Süddeutsche Zeitung

Terrorabwehr:Im Reich der bösen Absicht

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Mit Verweis auf die Terrorgefahr wird der Rechtsstaat nach und nach ausgehöhlt. Nicht mehr Terroristen, sondern Gefährder stehen im Fokus. Doch was Bayern plant, das ist die Perversion des Rechtsstaats.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Wenn sich die Republik an diesem Freitag der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback vor vierzig Jahren erinnert, dann wird man auch an die Bilder einer beispiellosen Terrorserie denken. Auf den Anschlag von Karlsruhe folgten der Mord an Jürgen Ponto und die Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer.

Es war ein Frontalangriff der Roten Armee Fraktion auf das verhasste System und seine Repräsentanten. Nicht, um die Macht zu erobern. Nein, die RAF wollte die Gesellschaft durch die lähmende Kraft des Schreckens zersetzen und den Staat bis aufs Blut reizen - auf dass er, so sahen es die Verblendeten, seine faschistische Fratze zeige.

Man könnte auch sagen: Der Staat sollte aufhören, ein Rechtsstaat zu sein. Dann hätten die Terroristen gewonnen.

Der Rechtsstaat hat diese Probe bestanden. Nicht makelfrei, es gab Grenzüberschreitungen. Aber seine Grundfesten blieben erhalten - auch dank seiner leidenschaftlichen Verteidiger. Eine illegale Abhöraktion gegen einen Atomwissenschaftler kostete Werner Maihofer sein Innenministeramt. So sensibel reagierte man damals auf rechtsstaatswidrige Übergriffe.

Nicht mehr der Terrorist, sondern der "Gefährder" steht im Zentrum

Ob man nach dem Ende des islamistischen Terrorismus ein ähnlich günstiges Fazit wird ziehen können, ist noch nicht ausgemacht. Denn seit den Anschlägen des 11. September 2001 vollzieht sich ein allmählicher Paradigmenwechsel.

Im Zentrum steht nicht mehr der Terrorist, den man wegen seiner begangenen Verbrechen finden, überführen, verurteilen muss - wie dies in Zeiten der RAF der Fall war. Der Protagonist unserer Jahre ist der "Gefährder". Also einer, der noch kein Verbrecher ist - aber einer werden könnte.

Begonnen hat diese Entwicklung mit einem Paragrafen, der den Strukturwandel des Terrorismus nachzeichnete. Nach dem Kollektiv der RAF stand seit 9/11 der Einzelterrorist im Fokus - der Schläfer, der Terrorcamp-Reisende, der Selbstradikalisierer.

Seit 2009 steht daher die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat unter Strafe. Täter ist, wer die Tat erst noch plant. Das Gesetz markierte einen Schritt ins diffuse "Vorfeld" des Verbrechens - ins Reich der bösen Absicht. Der Bundesgerichtshof hatte seine liebe Not, die Vorschrift rechtsstaatlich einzuhegen.

Präventionslogik ist maßlos

Nach dem Anschlag von Berlin haben sich die Gesetzgeber noch entschiedener auf den Weg zu einem Verbrechensverhinderungsrecht begeben, für das nicht Taten, sondern Absichten zählen. Man hatte Anis Amri, den prototypischen Gefährder, nicht stoppen können. Deshalb sollen neue Instrumente her, die Kontrolle verheißen oder auch nur suggerieren, wie die elektronische Fußfessel. Oder, in Bayern: die notfalls unbefristete Haft für Gefährder.

Der aberwitzige Vorschlag illustriert, wie klein die Münze des Freiheitsrechts gehandelt wird: unbefristete Vorbeugehaft für einen Noch-nicht-Täter, das ist die Perversion des Rechtsstaats. Zugleich ist er ein Schulbeispiel für die Maßlosigkeit der Präventionslogik.

In der alten Welt des Strafrechts kennt Freiheitsentzug ein Maß - den Wert des Rechtsguts, das Ausmaß des Schadens, den Umfang der Schuld. Wer aber erst einmal damit begonnen hat, die Freiheit Einzelner mit einer allgemeinen Sicherheit aufzurechnen, der wird kein Ende mehr finden. Sicherheit ist unersättlich. Nach dieser Logik könnte man dann auch mutmaßliche oder potenzielle Gefährder ins Visier nehmen.

Was also tun? Bei der Tagung des Deutschen Richterbundes hat der Vorsitzende Jens Gnisa gerade einen Vorschlag gemacht. Um den Terroristen nicht auf den Leim zu gehen, indem wir uns selbst ins Korsett der Unfreiheit einschnüren, müssten wir zunächst fragen, ob nicht das geltende Recht ausreiche. Bei Anis Amri hätte es - nach allem, was man weiß - gereicht.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2017
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