Augenzeugen in Paris:"Ich stieg über Körper, ich sah viel Blut"

Mehrere Selbstmordattentate in Szenevierteln, ein Sturm auf einen Konzertsaal und ein Anschlag am Fußballstadion: In Paris kam es Freitagabend zu einer koordinierten Terrorserie. Tausende Menschen mussten schreckliche Szenen miterleben.

Protokolle aus der Nacht des Terrors

Ein Augenzeuge berichtet aus der Konzerthalle Bataclan:

"Alle warfen sich auf den Boden, als die Schießerei begann. Ich habe mich hinter der Tonanlage versteckt. Sie schossen wahllos um sich, ich habe Sturmgewehre gesehen. Ich stieg über Körper, ich sah viel Blut. Auf der Straße sah ich Tote."

Quelle: Le Monde

Auch ein junger Mann namens Louis besuchte mit seiner Mutter das Konzert und berichtet:

"Wir duckten uns vor den Schüssen weg und versuchten herauszukommen. Viele Leute lagen auf der Erde. Schon vor der Konzerthalle hatten die Männer zu schießen begonnen, mit Pumpguns, glaube ich. Sie hielten einfach in die Menge und schrien "Allahu akbar". Die Musik stoppte, alle warfen sich auf die Erde, und die Männer schossen weiter auf die Leute.

Ich hab meine Mutter festgehalten, wir lagen auf dem Boden, bis jemand sagte: Sie sind weg. Beim Hinausgehen mussten wir über die dort liegenden Körper hinwegsteigen, es war ein Albtraum."

Quelle: franceinfo

"Ich dachte an den 11. September"

Daniel Psenny, Journalist von Le Monde, wohnt hinter der Konzerthalle Bataclan. Er wurde beim Versuch, Verwundete zu bergen, am linken Arm verletzt.

"Ein Fenster meiner Wohnung geht hinaus auf die Straße, in der sich der Hinterausgang des Bataclan befindet. Ich habe gerade zu Hause gearbeitet, im Fernsehen lief ein Krimi. Ich hörte Geräusche wie von Knallkörpern und dachte zuerst, es käme aus dem Film. Aber der Krach war lauter, also ging ich ans Fenster. Ich wohne im zweiten Stock. Viele Leute liefen auf der Straße durcheinander, offensichtlich versuchten sie, zu entkommen. Ich sah Menschen auf dem Boden liegen, ich sah Blut - ich begriff, dass etwas Ernstes passiert war. Ich dachte an Bilder des 11. September.

Ich ging ins Erdgeschoss und wollte die Tür für die Fliehenden öffnen. Ich machte die Tür auf, davor lag ein Mann ausgestreckt auf dem Bürgersteig. Wir zogen ihn ins Innere. Dort in der geöffneten Tür traf mich die Kugel. Mehr weiß ich nicht. Es fühlte sich an, als wenn ein Kracher direkt an meinem Arm explodiert. Ich vermute, dass der Schütze an einem Fenster des Bataclans stand. Ich bin zu Nachbarn in die vierte Etage gegangen, der Mann, den wir hereingezogen haben, hatte eine Kugel ins Bein bekommen. Es war ein Amerikaner, er erbrach sich und ihm war kalt. Wir haben die Feuerwehr angerufen, aber sie konnten uns nicht befreien. Eine befreundete Ärztin hat mir am Telefon erklärt, wie ich aus meinem Hemd einen Verband herstellen kann."

Quelle: Le Monde

"Auf dem Platz lagen mehrere Körper"

Eine etwa dreißigjährige Frau berichtet von der Rue Bischat, nahe des Restaurant Petit Cambodge:

"Ich war mit dem Roller unterwegs mit Freunden. Als ich hier vorbeikam, sah ich Leute auf dem Boden liegen. Ich hatte den Eindruck, dass ein Auto rückwärts ins Lokal hineingesetzt hatte, alle Scheiben waren zerbrochen. Ich habe zuerst nicht begriffen, was passiert. Die Feuerwehr war sehr schnell vor Ort. Ich sah etwa vier oder fünf Personen auf der Erde liegen, aber kein Blut. Es müssen Engländer gewesen sein, eine Frau wiederholte immer wieder seltsam emotionslos "gunshot, gunshot".

