomben am Flughafen Brüssel gezündet und sich selbst in die Luft gesprengt haben. Den Mann in der Mitte kennt man inzwischen: Ibrahim el-Bakraoui, 29 Jahre alt, Belgier. Auch der Mann links ist tot, es handelt sich offenbar um Najim Laachraoui, der Mann mit dem Hut ist geflohen.

Die Attentäter transportierten ihre Bomben in den Reisetaschen

Als der Taxifahrer das Bild sieht, meldet er sich bei der Polizei. Er könne sich an die drei erinnern. Ihm sei schon in Schaerbeek aufgefallen, dass etwas nicht ganz stimme. Die Fahrgäste hätten sich nicht mit dem Gepäck helfen lassen wollen. Nun weiß man warum. Die Attentäter transportierten ihre drei Bomben in den drei Reisetaschen.

Durch den Taxifahrer kommen die Ermittler an die Adresse in der Rue Max Roos in Schaerbeek. In der Wohnung, wo sich die drei Terroristen abholen ließen, finden sie eine Flagge der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), 15 Kilo Sprengstoff vom Typ TATP, 150 Liter Aceton, 60 Liter Wasserstoffperoxid, Nägel, Plastiktüten, Werkzeuge, Ventilatoren. Eigentlich wollten die drei jungen Männer noch mehr Taschen zum Flughafen mitnehmen, doch der Taxifahrer winkte ab: kein Platz. Da beschwerten sie sich, weil sie einen größeren Wagen bestellt hätten. Die Taxizentrale hatte das falsch verstanden. Gut möglich, dass in diesem Augenblick ein noch größeres Unheil verhindert wurde.

Ein "Vermächtnis" im Papierkorb

Neben dem Taxi sind die Ermittler zwei anderen Autos auf der Spur: einem Renault Clio und einem schwarzen Audi S 4, der auf einen 22-Jährigen aus der belgischen Stadt Limbourg zugelassen sein soll. Seit vergangenem Jahr ist er den Sicherheitsbehörden im Umfeld der Terror-Ermittlungen bekannt. Er gehört zu einer Zelle, die viele Syrien-Kämpfer rekrutiert hat. Der mutmaßliche Kopf dieser Zelle, der 41 Jahre alte Khalid Bouloudo, wurde am Dienstag festgenommen. Er hatte unter Hausarrest gestanden, war abgetaucht. Ob er mit den Anschlägen etwas zu tun hat, ist noch nicht bekannt.

Nach der Auswertung von Handysignalen kommt es in Schaerbeek zu weiteren Hausdurchsuchungen, die ergebnislos bleiben. Dafür entdecken die Fahnder Überraschendes in einem Papierkorb in der Rue Max Roos: einen Laptop, der Ibrahim El Bakraoui gehörte. Darauf findet sich eine Audiodatei von ihm mit einem "Vermächtnis". Er sei "niedergeschlagen", sagt er nach Auskunft des Staatsanwalts Frédéric Van Leeuw, "wisse nicht mehr, was er tun solle, werde überall gejagt, sei nicht mehr sicher und riskiere, langfristig bei ihm in der Zelle zu enden". Bei "ihm" kann nur heißen: bei Salah Abdeslam, der vergangenen Freitag in Molenbeek festgenommen wurde.

Es sieht so aus, als hätten die Brüsseler Attentäter unter Druck gestanden

Aus dem Text spricht nicht gerade der Stolz eines Dschihadisten, der sich auf der Seite Gottes weiß. Aber zu dieser Szene ist El Bakraoui bisher nicht gezählt worden. Auch nicht sein Bruder Khalid, 27, der sich in der Metrostation Maelbeek in die Luft sprengte und mindestens 20 Menschen mit in den Tod riss. Beide galten als gewöhnliche Verbrecher, die sich im Umkreis der Dschihadisten-Szene bewegten.

