Terrorangst erschüttert Frankreich:Trauer in Zeiten des Wahlkampfs

Die Opfer sind noch nicht bestattet, da debattiert das politische Paris bereits über die Frage, wie sich die Anschlagsserie im Raum Toulouse auf die Präsidentschaftswahl in vier Wochen auswirken wird. Und auch wenn die meisten Kandidaten ihren Wahlkampf offiziell unterbrochen haben, geht das Werben um die Wählergunst inoffiziell weiter - mit einem deutlichen Vorteil für Sarkozy.

Stefan Ulrich

Am Tag nach dem Massaker von Toulouse fand sich Frankreich in einem schmerzhaften Schwebezustand wieder. Zwischen Schockstarre und Aktionismus, Trauer und Empörung, Angst und Wut. Falls der Täter Frankreich mit den Attentaten auf Soldaten vor einigen Tagen und dem Anschlag auf die jüdische Schule am Montag frontal herausfordern wollte, so ist ihm das gelungen. "Die ganze Republik ist betroffen", sagte Präsident Nicolas Sarkozy, beim Besuch einer Pariser Schule. Sein Bildungsminister Luc Chatel sah sogar Anlass klarzustellen: "Die Republik liegt nicht am Boden."

Terrorangst erschüttert Frankreich: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bei einer Schweigeminute in einer Pariser Schule.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bei einer Schweigeminute in einer Pariser Schule.

(Foto: AFP)

Die Schule und die Armee sind zwei Symbole dieser Republik. Der mysteriöse Täter könnte sie gerade deswegen ausgewählt haben. Zudem hat er mit seinen Verbrechen Brüche in der französischen Gesellschaft offengelegt. Die drei erschossenen Soldaten waren muslimischer und karibischer Herkunft, die drei getöteten Schüler und der Lehrer waren Juden.

Das alte Einwanderungsland Frankreich, das heute ohnehin an seiner "Fraternité" und seiner Integrationskraft zweifelt, quält sich nun mit der Frage, wie verbreitet Rassismus und Antisemitismus in seinem Inneren eigentlich sind.

Innenminister Claude Guéant räumte in Toulouse ein, sein Land müsse sich gegen einen immer noch verbreiteten Antisemitismus schützen. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat François Hollande sagte, seine Pflicht als Politiker sei es dafür zu kämpfen, "dass sich alle Franzosen als Bürger Frankreichs fühlen".

Hollande besuchte anlässlich der landesweiten Schweigeminute am Dienstag ebenso wie Sarkozy eine Schule im Raum Paris. Beide werden wohl auch an diesem Mittwoch an der Beerdigung der ermordeten Fallschirmjäger in Montauban nördlich von Toulouse teilnehmen. Den Wahlkampf haben sie offiziell suspendiert, genauso wie die meisten anderen Kandidaten.

Der Wahlkampf ist nur scheinbar eingestellt

Sarkozy schloss sogar vorübergehend sein Wahlkampf-Hauptquartier in Paris. Er ließ dort ein blaues Plakat mit schwarzem Trauerband anbringen, auf dem steht: "Angesichts der nationalen Tragödie, die wir erleben, setze ich meine Teilnahme an der Präsidentschaftskampagne mindestens bis Mittwoch aus." Hollande sagte eine Massenkundgebung am Abend in Rennes ab.

Nur Jean-Luc Mélenchon, der Anführer der Linksfront, setzte den Wahlkampf offen fort. Dieser sei "ein Akt des Widerstandes", rechtfertigte er sich. Doch auch die anderen Bewerber haben den Kampf nur scheinbar eingestellt.

Vorteil für Sarkozy

Das französische Fernsehen strahlte vor kurzem einen mehrteiligen Politthriller namens "Die Schattenmänner" aus. Er spielte, welch Zufall, im Präsidentschaftswahlkampf und handelte davon, wie die Kandidaten und ihre Berater versuchen, einen blutigen Anschlag für sich auszunutzen. Im wirklichen Leben beteuern dagegen nun alle, nichts liege ihnen ferner, als die Attentate im Raum Toulouse zu instrumentalisieren. Vielmehr sei nun die Einheit der Nation gefordert. Doch schon am Dienstag begannen die ersten Sticheleien.

Hollande kritisierte, unter Präsident Sarkozy sei die Quote für Studenten aus Nicht-EU-Ländern gesenkt worden. Frankreich solle sich aber doch den Ausländern öffnen. François Bayrou, Kandidat des Zentrums, der Sarkozy schon oft vorwarf, die Gesellschaft zu spalten, meinte nun, das Massaker von Toulouse sage etwas aus über den Zustand Frankreichs. Gewalt und Stigmatisierung nähmen zu, rassistische Übergriffe würden häufiger.

Es war klar, wen Bayrou politisch mit verantwortlich machen wollte. Prompt reagierte Sarkozys Außenminister Alain Juppé: Bayrou solle "dem Schrecklichen nicht noch das Unwürdige hinzufügen". Niemand dürfe aus den Verbrechen Profit schlagen.

Sarkozys Jagd auf den Staatsfeind Nummer eins

Die Opfer sind noch nicht bestattet, da debattiert das politische Paris bereits über diese Fragen: Wem werden die Verbrechen nutzen? Wie wird sich die Anschlagsserie auf die Präsidentschaftswahl in gut vier Wochen auswirken?

Bislang spielten die innere Sicherheit und der Terrorismus im Wahlkampf keine besondere Rolle. Es dominierten die Themen Wirtschaft, Schuldenkrise und Soziales sowie deren Bezüge zur Europapolitik. Nun wird das Thema Sicherheit in den Vordergrund geraten. Dabei fühlt sich der frühere Innenminister Sarkozy besonders kompetent. Hollande dürfte es auf diesem Feld schwerer haben.

Französische Kommentatoren erwähnen einen weiteren Vorteil Sarkozys. Jetzt, da die Nation in Angst vor einem Phantom lebt, kann er von der Rolle des Wahlkämpfers wieder in die des Präsidenten wechseln. Er repräsentiert den Staat bei den Trauerfeiern, er führt die Jagd auf den neuen Staatsfeind Nummer eins an.

"Das Leben der Republik muss weitergehen"

Die Erfahrung lehrt, dass sich die Bürger in Extremsituationen gern hinter ihre Regierenden stellen. So profitierte Gerhard Schröder im Bundeswahlkampf 2003 von einer ganz anders gearteten Tragödie - dem Jahrhunderthochwasser an Elbe und Donau. Allerdings wird sich Sarkozy nun auch gegen Vorwürfe verteidigen müssen, er habe als Präsident gegen Minderheiten wie die Roma Stimmung gemacht und mit einem Rechtsruck in diesem Wahlkampf das Klima in Frankreich belastet.

Während sich die Politiker in Paris auf die neue Lage einstellen, versuchen die Menschen in Toulouse und den umliegenden Gemeinden, mit der Angst zu leben. Die Behörden appellieren an die Schulkinder und deren Eltern, sich nur möglichst kurz vor den Schuleingängen aufzuhalten. Der Toulouser Bürgermeister Pierre Cohen ruft seine Mitbürger auf, zwar vorsichtig zu sein, zugleich aber auch gelassen zu bleiben. Den abscheulichen Taten zum Trotz gelte: "Das Leben der Republik muss weitergehen."

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