Mordprozess gegen Attentäter von Mannheim„In dem Moment habe ich gedacht: Heute muss jemand sterben“

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Beim Prozessauftakt hatte der Angeklagte noch gesagt, er wolle keine Angaben zu den Tatvorwürfen machen. Nun, am sechsten Verhandlungstag, redet er doch.
Beim Prozessauftakt hatte der Angeklagte noch gesagt, er wolle keine Angaben zu den Tatvorwürfen machen. Nun, am sechsten Verhandlungstag, redet er doch. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Sulaiman A. steht vor Gericht, weil er im Mai 2024 in Mannheim sechs Menschen mit Messerstichen verletzt hat. Der Polizist Rouven Laur starb kurz darauf. Jetzt hat der Angeklagte zu den Vorwürfen ausgesagt.  Was war sein Motiv?

Von Roland Muschel, Stuttgart

Sulaiman A. kommt in Handschellen in den Gerichtssaal. Bis die Kameraleute den Saal 1 des Oberlandesgerichts in Stuttgart-Stammheim verlassen, verdeckt er sein Gesicht mit einem roten Schnellhefter. Dann aber redet Sulaiman A., 26 Jahre alt, langer Bart, Brille. Er spricht über seinen Vorsatz, zu töten, über den 31. Mai 2024, als er auf dem Mannheimer Marktplatz auf sechs Menschen einstach. Zwei Tage später starb der Polizist Rouven Laur an den Folgen der Messerstiche. Leider, sagt Sulaiman A. nun. Er spricht von einer „schrecklichen Tat“.

Laut Anklage soll Sulaiman A., ein Afghane sunnitischen Glaubens, Rouven Laur heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen ermordet haben. Zudem wirft sie ihm versuchten Mord in fünf Fällen gegen Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) auf dem Marktplatz in Mannheim vor. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte Sympathien für die Terrormiliz Islamischer Staat hegt. Dass er zur Überzeugung gelangte, dass es nicht nur legitim, sondern seine religiöse Pflicht sei, vermeintlich Ungläubige zu töten.

Beim Prozessauftakt hatte der Angeklagte noch gesagt, er wolle keine Angaben zu den Tatvorwürfen machen. Nun, am sechsten Verhandlungstag, redet er doch.

„Meister, darf ich auch töten, wenn ich kein Kämpfer bin?“, fragte er im Chat

Seit Beginn des Gaza-Krieges habe sich sein Leben verändert, sagt Sulaiman A. vor Gericht. Er habe mehrere Telegram-Kanäle abonniert gehabt und täglich schreckliche Videos getöteter Kinder angeschaut, jeden Tag habe er geweint. Deutschland und die USA hätten Israel am meisten unterstützt.

Auf Telegram sei er in Kontakt mit einem Gelehrten gekommen, Kürzel „O.R.“, der über Tötungen geredet habe. Er habe „O.R.“ gefragt: „Meister, darf ich auch töten, wenn ich kein Kämpfer bin?“ Die Antwort: „Ja, mach diese Gegend zu Gaza.“ Er habe ein Messer bestellt und beschlossen, den Islamkritiker Michael Stürzenberger zu töten, der am 31. Mai mit der BPE in Mannheim auftreten wollte.

Sulaiman A. schildert, wie er zweifelte, wie er dann aber doch mit dem Zug nach Mannheim fuhr. Dass er auf dem Marktplatz sein Messer zog und auf Stürzenberger einstach, dass er dachte, dieser sei tot. Als Stürzenberger wieder aufstand, habe er erneut zugestochen, auf einmal sei der Polizist aufgetaucht. „In dem Moment habe ich gedacht: Heute muss jemand sterben.“ Er habe zweimal auf Rouven Laur eingestochen. Später habe er gedacht, er träume das alles.

Die Chats mit „O.R.“ sind dokumentiert, wer hinter dem Kürzel steckt, wissen die Ermittler bislang aber nicht. Allem Anschein nach handelt es sich um einen Mann aus Afghanistan. Sulaiman A. überwies ihm 610 Euro, als Spende, wie er sagt – zwei Tage nach dem Chat, den er offenbar als Freibrief zum Töten auffasste. Für ihn war das viel Geld.

Für den Islamischen Staat interessierte er sich, „weil sie Gottes Gesetze praktiziert haben“

Bis zu seiner Verhaftung lebte Sulaiman A. mit seiner Frau und zwei Kindern im hessischen Heppenheim. Er sei als Minderjähriger 2013 mit seinem Bruder, aber ohne seine Eltern nach Deutschland gekommen, so schilderte er es zu Prozessbeginn. Er besuchte die Schule, machte sich zwischenzeitlich mit einer Reinigungsfirma selbständig, allerdings erfolglos. Zuletzt lebte er von Aushilfsjobs und staatlicher Unterstützung. Er strebte über die Abendschule das Abitur an. Von 2022 bis 2023 tauschte er sich aber auch online mit „Gelehrten“ aus, um mehr über den Islam zu lernen. Er sagt, er habe sich auch für den Islamischen Staat interessiert, „weil sie Gottes Gesetze praktiziert haben“.

Der Angriff von Mannheim im Mai 2024 bildete das erste Glied einer unheilvollen Kette, danach folgten Anschläge in Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg, München. So unterschiedlich die Angreifer und ihre Beweggründe waren, eines hatten sie gemeinsam: Keiner der Täter stammt aus Deutschland. Den Bundestagswahlkampf dominierte die Frage, wie man die Migrationspolitik verschärfen kann, damit sich solche Angriffe verhindern lassen. So wie es Sulaiman A. schildert, begann seine Radikalisierung in Deutschland.

In Mannheim reißt der Prozess nicht nur alte, sondern auch neue Wunden auf. Die zweitgrößte Stadt in Baden-Württembergs war vor wenigen Wochen erneut Schauplatz einer blutigen Tat. Nur mit dem Unterschied, dass der Tatverdächtige diesmal ein Deutscher ist: Am 3. März raste Alexander S. aus Ludwigshafen mit seinem Auto durch die Fußgängerzone. Er tötete eine 83 Jahre alte Frau und einen 54 Jahre alten Mann – nur wenige Hundert Meter vom Marktplatz entfernt, wo knapp ein Jahr zuvor der Polizist Rouven Laur ermordet wurde. Alexander S. hatte zumindest bis 2018 klare Verbindungen ins rechtsextreme Milieu, die Ermittler sehen bislang aber keine politischen oder extremistischen Motive für die Tat, sondern verweisen auf psychische Probleme.

Was Sulamain A. zu seiner Tat getrieben hat, versucht der 5. Strafsenat am Oberlandesgericht Stuttgart noch bis Oktober 2025 aufzuklären.

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