Süddeutsche Zeitung

Terror in Griechenland:Pure Lust an der Gewalt

Linksextremisten aus Athen terrorisieren mit Paketbomben Europa. Die Szene ist stark zersplittert - und scheint zu allem entschlossen.

Kai Strittmatter

Der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer wies unlängst darauf hin, dass linksextremer Terrorismus vor allem jene Gesellschaften in die Zerreißprobe geführt habe, die zuvor rechtsextreme Diktaturen zu erleiden hatten: Spanien, Italien, Deutschland. Griechenland nannte er nicht, aber es hätte gut in die Reihe gepasst; das Land, das sich erst spät, 1974, von dem faschistischen Regime der Obristen befreite. In Griechenland hat der Linksterrorismus länger überlebt als anderswo.

Es ist nicht so, als ob das Land nicht Erfolge gefeiert hätte im Kampf gegen den Terrorismus. Der erfolgreichste Terroristenjäger sitzt im Moment in der Regierung. Michalis Chrysochoidis ist seit der letzten Kabinettsumbildung Wirtschaftsminister - eine Belohnung für seinen Kampf gegen den Terror zuvor. Chrysochoidis war auf dem Gebiet ein erfahrener Mann, als er 2009 im neuen Pasok-Kabinett erst einmal zum Bürgerschutz-Minister wurde. Er hatte schon unter der letzten Pasok-Regierung 2003 die Zerschlagung der mörderischen linken Terrorgruppe "17. November" beaufsichtigt und damit die Olympischen Spiele 2004 in Athen sicher gemacht. Danach wurde es eine Zeitlang ruhiger.

Die linksradikalen Gruppen wurden jedoch wieder aktiver nach dem Dezember 2008. Damals erschoss ein Polizist im linksalternativen Stadtteil Exarchia einen 15-jährigen Jungen, es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen Teile Athens in Flammen standen. Exarchia ist ein bunt-alternatives Viertel, das nicht nur für Intellektuelle und Künstler eine beliebte Heimat ist, sondern auch für all jene, die sich selbst Anarchisten und Autonome nennen. Dort sind viele Sympathisanten der Terrorgruppen zu Hause.

Als Bürgerschutzminister gelang Chrysochoidis ein weiterer Coup. Seine Beamten zerschlugen im April diesen Jahres den Kern des "Revolutionären Kampfes". Die Gruppe war erstmals 2003 aufgetaucht und versuchte, dort anzuknüpfen, wo der "17. November" aufgehört hat. Sie legten Bomben vor Banken, Ministerien und der Athener Börse. Die spektakulärste Aktion war ein Raketenangriff auf das Gebäude der US-Botschaft in Athen 2007. "Ihr seid die Kriminellen: Der Staat und das Kapital", sagte einer der Köpfe der Gruppe, Nikos Maziotis, dem Haftrichter im April.

Stadtguerillas

Das Ende dieser Gruppe bedeutete jedoch kein Ende der Gewalt. Griechenland hat keinen Mangel an Stadtguerilla-Zellen, die sich mal "Revolutionäre Brigade", mal "Revolutionäre Befreiungsaktion", mal "Bewaffnete Revolutionäre Aktion" nennen. Die beiden aktivsten Gruppen scheinen die "Sekte der Revolutionäre" und die "Verschwörung der Feuerzellen" zu sein, die offenbar für die Briefbombenattentate von dieser Woche verantwortlich sind.

Die "Sekte der Revolutionäre" trat erstmals im Februar 2009 in Erscheinung mit einem bewaffneten Überfall auf eine Athener Polizeiwache. Die Erklärung der Gruppe hinterher schockierte die Öffentlichkeit, weil hier zynische Lust an der Gewalt auf jede ideologische Verbrämung verzichtete: "Die Körper der Polizisten sind perfekt fürs Schießtraining. Wie die Donuts, die sie verputzen, sind sie ohne ein Loch in der Mitte zu nichts gut."

Im Juli übernahm die Gruppe die Verantwortung für die Exekution des 37-jährigen Journalisten Sokrates Giolias. "Wir sind im Krieg gegen eure Demokratie", erklärte die "Sekte" und kündigte weitere Attentate auf Verleger und Polizisten an. Die "Verschwörung der Feuerzellen" wiederum machte zum ersten Mal Anfang 2008 von sich reden mit einer Reihe von Brandanschlägen in Athen und Thessaloniki.

In ihren Erklärungen ziehen die Gruppen meist gegen "das System", "den Kapitalismus" und "den Imperialismus" zu Felde. Die Grenze zur linksautonomen Szene wie der in Exarchia scheint dabei fließend zu sein. Der Beinahe-Bankrott Griechenlands und die unpopulären Sparmaßnahmen der Regierung haben die kriegerische Rhetorik in der Szene verschärft. Der Brandanschlag auf eine Bank in Athen am Rande einer Demonstration Anfang Mai, bei der drei Bankangestellte ums Leben kamen, wird Linksautonomen zugeschrieben.

Griechische Intellektuelle beklagen oft eine "Kultur der Gewalt", unter der Griechenland leide und die das Gedeihen des Terrorismus befördere. Der Schriftsteller und Vorsitzende des Nationalen Buchzentrums Takis Theodoropoulos sagte nach dem Anschlag im Mai, das Land leide an einer "Toleranz der alltäglichen Gewalt". Der Staat dulde zu viele rechtsfreie Räume, von der Justiz sei oft nicht einmal die Verfolgung von Verbrechen zu erwarten.

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SZ vom 03.11.2010/leja
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