Szenen wie aus einem Bürgerkrieg, Tote und Verletzte, schwerbewaffnete Polizisten durchkämmen ein Einkaufszentrum und die U-Bahn, Panik am Hauptbahnhof, die Spezialeinheit GSG 9 fliegt ein: München am Freitagabend, die eigentlich sicherste Großstadt Deutschlands, im Ausnahmezustand. Die Unklarheit, was da eigentlich geschehen und wer dafür verantwortlich war, schürte das Entsetzen weiter. Auch wenn die näheren Umstände bis zum späten Abend unklar bleiben - zumindest die Angst vor Attentaten ist am Freitag in der Bundesrepublik angekommen, endgültig.
Die Gefahr war das Problem der anderen
Binnen weniger Tage erst die Bluttat durch einen als unbegleiteten minderjährigen Flüchtling eingestuften jungen Mann im Regionalexpress bei Würzburg, dann der Schreckensabend von München. Welch ein Schock. Die Bundesrepublik hatte viele Jahre, eigentlich seit 9/11, relativ viel Glück gehabt, viel mehr Glück jedenfalls als die europäischen Nachbarn Frankreich, Großbritannien, Spanien, wo Hunderte bei Anschlägen islamistischer Terroristen starben, oder in Norwegen durch die Hand eines wirren Rechtsradikalen. Dass geplante Terrorattacken durch selbst ernannte Gotteskrieger wie am Bonner Hauptbahnhof nur durch Glück oder die professionelle Arbeit der Polizei vereitelt, dass in Frankfurt zwei US-Soldaten ermordet wurden, sickerte kaum ins öffentliche Bewusstsein. Die Gefahr, bei aller Anteilnahme, war gefühlt das Problem der anderen.
Anschlag in München:Abend der Angst
Schüsse, Tote und Gerüchte - München steht am Freitag von 18 Uhr an unter Schock. Den Menschen wird bewusst: Das Grauen macht nicht länger Halt vor der eigenen Stadt.
Das hat die deutsche Debatte über den Kampf gegen die Bedrohung geprägt. Bis zum heutigen Tag verläuft sie, zumindest immer wieder, entlang fester Fronten. Die einen fordern eine massive Aufrüstung des Staates und Abbau des Rechtsstaates, den sie offenbar vor allem als Sicherheitslücke betrachten. Die anderen sehen in Anpassungen von Gesetzen und Instrumenten der Polizei vor allem eine Bedrohung eben dieses Rechtsstaats. Es ist eine sehr deutsche Debatte - um Prinzipien, das hehre Große und Ganze, und jede Sachfrage gerät da leicht zum Symbol.
Was oft zu kurz kommt, ist eine sachliche, mit dem Selbstbewusstsein einer wehrhaften Demokratie geführte Auseinandersetzung darüber, was nötig sein könnte und was nicht. Manchmal wäre das gar nicht schwer zu erkennen. Sollte man die Bundeswehr im Inneren zur Terrorabwehr einsetzen und dafür das Grundgesetz ändern? Wohl kaum - es sei denn, die Befürworter dieser in Endlosschleifen vorgebrachten Idee könnten einen einzigen Fall nennen, in dem der Einsatz der - für polizeiliche Aufgaben nicht ausgebildeten - Armee im Inland nötig gewesen wäre. Auch die Vorfälle von München sind gewiss kein solcher.
Die Belastbarkeit der Polizei ist endlich
Aber noch eine andere Frage ist angebracht: Ist es wirklich ein Anschlag auf die Grundlagen zivilisierten Zusammenlebens, wenn man fordert, die Polizei bei der Bekämpfung von Kriminalität technisch und juristisch stets auf den neuesten Stand zu bringen? Muss Vorratsdatenspeicherung, natürlich die von den höchsten Gerichten aufgebauten Hürden vorausgesetzt, wirklich des Teufels sein? Welche Datensammlungen nützen im Kampf gegen den Terror wirklich, und welche sind nur populistische Forderungen der üblichen Hardliner?
Es gibt aber noch ein Thema, über das ungern gesprochen wird. Über Jahre dachten die meisten Bundesländer, am Polizeiapparat lasse sich leicht sparen, sie verkauften seine Ausdünnung sogar als Reform. Und wenn man den starken Staat demonstrieren wollte, erließ man eben neue Gesetze, deren Überwachung dann wieder dieser geschrumpften Polizei oblag. Da haben die Polizeigewerkschaften, obwohl sie rhetorisch manchmal arg über die Stränge schlagen, schon recht: Wer mehr Sicherheit schaffen will, sollte zuerst die Polizei wieder besser in die Lage versetzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Deren professionelles Niveau ist hoch, die Belastbarkeit aber endlich.
Was immer der Staat unternimmt: Er wird nicht garantieren können, dass sich Taten wie die von Würzburg und München nicht wiederholen. Niemand sollte suggerieren, dies sei doch möglich, wenn man nur alle seine Forderungen erfülle. Und niemals darf einem Rechtsstaat das Augenmaß verloren gehen - niemals darf er zerstören, wofür er steht.