Terroranschläge:Das Geisterhaus von Brüssel

Anschläge in Brüssel

Sie dachten, das Haus sei gar nicht mehr bewohnt gewesen, sagten einige Anwohner. Das Gebäude in der Mitte soll der Unterschlupf der Brüssel-Attentäter gewesen sein.

(Foto: dpa)

Die Brüssel-Attentäter versteckten in einer Bruchbude Chemikalien, Sprengstoff und eine IS-Flagge. Sie haben die Wohnung offenbar erst kürzlich gemietet. Nachbarn können das kaum glauben.

Von Paul Munzinger, Brüssel

Das Haus, für das sich jetzt die ganze Welt interessiert, ist völlig heruntergekommen. Es liegt an einer Ecke, an der sich fünf Straßen treffen. Die Wände sind schmutzig, die Fenster in den oberen Geschossen verstaubt. Die Fenster im Erdgeschoss sind mit Vorhängen und Tüchern verhängt. Aus den Briefkästen quillen Werbebroschüren, viele Klingelschilder sind handgeschrieben und mehrfach überklebt. Vor dem Haus warten in Scharen Journalisten aus aller Welt. Sie hoffen, dass sich ein Bewohner blicken lässt, dass eine Tür sich öffnet oder zumindest ein Fenster. Sie warten vergeblich.

Vor diesem Eckhaus im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek, Rue Max Roos 4, sind am Dienstagmorgen drei Männer in ein Taxi gestiegen. Vom Fahrer wollten sie sich nicht mit dem Gepäck helfen lassen, dabei hatten sie jede Menge dabei. So viel, dass sie einige Sachen zurücklassen mussten. Die drei Männer ließen sich zum Flughafen Zaventem fahren. Dort hat eine Überwachungskamera eine Aufnahme gemacht, die jetzt die ganze Welt kennt. Zwei der Männer in Schwarz, mit einem Handschuh nur an der linken Hand. Darunter womöglich die Zündvorrichtung, mit der sie ihre Bomben in der Abflughalle zur Explosion brachten. Der dritte Mann trägt helle Weste und Hut. Er warf seine Bombe im Flughafen weg, entkam und ist auf der Flucht, womöglich immer noch in Brüssel.

Der Taxifahrer hat die Ermittler auf die Spur des Hauses in Schaerbeek gebracht. Am Dienstagabend durchkämmten Polizisten das Gebäude. Sie fanden fast zweihundert Liter Chemikalien, Zünder, einen Koffer voller Nägel, eine IS-Flagge. Und 15 Kilogramm Sprengstoff vom Typ TATP, das in der Szene als "Mutter Satans" bekannt sein soll. Durchsuchungen gab es auch in zwei anderen Häusern in der Rue Max Roos. Die Anwohner mussten ihre Häuser verlassen, manche wurden mit Feuerwehrleitern aus den oberen Stockwerken geholt. Hunderte konnten über Stunden nicht in ihre Wohnungen.

"Wenn das so weitergeht, endet das für mich in einer Gefängniszelle"

In der Rue Max Roos haben die Ermittler auch einen Laptop gefunden, in einem Mülleimer. Darauf befand sich ein Schriftstück, das jetzt als das "Testament" eines der Attentäter gilt, als die letzte Botschaft von Ibrahim El Bakraoui. Er sei "niedergeschlagen", sagt er nach Auskunft des Staatsanwalts Frédéric Van Leeuw, "wisse nicht mehr, was er tun solle, werde überall gejagt, sei nicht mehr sicher und riskiere, langfristig bei ihm in der Zelle zu enden". Mit "ihm" ist mit großer Wahrscheinlichkeit Salah Abdeslam gemeint, der vergangenen Freitag in Molenbeek festgenommen wurde. Khalid El Bakraoui, Ibrahims jüngerer Bruder, zündete kurz nach dem Anschlag im Flughafen seine Bombe in einer U-Bahn, die gerade in der Station Maelbeek hielt. Zusammen mit ihren Komplizen haben die Brüder 31 Menschen getötet und Hunderte verletzt.

Am Tag danach sind in der Rue Max Roos keine Polizisten mehr. Jetzt sind die Reporter da, die sich plötzlich alle um einen schüchtern lächelnden älteren Herren drängeln. Der Mann spricht nur spanisch, aus Kolumbien soll er kommen, und angeblich wohnte er Tür an Tür mit den Attentätern. Einen von ihnen will er sogar einmal gesehen haben. Das sagt er zumindest in die erste Kamera. In die nächste sagt er dann, er wohne gar nicht in dem Haus, seine Frau arbeite nur dort. Was stimmt nun? Der Mann bleibt ein Rätsel. Wie das Haus Nummer vier, und das, was dort in den vergangenen Wochen vor sich gegangen ist.

Die Wohnung, die am Dienstag durchsucht wurde, sei erst kürzlich vermietet worden. Das sagte der Bürgermeister von Schaerbeek der belgischen Zeitung Le Soir zufolge. Die Rede ist von einigen Wochen. Die Nachbarin kann das genauso wenig glauben wie der Verkäufer im Kiosk gegenüber. Ende des vergangenen Jahres, erzählen beide übereinstimmend, habe der alte Besitzer das Haus verkauft. Der neue habe es sanieren wollen, für Besserverdienende. Alle alten Mieter seien ausgezogen. Das Haus, hätten beide gedacht, stehe seitdem leer.

Wer vermietet eine Wohnung in einem sonst offenbar leerstehenden Haus?

Nie sei jemand aus dem Haus zu ihm in den Laden gekommen, sagt der Kioskverkäufer. Und eigentlich komme jeder, der im Viertel wohne, früher oder später zu ihm, um einen Kaugummi oder eine Flasche Cola zu kaufen. Wenn dort also tatsächlich in den letzten Wochen Terroristen lebten, dann können sie nur nachts dort gewesen sein, glaubt er. Auch die Nachbarin hat seit Monaten niemanden mehr herein- oder hinausgehen sehen, abgesehen von den Handwerkern. "Wir haben nicht gewusst, dass es schon bewohnt war", sagt sie. "Das ist gruselig."

Und natürlich wirft diese Geschichte, sollte sich all das bestätigen, eine große Frage auf: Wer vermietet eine Wohnung in einem sonst offenbar leerstehenden Haus, das gerade saniert wird?

Irgendwann zeigt sich in der Nummer vier dann doch noch jemand. Durch die Glastür sieht man einen Mann, einen Handwerker, der am Türschloss herumschraubt. In den Ohren hat er Kopfhörer, die Journalisten vor der Tür würdigt er keines Blickes. Plötzlich öffnet er die Tür, kurze Aufregung draußen. Doch es ist nur ein Test, ob das Schloss hält. Es hält. Dann macht er die Tür wieder zu.

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