Terror-Prozess von Mumbai:"Er hat keine Gnade verdient"

Ein indisches Sondergericht hat den Mumbai-Attentäter Ajmal Amir Kasab schuldig gesprochen - in 86 Anklagepunkten. Dem 22-jährigen Pakistaner droht nun die Hinrichtung.

Tobias Matern, Delhi

Er verzieht keine Miene, lässt den Blick die ganze Zeit gesenkt. Auch als der Richter ihm vorliest, ein Mörder zu sein, ein Terrorist, der einen "Krieg" gegen Indien angezettelt habe.

Verurteilt: Attentäter Kasab

Verurteilt: Attentäter Kasab

(Foto: Foto: AP)

Ajmal Amir Kasab scheinen all diese Worte zumindest äußerlich nichts anzuhaben: Prozessteilnehmer beschreiben den einzigen überlebenden Attentäter der Terroranschläge von Mumbai als völlig regungslos.

Ein indisches Sondergericht sprach den Pakistaner am Montag schuldig - in 86 Anklagepunkten. Dem 22-Jährigen droht nun die Hinrichtung, über das genaue Strafmaß wird aber erst von Dienstag an verhandelt. Zwei indische Mitangeklagte, die logistische Hilfe geleistet haben sollen, sprach das Gericht aus Mangel an Beweisen frei.

Kasab war mit neun Mitstreitern nach Überzeugung der Anklage im November 2008 in Booten aus der pakistanischen Hafenstadt Karatschi in die indische Finanz- und Filmmetropole Mumbai gekommen.

Am Abend des 26., bewaffnet mit Gewehren und Granaten, begannen sie ihre beispiellose Angriffswelle: Die Terroristen attackierten Luxushotels, ein bei Touristen beliebtes Café, griffen ein jüdisches Zentrum an, schossen im Bahnhof wild um sich.

Indien war wie paralysiert, die Nation verfolgte erschüttert am Fernseher, wie einige wenige Angreifer ihre größte Metropole mit Terror überzogen. Die Sicherheitskräfte waren von den gezielten Schlägen zunächst völlig überfordert. Sie brauchten fast drei Tage, bis sie Lage wieder unter Kontrolle hatten. 166 Menschen töteten die Angreifer in dieser Zeit, auch neun Terroristen starben, fast 300 weitere Menschen wurden verletzt.

Tief sitzt der Schock in Indien noch heute: Das Datum "26/11" gilt als Synonym für einen der schwärzesten Tage in der jüngeren Geschichte des Landes, entsprechend intensiv verfolgten die Menschen Kasab Verhandlung, in regelrechten Endlosschleifen zeigten die Nachrichtensender am Montag nur einen Programmpunkt: den Schuldspruch von Mumbai.

Zahlreiche Wendungen

Wenn das Gericht nun die Todesstrafe gegen Kasab verhängen sollte, kann der Mann mit den kindlichen Zügen im Gesicht das Urteil noch bei zwei höheren Instanzen anfechten, was zu weiteren, jahrelangen Verhandlungen führen würde.

Der Prozess gegen Kasab, für den extra ein Hochsicherheits-Gerichtssaal gebaut wurde, verlief in einer ungewohnten Schnelligkeit. Er war gekennzeichnet von zahlreichen Wendungen des Angeklagten.

Erst leugnete der Beschuldigte, an den Attacken beteiligt gewesen zu sein, dann legte der Pakistaner ein Geständnis ab, dann widerrief er seine Aussage erneut. Sie sei unter Folter entstanden, behauptete Kasab auf einmal.

In Mumbai habe er sich nur Bollywood-Filme anschauen wollen, zu den Terroristen keine Verbindung. Aber die Beweise gegen ihn waren erdrückend: Überwachungskameras zeigten, wie er an jenem Abend im November am Bahnhof von Mumbai mit einem Maschinengewehr um sich schoss, die Ankläger legten auch DNA-Spuren vor, die ihn überführten.

Zudem sagten als 600 Zeugen im Laufe des Verfahrens gegen den Angreifer aus. Eine von ihnen war die 11-jährige Devika. Sie identifizierte Kasab im Gerichtssaal.

Verdächtige in Pakistan

In zahlreichen indischen Zeitungen erzählte der Vater des Mädchens am Tag des Schuldspruchs noch einmal ihre Erlebnisse vom 26. November 2008 nach: Sie warteten am Bahnhof auf einen Zug nach Pune, als die Angriffe begannen. In Panik rannten sie davon, eine Kugel traf das Mädchen am Bein, das ihr später entfernt werden musste.

"Eine Botschaft an Pakistan"

Kasab habe so viele Unschuldige auf dem Gewissen, dass er "keine Gnade verdient", sagte der Mann, der sich als Strafmaß genau wie seine Tochter wünscht, dass der Terrorist "gehängt wird". Viele Überlebende der Attacken äußern sich ähnlich, sie wollen, dass Kasab die Höchststrafe erhält. "Die Todesstrafe wäre nicht angemessen, es wäre besser, wenn er lebenslänglich im Gefängnis verbringen muss", sagte hingegen ein Justizexperte im indischen Fernsehen - und vertrat damit eine Minderheitenmeinung.

Die Attentäter gehörten nach Überzeugung der Anklage der pakistanischen Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba an, viele Drahtzieher seien im Nachbarland noch auf freiem Fuß.

"Das Urteil ist eine Botschaft an Pakistan, den Export von Terror zu unterlassen", sagte Innenminister Palaniappan Chidambaram. Die Anschläge von Mumbai haben das traditionell schwierige Verhältnis der beiden Atommächte zusätzlich strapaziert.

Die indische Regierung entschied direkt nach den Terrorattacken, einen Friedensdialog mit Pakistan auszusetzen. Neu-Delhi hält dem pakistanischen Geheimdienst vor, die Anschläge unterstützt zu haben. Seit Anfang des Jahres gibt es zwischen beiden Längern eine vorsichtige Annäherung, in der vergangenen Woche trafen sich die Premierminister am Rande eines südasiatischen Gipfels.

Indien drängt aber weiterhin darauf, dass der ungeliebte Nachbar intensiver gegen Terroristen vorgehen müsse. Nach Berichten indischer Medien hieß es in dem Urteil vom Montag ebenfalls, dass 20 weitere Männer an dem Verbrechen beteiligt gewesen seien - sie hielten sich in Pakistan auf.

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