Terroranschläge in Brüssel:Versäumnisse der belgischen Ermittler immer eklatanter

Terroranschläge in Brüssel: Der niederländische Justizminister Ard van der Steur in Den Haag.

Der niederländische Justizminister Ard van der Steur in Den Haag.

(Foto: AFP)
  • Seit den Anschlägen in Brüssel müssen sich die belgischen Anti-Terror-Fahnder kritische Fragen gefallen lassen.
  • Angaben aus den Niederlanden sorgen für zusätzliche Verwirrung. Es sind neue Informationen über frühere Warnungen zu Tätern aufgetaucht.
  • US-Ermittler haben demnach niederländische Behörden Mitte März über die belgischen Selbstmordattentäter informiert.

Seit den Anschlägen in Brüssel müssen sich die belgischen Anti-Terror-Fahnder kritische Fragen gefallen lassen. Jetzt sorgen Angaben aus den Niederlanden für Verwirrung. Rund eine Woche nach den islamistischen Selbstmordattentaten am Brüsseler Flughafen und in der U-Bahn sind neue Informationen über frühere Warnungen zu Tätern aufgetaucht. Demnach erscheinen die Versäumnisse der Behörden eklatant.

Niederlande sei informiert worden, "dass beide Brüder von belgischen Behörden gesucht werden"

Ard van der Steur, Justizminister der Niederlande, beklagte erneut, es habe bereits Mitte März Warnungen vor den Bakraoui-Brüdern gegeben. Der Sicherheitsdienst der New Yorker Polizei habe am 16. März den kriminellen Hintergrund von Ibrahim El Bakraoui und den radikalen und terroristischen Hintergrund seines Bruders Khalid gemeldet. Außerdem seien die Niederlande darüber informiert worden, "dass beide Brüder von den belgischen Behörden gesucht werden", sagte der Minister. Die Männer töteten vergangene Woche sich und derzeit 35 weitere Menschen mit Sprengstoffladungen. Van der Steur gab nun vor dem Parlament in Den Haag an, bei einer Sitzung am 17. März - also fünf Tage vor den Anschlägen - hätten die Niederländer die Warnung der Amerikaner an die Belgier weitergegeben. Spiegel online zufolge dementiert Belgien diese Darstellungen.

Die Bakraoui-Brüder waren verurteilte Schwerkriminelle. Mindestens einer der beiden hätte nicht auf freiem Fuß sein dürfen. Ibrahim Bakraoui meldete sich im Sommer 2015 zwei Mal nicht bei seinem Bewährungshelfer: Er war unterwegs nach Syrien, wurde an der türkischen Grenze gestoppt. Sein Bruder mietete in Paris unter falschem Namen eine Wohnung, in der offenbar die Attentate in der französischen Hauptstadt im November vorbereitet wurden. Doch erst im Dezember landete Ibrahim auf einer Terrorliste der belgischen Behörden.

Laut Medienberichten könnte die Brüsseler Terrorzelle auch ein Attentat auf den belgischen Premierminister Charles Michel geplant haben. Auf der Festplatte eines sichergestellten Computers seien Pläne und Fotos vom Amtssitz und einer Wohnung des liberalen Regierungschefs entdeckt worden, berichteten mehrere Zeitungen. Ein Regierungssprecher bestätigte De Tijd, L'Echo und Le Soir lediglich, es gebe für die Gebäude seit einiger Zeit besonders strenge Sicherheitsvorkehrungen. Der Computer mit den Fotos und Plänen war nach den Anschlägen in einem Müllbehälter nahe einem Unterschlupf der Terrorzelle gefunden worden. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits bestätigt, dass sich auf dem Rechner auch eine Art Testament des Selbstmordattentäters Ibrahim Bakraoui befand. Er werde "überall gesucht", notierte Bakraoui vor seiner Terrortat, und sei deshalb "in Eile".

Ob die USA die Information auch direkt nach Belgien übermittelten ist unklar

Warum die Niederlande von der New Yorker Polizei über zwei belgische Staatsbürger informiert wurden, konnte der Minister noch nicht sagen. Ob die USA die Information auch direkt nach Belgien übermittelten oder nur an die Niederlande gaben, ist unklar.

In Belgien wird zunehmend über das Versagen von Polizei und Behörden diskutiert. Fehleinschätzungen und verloren gegangene Informationen ziehen sich durch die Ermittlungen genauso wie Pannen.

So war zum Beispiel das Brüsseler Mobilfunknetz kurz nach den ersten Explosionen zusammengebrochen. Sicherheitsbehörden und Rettungsdienste, die für solche Fälle einen eigenen Kommunikationsdienst haben, sollen sich über WhatsApp abgesprochen haben, berichtet die Nachrichtenseite Le Vif. Auch der Notfall-Dienst war nämlich ausgefallen.

Und als die Polizei ein Extremistenversteck im Stadtteil Forest stürmte, musste sie verletzte Beamte, einen Toten und zwei flüchtige mutmaßliche Islamisten beklagen. Einer davon der mutmaßliche Paris-Attentäter Salah Abdeslam. Justizminister Koen Geens erklärte, Abdeslam sei entkommen, weil die Polizei nach 21 Uhr keine Hausdurchsuchungen mehr durchführen darf. Erst drei Tage später wurde Abdeslam gefasst. Dabei wurde ihm ins Bein geschossen, er wurde operiert. Und weil er "sehr müde" gewesen sei, wie ein Ermittler der Nachrichtenseite Politico zufolge sagte, wurde er nur eine Stunde zu den Pariser Anschlägen befragt. Ob weitere Attentate geplant seien, fragte ihn demnach niemand.

US-Präsident Barack Obama teilte derweil mit, dass US-Ermittler belgischen Kollegen bei der Auswertung von Computerdaten helfen. Mit scharfen Worten kritisierten ungenannte US-Experten gegenüber der Agentur Reuters, Belgiens Ermittler seien offenbar überbeansprucht und würden mit kulturellen, finanziellen und politischen Problemen zu kämpfen haben.

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