Terror in Mumbai:Der innere Feind

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Indiens Politiker behaupten, die Terroristen kämen aus dem Ausland. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich der Feind längst im eigenen Land formiert hat. Denn Indiens Muslime sind das Hassobjekt der Hindu-Nationalisten - und werden seit jeher diskriminiert.

Stefan Klein

Gewalt gehört zu Indien wie ein gut gewürztes Currygericht. Gewalt und Terror hat es immer gegeben in einem Land, das schon bei seiner Geburt vor 61 Jahren in Mord und Totschlag unterzugehen drohte. Politiker wurden umgebracht, es gab Pogrome, Hindus zündeten Häuser von Muslimen an, Muslime zündeten Häuser von Hindus an, und noch nicht einmal das Parlament war vor Terror sicher. Und stets, wenn Muslime hinter Gewalttaten vermutet wurden, wiesen die anklagenden Zeigefinger der Politiker reflexartig in dieselbe Richtung - nach Norden, auf den verhassten muslimischen Feind und Bruder Pakistan.

Ein TV-Bild zeigt einen bewaffneten Mann, der im Verdacht steht, an den Angriffen in Mumbai beteiligt zu sein. (Foto: Foto:)

Terror-Gruppe mit blutiger Spur

Auch jetzt, nach der jüngsten Anschlagsserie in Mumbai, hat Indiens Premierminister Manmohan Singh von einer Gruppe gesprochen, die ihre Wurzeln außerhalb des Landes habe. Es ist dies der bequemste Erklärungsversuch, der aber an den Realitäten vorbeizugehen scheint. Einiges deutet nämlich darauf hin, dass sich der Feind mittlerweile im eigenen Land formiert und organisiert hat. In Indien, einem Land mit mehr als einer Milliarde Menschen, lebt eine Minderheit von etwa 130 Millionen Muslimen, und die fristen seit jeher ein kümmerliches Dasein. Sie gelten als Abkömmlinge fremder Invasoren, werden diskriminiert und sind das Hassobjekt der Hindu-Nationalisten.

Dass diese Erfahrung von Benachteiligung und Unterdrückung und der Hass, der sich daraus gebildet hat, eines Tages umschlagen könnte in radikale Gegenwehr, musste man realistischerweise stets für eine Möglichkeit halten. Und hatten sich nicht in den letzten Jahren die Anzeichen für ein indisches Eigengewächs muslimisch-terroristischer Herkunft stark verdichtet? Plötzlich war da eine Gruppe mit dem Namen Indian Mujahideen, und die zieht schon seit einiger Zeit eine blutige Spur hinter sich her.

Allein in diesem Jahr hat sie sich zu einer Vielzahl von Bombenanschlägen in verschiedenen indischen Städten bekannt. Mehr als 130 Menschen kamen dabei ums Leben. Die Organisation, die sich jetzt zu dem Terror in Mumbai bekannt hat, trägt einen anderen, bislang noch nicht gehörten Namen, doch das will nichts heißen. Die Hydra mag verschiedene Köpfe haben, doch genährt wird sie ganz offensichtlich von der Wut indischer Muslime, die nicht mehr Bürger zweiter Klasse sein wollen.

Das synchronisierte Vorgehen der Mörder und ihre gezielte Suche nach westlichen Ausländern mag auf das Terrornetzwerk al-Qaida hindeuten, der Gebrauch von Granaten und die Geiselnahmen sprechen eher dagegen. Aber vielleicht ist ja gerade das der Erfolg von Osama bin Laden, dass er gar nicht mehr selber Hand anlegen muss, weil er als Spiritus Rector des Terrors gewaltbereite Muslime in aller Welt längst infiziert hat.

Nun drohen Rache und Mordlust

Es ist eine tödliche Saat, die da aufgeht, und kaum irgendwo sonst hätte man sie mit so viel Aussicht auf Ertrag in den Boden bringen können. So wie dem säkularen Credo zum Trotz die Spannungen zwischen Muslimen und Hindus in der Vergangenheit immer explodiert sind, so könnte auch diesmal das große Blutvergießen erst noch bevorstehen. Der Appell des Premierministers, Ruhe und Einigkeit zu bewahren, war sicher gut gemeint. Das Problem ist nur, dass es an Einigkeit gar nichts zu bewahren gibt, weil die nämlich noch nie existiert hat.

Rachefeldzug radikaler Hindus

Vielmehr dürfte das Wort Rache jetzt viele Hindu-Hitzköpfe noch hitziger ma-chen. Gefühle geraten in Indien leicht in Wallung, Mordlust ist ohne großen Aufwand hervorzurufen, und nach einer Nacht wie dieser stellt sie sich nahezu automatisch ein. Irgendein verantwortungsloser Politiker wird sich finden, der mit ein paar Worten für den auslösenden Funken sorgt - und wenn der aktuelle Schauplatz schon Mumbai ist, dann würde es nicht verwundern, wenn es ein Mann wie Bal Thackeray wäre. Der in Mumbai lebende alte Hetzer, Hitler-Verehrer und Hindu-Fanatiker hatte schon im Juni die glänzende Idee, islamistischen Terror mit hinduistischem Terror zu beantworten und zu diesem Zweck eigene Selbstmordkommandos aufzustellen.

Ein Rachefeldzug radikaler Hindus aber würde genau den Boden düngen, auf dem der islamische Dschihad gedeiht, und er würde ganz im Sinne der Täter von Mumbai die Kettenreaktion beschleunigen, die das Land immer tiefer in einen Strudel von Gewalt und Gegengewalt ziehen könnte. Aufgerufen sind jetzt die Politiker, dieses Schreckensszenario zu verhindern, doch die rüsten im Moment für einen Wahlkampf.

Es geht um die Macht, nicht um die Vernunft, und es ist nicht auszuschließen, dass die Hindu-Nationalisten von der BJP, der Bharatiya Janata Party, versucht sein könnten, hoch auf der Terrorwelle zum Wahlsieg zu reiten. Das sind Leute, die faschistische Wurzeln haben, und als sie das letzte Mal die Regierung stellten in Neu Delhi, da waren die Spannungen zwischen Hindus und Moslems ganz besonders groß.

Indiens radikalen Islamisten freilich könnte nichts Besseres passieren als die Rückkehr dieser Scharfmacher. Denn dann hätte das Feindbild noch klarere Konturen als jetzt schon. Für das Land und seine Zukunft als heraufziehende asiatische Großmacht allerdings wäre es ein Unglück.

© SZ vom 28.11.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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