Terror in Moskau:Die Rückkehr der Schwarzen Witwen

Hinter den Anschlägen in Moskau werden Frauen aus dem Kaukasus vermutet - und sie wollen mehr als nur ein freies Tschetschenien.

Sonja Zekri

Die Angst ist nach Moskau zurückgekehrt. Einige wenige Jahre konnte sich Russland der Illusion hingeben, dass sich die Hauptstadt würde schützen lassen vor dem Terror. Aber im November starben fast 30 Menschen bei einem Anschlag auf einen Schnellzug zwischen Moskau und Sankt Petersburg. Nun sind am Montagmorgen zur Rushhour zwei Bomben in der Moskauer Metro explodiert. Es waren Selbstmordanschläge, sagen die Behörden, die Täter wahrscheinlich Frauen aus dem Kaukasus. Die Schwarzen Witwen sind wieder da.

Warum jetzt? Warum so? Wie mit jedem Anschlag auf weiche Ziele, auf Züge, Märkte, Schwimmbäder, wollten die Täter auch diesmal den größtmöglichen Schrecken in den Alltag tragen. Kein Moskauer, der nicht irgendwann Metro fährt. Aber die Botschaft ist subtiler, die Tat perfider. Die Station Park Kultury, wo eine der Bomben explodierte, liegt unter dem Gorki-Park, Stalins Freizeit-Oase für die werktätigen Massen mit Karussells und Luftballons. Oberhalb der Haltestelle Lubjanka wiederum steht die Zentrale des Geheimdienstes, des FSB.

Damit rückt eine Institution in den Mittelpunkt, die nicht nur einer der größten Profiteure des Konflikts ist, sondern auch eine Quelle der Gewalt im Kaukasus. Tag für Tag rücken in Inguschetien und Dagestan Geheimdienstler zu bestens vergüteten Spezialoperationen gegen Untergrundkämpfer aus; dabei verschwinden Unschuldige, werden Geständnisse mit Folter erpresst, Häuser geplündert, Menschenrechtler bedroht - der Hass wächst.

Zu lange auf Härte gesetzt

In dieser Gegend sei es geradezu ein Grund zur Freude, wenn die Söhne nur verhaftet würden und nicht gleich umgebracht, sagt die Mutter eines entführten Studenten. Mehr noch: Die Logistik für den Transport von Waffen, Sprengstoff oder Gefangenen wie der ermordeten Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa ist ohne Komplizen in den Sicherheitsorganen kaum denkbar. Wenn also Präsident Dmitrij Medwedjew den Kaukasus Russlands schlimmstes innenpolitisches Problem nennt, wenn er von "beispielloser" Korruption, Gewalt und Clanwirtschaft spricht, dann ist das auch die Folge einer Politik, die zu lange auf Härte gesetzt hat.

Dabei sollte alles anders werden. Seit einiger Zeit verspricht der Kreml mehr Flexibilität und weniger Grausamkeit, Investitionen statt Spezialoperationen. Deshalb hat Medwedjew den inguschetischen Präsidenten Junus-Bek Jewkurow eingesetzt, der den Opferfamilien kondoliert, Blutrachefehden beilegt und eine Amnestie für jene Männer "im Wald" anbietet, die keine schweren Verbrechen begangen haben. Ähnlich hat sich der soeben ernannte Präsident von Dagestan geäußert, Magomedsalam Magomedow.

Und Medwedjews neuer Beauftragter für den Kaukasus, Alexander Chloponin, weiß zwar noch wenig über den ethnischen Proporz von Avaren und Lesginern, Kabardinern und Balkaren, oder über die hochkomplexe Hierarchie kaukasischer Loyalitäten zu Familie, Sippe, Volk. Aber er war Manager in der sibirischen Rohstoff-Branche, auch nichts für zarte Gemüter. Nun will er im Kaukasus den Tourismus und die Landwirtschaft fördern und das Investitionsklima verbessern. Nach Jahren, in denen der Kreml die Erosion seines Einflusses im Kaukasus, die kulturelle Entfremdung und die Gewalt stoisch hingenommen hat, ist diese vorsichtige Wende nicht nur ein Eingeständnis, dass die bisherige Politik gescheitert ist, sondern auch ein konstruktiverer Ansatz.

Zweifel an einem schnellen Erfolg dieser Strategie aber gibt es nicht erst seit Montag. Im vergangenen Jahr wurde ausgerechnet der Hoffnungsträger der Region, Inguschetiens Präsident Junus-Bek Jewkurow, in seinem Auto von einem Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und schwer verletzt. Die Zahl der Todesopfer und Entführungen in der winzigen Republik übersteigt alles Bisherige. In Grosny im benachbarten Tschetschenien, wo Präsident Ramsan Kadyrow mit quasi-stalinistischen Methoden herrscht, tauchten jüngst sogar Selbstmordattentäter auf Fahrrädern auf.

Ziel der Kämpfer ist das Kalifat

Denn der bewaffnete Untergrund besteht längst nicht mehr aus säkularen Separatisten, die ein freies Tschetschenien erkämpfen wollen. Seit drei Jahren ist das erklärte Ziel der Kämpfer das Kalifat, ein Gottesstaat vom Kaspischen bis zum Schwarzen Meer. Und der Weg dorthin ist der Dschihad.

Die zivile Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer, ein wirtschaftlicher Aufbau, eine Zukunft für junge Männer, die derzeit nur in der Moschee wirklich gebraucht werden, das alles ist schwer genug zu leisten. Denn eine Wirtschaft im klassischen Sinn als Zusammenspiel von Produktion, Handel und Dienstleistung gibt es nach Ansicht von Experten im Kaukasus gar nicht mehr. Ohne Subventionen aus Moskau würden die Republiken an Russlands Südflanke keine Woche überleben. Doch selbst wenn es zu einer wirtschaftlichen Erholung käme, wäre nicht garantiert, dass sich die Attraktivität der Gotteskrieger dadurch neutralisieren ließe.

Wie so viele andere Anschläge zuvor dürften auch die Anschläge vom Montag vollständig kaum aufgeklärt werden. Eines aber ist unübersehbar: Die wichtigsten Spieler sind an einer Lösung des Kaukasus-Konfliktes nicht interessiert.

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