Süddeutsche Zeitung

Terror in Berlin:Deutschland ist nicht im Krieg

Am Breitscheidplatz hat ein Mörder gewütet, kein Gotteskrieger, Freiheitskämpfer oder Widerständler gegen das System. Wer dennoch vom "Kriegszustand" faselt, der folgt der Logik der Terroristen.

Kommentar von Kurt Kister

Schlimme Zeiten bringen oft das Gute in vielen Menschen zum Vorschein. Man sieht das jetzt wieder in Berlin, wo es nicht nur Gemeinschaftsgefühl in Trauer und eine Welle der Hilfsbereitschaft gibt, sondern wo auch Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehr und andere Helfer die schrecklichen Folgen der terroristischen Amokfahrt gelindert haben.

Dass in der Hektik des Geschehens auch Fehlentscheidungen getroffen, dass vielleicht auch Nichtbeteiligte verhaftet werden, ist kaum vermeidbar. Dies spricht nicht gegen die Polizei, zumal dann nicht, wenn die Zweifel und Ungewissheiten alsbald deutlich gemacht werden. Gerade in einem Zeitalter, in dem so viele so schnell ihre persönlichen Gewissheiten herumzwitschern und ihre Eindrücke für die Realität halten, ist die klare Benennung dessen, was man eben nicht weiß, sehr wichtig.

Leider bringen schlimme Zeiten auch das Schlechte in manchen Menschen zum Vorschein. Das wird zum Beispiel daran erkennbar, dass etliche, noch bevor das Blut getrocknet ist, den Mord an anderen Menschen politisch zu instrumentalisieren versuchen. Da gibt es jene Extremisten, die nahezu gewohnheitsmäßig von "Merkels Toten" schreien. Aber es sind eben auch Leute wie der saarländische CDU-Innenminister Klaus Bouillon, der erst mal vom "Kriegszustand" faselt, bevor er selbst erkennt, dass es zwischen dem Terrorismus in Berlin und dem Massentöten in Aleppo Unterschiede gibt.

Terroristen sind üble Verbrecher, aber das Land ist nicht im Krieg

Gerade das Verwischen dieser Unterschiede kommt den Terroristen zupass. Sie nämlich, zumeist narzisstische Einzeltäter oder Angehörige von parallelweltlichen Kleinstgruppen, wähnen sich in einem Krieg gegen den Westen oder, im Falle der Nazi-Terroristen vom NSU, gegen die Überfremdung. Sie versuchen mit solchen Hirngespinsten ihr blutiges Tun zu legitimieren, das nichts weiter ist als eine Ansammlung schwerster Verbrechen.

Wer aber Verbrecher als Kombattanten sieht, wer von Krieg redet, der folgt ihrer Logik. Früher wollten die Terroristen der RAF Guerilleros oder Kriegsgefangene sein; heute reden Fanatiker anderer Couleur so. Dem darf man nicht nachgeben - weder als Politiker noch als Bürger. Am Breitscheidplatz hat ein Mörder gewütet, kein Gotteskrieger, Freiheitskämpfer oder Widerständler gegen das System.

Terrorismus ist keine Ideologie, keine Weltanschauung und nichts, was für eine bestimmte Religion oder Volksgruppe "typisch" wäre. Terrorismus ist eine Form des Kampfes, die von Einzeltätern, aber auch von organisierten Gruppen ausgeübt wird und wurde. Er zielt darauf ab, durch die skrupellose Anwendung mörderischer Gewalt einzuschüchtern und so Verhaltensänderung herbeizuführen.

Terrorismus gedeiht da, wo Hass stärker ist als Vernunft. Sehr deutlich wird das bei Taten des selbstmörderischen Massenmordes, bei denen der Hass des Täters auf die anderen stärker ist als die Liebe zum eigenen Leben. Menschsein definiert sich nicht im Tod, sondern im Leben. Wer so sehr hasst, dass er Mord und Tod dem Leben vorzieht, der hat die Sphäre der Humanität verlassen.

Gerade in der offenen Gesellschaft, die vom Meinungsstreit lebt, darf Terrorismus nicht zum Vorwand werden, um im vermeintlichen Abwehrkampf selbst die Grundlagen der Gesellschaft anzugreifen. "Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen", sagt Bundespräsident Joachim Gauck. Das sollte die Maxime für das Reagieren und Agieren sein. Hass ist gefährlich und macht dumm. Man sieht es an den Terroristen.

Zum Meinungsstreit gehört selbstverständlich die wichtige Debatte über Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik. Dass Deutschland in einer schwierigen Lage viele Flüchtlinge aufgenommen hat, war richtig; dass es allerdings so viele so wenig geordnet über Monate hin einreisen ließ, war falsch. Dennoch sind die Flüchtlinge nicht die Ursache des Terrorismus; die meisten von ihnen sind selbst vor den Ursachen des Terrorismus geflohen. Terrorismus gibt es in vielen Ländern, auch in Ländern Europas - und auch da, wo es eine rigide Flüchtlingspolitik gibt.

Wenn Horst Seehofer wenige Stunden nach der Berliner Amokfahrt sagt, man sei auch "den Opfern" eine "Neujustierung" der Flüchtlingspolitik schuldig, dann stellt er Bezüge zwischen Terror und Flüchtlingen her. Das ist schäbig und seiner nicht würdig. Im schlimmeren Falle trägt es dazu bei, Hass bei jenen zu schüren, die dafür anfällig sind. Und wozu Hass in der schlimmsten Ausprägung führen kann, hat der blutige Montag gezeigt.

Ja, "wir" sind den Opfern etwas schuldig. Wir sind ihnen schuldig, diese Gesellschaft nicht mit Hass und Gekeife zu verändern, sondern die oft unbequeme Freiheit, zu der auch politische Fehler gehören, mit Leidenschaft zu verteidigen.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2016
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