Terror in Paris:Schutz für Flüchtlinge - jetzt erst recht

Flüchtlinge in Mannheim

Flüchtlinge warten in Mannheim auf ihre Weiterreise (Archivbild vom 22.09.2015).

(Foto: dpa)

Gewiss ist es möglich, dass unter den Flüchtlingen gefährliche Extremisten sind. Jedes Recht kann hintergangen werden. Das kann aber nicht dazu führen, es zu streichen.

Von Heribert Prantl

Zu den Formeln des großen Entsetzens gehört der Satz, dass nun nichts mehr so sei wie vorher. Dieser Satz ist seit 9/11 zum Echo der Terroranschläge geworden. Der Satz ist der Versuch, den Zivilisationsbruch zu benennen, den die Taten von al-Qaida und IS bedeuten.

Es widerspricht nun eigentlich der Bedeutung des Satzes, wenn er immer wieder gebraucht wird - weil es nicht sein kann, dass alle paar Monate nichts mehr so ist wie vorher. Wenn man freilich die terroristischen Verbrechen im Fortsetzungszusammenhang sieht, dann zeigt die Wiederholung des Satzes das fortgesetzte Entsetzen darüber.

Es gibt also an sich keinen Grund, sich über diese Formel zu mokieren - es sei denn sie wird missbraucht, um das Feuer zu schüren, auf dem die eigene Suppe schon kocht. Das geschieht immer öfter. Die Formel wird dann zur hartgesottenen Rechthaberei und zum Ausgangspunkt für extreme Forderungen:

"Jetzt seht ihr es", soll das dann heißen, "wir weit wir gekommen sind mit der bisherigen Politik. Jetzt muss die Kehrtwende her." Ein Attentat wird zum Vorwand, die Maske fallen zu lassen. Die polnische Regierung etwa hat alsbald nach Paris erklärt, nun die ohnehin mickrige Flüchtlingsquote, die ihr die EU zuwies, nicht mehr erfüllen zu wollen.

Elende werden in einen Mördertopf mit dem IS geworfen

Noch schneller war nur das Internet. Dort hat es keine Stunde gedauert, bis nach Paris die Verbindung hergestellt war zwischen den Attentaten und der Aufnahme von Flüchtlingen - und daher das radikale Ende der Aufnahmepolitik gefordert wurde.

Bürger, die für Flüchtlingsschutz eintreten, wurden in Kettenmails beschimpft: "Sie sind mitschuldig, denn Sie bejubelten, dass Frau Merkel Zigtausende IS-Terroristen nach Deutschland holt." Die Elenden und Verdammten, die vor dem mörderischen IS aus Syrien fliehen mussten, werden auf diese Weise mit diesem IS in einen Mördertopf geworfen.

Es gibt Publizisten, die das nicht ganz so plump-brutal anstellen. Sie reden davon, dass mit den Attentaten quasi die Geschäftsgrundlage für die bisherige Politik entfallen sei und jetzt alles neu und hart gedacht werden müsse; sie propagieren die polnisch-ungarische Linie.

Nichts ist mehr so wie vorher? Am Jahresanfang, nach dem Attentat auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, ist dieses Verbrechen in Deutschland zum Anlass genommen worden, mit noch mehr Verve die längst vorher propagierten Maßnahmen der inneren Sicherheit durchzusetzen; damals ging es, unter anderem, um die Vorratsdatenspeicherung.

Europa muss dem Terror trotzen und offene Gesellschaft bleiben

Das war vergleichsweise harmlos. Jetzt geht es um die Flüchtlinge. Noch verbietet es vielen die Pietät, einen Zusammenhang zwischen Paris und der Flüchtlingskrise zu konstruieren und eine radikale Flüchtlingsabwehr zu fordern. Wie lang wird die Pietät halten?

Es gib schon jetzt vereinzelt Politiker und Publizisten, die ein "hartes Gesicht" verlangen: "Merkel muss nun endlich . . ." heißt es. Warnend wird darauf hingewiesen, dass unter Flüchtlingen Terroristen sein können. Gewiss ist das möglich; unter den Attentätern von Paris sollen zwei Verbrecher sein, die sich als Flüchtlinge getarnt hatten.

Jedes Recht kann hintergangen werden. Das darf aber nicht dazu führen, das Recht zu streichen; und auch nicht dazu, den IS-Opfern Schutz zu verweigern. Der Terror ist allerdings ein Grund mehr, bei Registrierung und Asylprüfung Sorgfalt walten zu lassen.

Die Attentate sind Anlass, jetzt "erst recht" zu sagen. Europa muss solidarisch sein. Es lebt davon, dass es Menschen und ihre Würde schützt. Europas Werte bauen darauf auf; Europas Wert besteht darin. Europa muss dem Terror trotzen und offene Gesellschaft bleiben. Ein starker Staat ist nicht einer, der ein hartes Gesicht macht. Ein starkes Europa ist eines, das die Schwachen, das Recht und die Freiheit schützt.

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