Ibrahim wurde im Oktober 2010 zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt, weil er nach einem Raubüberfall in Brüssel einen Polizisten mit einer Kalaschnikow verletzt hatte. Khalid erhielt 2011 eine fünfjährige Haftstrafe wegen Autoraubs. Warum sie nicht einsitzen, ist unbekannt. Khalid soll die Wohnung im Stadtteil Forest angemietet haben, deren Überprüfung zur Festnahme Salah Abdeslams führte. Auch eine Wohnung im südbelgischen Charleroi, in der die Pariser Anschläge vorbereitet wurden, soll von ihm gemietet worden sein.

Wollten die Attentäter ihrer Entdeckung zuvorkommen?

Es sieht so aus, als hätten die Attentäter unter Druck gestanden. Womöglich spürten sie durch die Festnahme Abdeslams "den heißen Atem der Ermittler und schlugen schneller zu als geplant, um ihrer Entdeckung zuvorzukommen", sagt ein Geheimdienstmann der Zeitung De Morgen.

Beim zweiten Selbstmordattentäter vom Flughafen soll es sich laut Behörden um den wegen der Pariser Anschläge gesuchten Najim Laachraoui handeln. Das verlautete am Mittwoch aus Polizeikreisen in Brüssel. Der 24-Jährige stammt aus dem Brüsseler Stadtteil Schaerbeek. Der dritte Mann von dem Überwachungsfoto sei aus dem Terminal gelaufen, wie die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf Videoaufnahmen mitteilte. Er hinterließ einen Sack mit einer Bombe im Flughafen.

Minenexperten konnten sie kontrolliert sprengen. Laachraoui, der sich Soufiane Kayal nannte, war bereits in die Anschläge in Paris involviert. DNA-Spuren des Belgiers waren auf dem Sprengstoff entdeckt worden, der dort zum Einsatz kam. Er soll alle Sprenggürtel hergestellt haben. Laachraoui war ein Syrien-Rückkehrer, er hatte einen Abschluss in Elektrotechnik. Die Ermittler verdächtigen ihn und den in der Wohnung in Forest getöteten Mohamed Belkaid, am Abend der Anschläge telefonisch mit den Mit-Attentätern in Kontakt gestanden zu haben. Der mutmaßliche Drahtzieher Abdelhamid Abaaoud rief eine belgische Nummer an, die womöglich Laachraoui gehörte. Am 9. September hatte der Sprengmeister bei einer Polizeikontrolle an der österreichisch-ungarischen Grenze mit Abdeslam im Auto gesessen.

Abdeslam will angeblich kooperieren

Von Abdeslam versprechen sich die Ermittler nun weitere Erkenntnisse. Laut seinem Anwalt Sven Mary will er "kooperieren". Eine für Mittwoch geplante Anhörung wird aber verschoben. Über seine Rolle ist vorerst Widersprüchliches zu hören. Mary versucht sie herunterzuspielen. Abdeslam sei nur ein "Kleinkrimineller", dessen viermonatige Flucht einen Mythos habe entstehen lassen. Aus Sicherheitskreisen hingegen hieß es, Abdeslam habe von den Anschlagsplänen in Brüssel vermutlich gewusst. "Es kann sogar sein, dass er in die Planung einbezogen war", zitiert Het Laatste Nieuws einen Experten.

Das würde bedeuten, dass der Brüsseler Anschlag von mehr oder weniger demselben Netzwerk geplant wurde wie die Pariser Attacken. Zwei derart komplexe Taten innerhalb von vier Monaten, das lässt auf eine enorme Schlagkraft schließen. In einem Bekennerschreiben beschimpft der IS Belgien als einen "Kreuzfahrerstaat, der nicht aufhört, den Islam zu bekämpfen". Zugleich drohen die Extremisten mehr oder weniger deutlich mit weiteren Anschlägen in Europa: "Wir versprechen den Staaten, die sich gegen den ,Islamischen Staat' verbündet haben, schwarze Tage, als Antwort auf ihre Aggression."

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