Quelle: Le Monde

Ein Augenzeuge, der nahe des Anschlagsortes La Belle Equipe wohnt, berichtet:

"Ich hörte Detonationen, ich bin ans Fenster gegangen. Ich habe von dort aus einen direkten Blick auf das Café. Ich sah einen Mann aus einem Auto steigen und Richtung Terrasse schießen. Er schoss mehrere Male, ich hörte Schreie. Danach ist der Mann wieder ins Auto gestiegen und weggefahren - einfach so. Auf dem Platz lagen mehrere Körper."

Quelle: Le Monde

Flucht über das Dach

Frederic Nowak, Besucher des Konzerts im Bataclan:

"Das Konzert hatte seit etwa einer halben Stunde begonnen, als wir Geräusche hörten wie von Böllern. Wir haben uns umgedreht und wir sahen zwei junge Typen. Sie standen ziemlich weit weg, aber sie hatten Kalaschnikows und schrien die Menge an. Wir haben uns alle auf den Boden gelegt. Da war Panik. Alle schrien und die Typen schrien - wieder und wieder.

Rechts auf der Bühne war eine Tür offen, alle versuchten, dort hinzukommen. Dahinter war ein Treppenhaus. Wir waren dort fünf bis zehn Minuten eingepfercht, doch dann sahen wir zwei Türen und versuchten, weiterzukommen. Doch sie führten nur zu irgendwelchen Umkleiden. Irgendwann schaffte es dann jemand, den Zugang zum Dach zu öffnen und alle kletterten hinaus. Wir warteten dort. Und dann öffnete ein Mann, dessen Wohnung an das Dach angrenzte, sein Fenster und ließ uns alle hindurchsteigen. Und wir blieben dort und warteten darauf, dass es vorbeigehen würde. Wir hörten Gewehrschüsse, Schreie und Explosionen und wussten überhaupt nicht, was eigentlich los war."

Quelle: CNN

"Sie waren sehr ruhig, sehr entschlossen"

Julien Pearce ist Journalist beim französischen Radiosender Europe 1 und war im Bataclan:

"Die Menschen haben geschrien, gekreischt und auf dem Boden gelegen. Der Angriff dauerte etwa zehn Minuten. Zehn schreckliche Minuten, in denen alle am Boden lagen und ihre Köpfe geschützt haben." Er habe "viele Schüsse" gehört, die Terroristen seien "sehr ruhig, sehr entschlossen" gewesen, berichtet Pearce. "Sie haben ihre Waffen drei oder vier Mal nachgeladen. Sie haben nicht gebrüllt, sie haben gar nichts gesagt."

Die Attentäter seien ganz in Schwarz gekleidet und unmaskiert gewesen. Einem von ihnen, einem jungen Mann im Alter von 20 oder 25 Jahren, habe er sogar ins Gesicht gesehen. Der Journalist hat den verheerenden Angriff nach eigener Aussage überlebt, weil er sich über die Bühne zu einem Ausgang retten konnte. Die Attentäter hätten mit Sturmgewehren in die Menge geschossen. "Die Leute versuchten zu fliehen und sind auf der Suche nach Ausgängen auf Personen getreten, die am Boden lagen", sagt Pearce.

Quelle: AFP

"Sie sagten: 'Hollande ist schuld'"

Auch der 35-jährige Pierre Janaszak hat den Angriff auf das Bataclan überlebt. Er saß zusammen mit seiner Schwester und Freunden auf einem der oberen Ränge, als die ersten Schüsse fielen.

"Zuerst haben wir gedacht, dass das zur Show gehört, aber wir haben schnell verstanden. Überall war Blut, überall waren Leichen. Die Menschen haben geschrien, alle haben versucht zu fliehen", berichtet Janaszak, der sich mit vier anderen Personen in einer Toilette verschanzte. Die Attentäter hätten 20 Geiseln genommen und mit ihnen gesprochen. "Ich habe deutlich gehört, wie sie zu den Geiseln gesagt haben: 'Hollande ist schuld, euer Präsident ist schuld, er hat nicht in Syrien einzugreifen.'"

Als die Polizei den Konzertsaal gestürmt habe, seien wieder viele Schüsse gefallen, berichtet Janaszak. "Es wurde in alle Richtungen geschossen, es gab auch Explosionen." Dann hätten Polizisten die Toilettentür geöffnet und ihn aufgefordert herauszukommen. Vorher musste er aber seinen Oberkörper freimachen - die Polizisten wollten sichergehen, dass er keine Bombe dabei hatte.

Quelle: AFP

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