Süddeutsche Zeitung

Terror früher und heute:Warum die drei RAF-Terroristen so schwer zu fassen sind

  • Seit gut 30 Jahren bemühen sich Ermittler, die dritte Generationen der Rote Armee Fraktion (RAF) zu fassen.
  • Ob die neuen Spuren von dem Überall auf einen Geldtransport in Groß Mackenstedt einen Durchbruch bringen, ist ungewiss.
  • Die dritte Generation der Terroristen ging im Vergleich zu ihren Vorgängern deutlich konspirativer vor.
  • Was Terroristen aller Generationen eint: ihr gnadenloser Narzissmus.

Von Hans Leyendecker

Mord verjährt nicht, und Fahnder haben einen langen Atem. Seit gut dreißig Jahren mühen sich tüchtige Kriminalisten, versierte Staatsschützer und erfahrene Strafverfolger, die dritte Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) zu fassen, doch die Spuren führten meist ins Nichts. Zehn Morde sind noch immer nicht aufgeklärt. Ein Fiasko - nicht nur für die Ermittler.

Im November 2013 trafen sich Karlsruher Bundesanwälte und Ermittler des Bundeskriminalamts zu einer Art Bestandsaufnahme in Sachen RAF. Man war sich einig, dass die möglichen Ermittlungsansätze allesamt abgearbeitet seien. Vielleicht, so die Hoffnung, könnten neue Analysemethoden in dem einen oder anderen Fall doch noch den Durchbruch bringen. Immer wieder mal werden Asservate mit neuen Methoden auf DNA-Informationen untersucht und mit dem bereits identifizierten Material von Terrorismusverdächtigen verglichen. Viel existiert da aber nicht mehr.

Möglicherweise gebe es doch noch eine "günstige Fügung des Schicksals", meinte nach dem Treffen ein Beamter. "Kommissar Zufall", sagte man früher.

Die dritte Generation der RAF reiste gerne mit der Bahncard

Ob der Überfall auf den Geldtransporter im niedersächsischen Stuhr einen Durchbruch bringt oder ob die Spuren doch wieder ins Nichts führen werden, ist noch ungewiss. Aber die Vorstellung, dass da möglicherweise noch welche von der RAF, die von 1970 bis 1998 aktiv war, unterwegs sind, wirkt in den Tagen des islamistischen Terrorismus fast schon unwirklich und regt doch zu Vergleichen an. Wie war der Terror früher, wie ist er heute?

Es hat zu fast allen Zeiten schreckliche Wirrköpfe, Fanatiker und blutige Heilige gegeben. Dass Terroristen einen Hang zum Narzissmus haben, dafür gibt es viele Beispiele. Der eitle RAF-Mitgründer Andreas Baader zeigte sich gern in schnellen Autos. Die Mörder des sogenannten Islamischen Staates (IS) verschicken Selfies in die Welt und zeigen sich strahlend mit ihren Opfern. Der norwegische Attentäter Anders Breivik, der vor viereinhalb Jahren in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen ermordete, liebte Fantasieuniformen und war sehr eitel. Gutachter diagnostizierten bei ihm ausgeprägten Narzissmus. Aus Untersuchungen über die dunkle Geschichte des Terrors kann man lernen, dass Terroristen die Welt vorwiegend aus der Innensicht betrachten. Sie pflegen ihre Paranoia und meist auch ihren Waffenkult. Der RAF war wichtig, die Welt wissen zu lassen, mit wie viel TNT sie einen Anschlag verübt hatte. Die Terroristen von heute lassen sich mit ihrem Kriegsgerät fotografieren, als gingen sie auf Safari. Meist kennen sie nur Schwarz oder Weiß und kein bisschen Grau. Das war auch so bei der RAF und ist so, etwas komplizierter und brutaler noch, beim IS, dessen Terror epidemische Formen angenommen hat.

Auf die "Selbstbezüglichkeit" der RAF hat vor Jahren der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger in einem Gespräch hingewiesen, das in dem Buch "Die RAF und der linke Terrorismus" veröffentlicht wurde. Ideologisch sei die Terrorbande schon aufgeladen gewesen, aber im Kern sei es "immer nur um sie selbst" gegangen. "Das heißt, um den Austausch von Gefangenen, um ihre Freipressung. Politisch betrachtet war das eine totale Binnenwelt, ohne irgendeine Analyse der gesellschaftlichen Situation, gepaart mit einem völligen Realitätsverlust."

Rund dreißig RAF-Erklärungen wurden von Spezialisten des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz untersucht. Wer die Analysen der Beamten liest, kann den Eindruck gewinnen, dass sie sich mühten, die Sprache der Angehörigen einer längst untergegangenen Kultur zu entschlüsseln. Oder die Sprache der Dadaisten zu verstehen. Denn wenn die RAF ihren Hass auf fast alle ausspie, dann flogen Begriffe, Kausalitäten und Formen wild durcheinander. Den höheren Sinn der RAF hat nicht nur Enzensberger nicht entdecken können.

In der langen blutigen Geschichte des Terrorismus hat es viele schreckliche Gestalten gegeben und nur wenige, die so etwas wie Moral spürten. Bei den russischen Anarchisten im 19. Jahrhundert existierten solche Figuren. Der Berühmteste war Iwan Platonowitsch Kaljajew, der ein Attentat auf den Großfürsten abbrach, weil er im letzten Augenblick sah, dass in der Kutsche, die er mit einer Bombe in die Luft sprengen sollte, auch zwei Kinder saßen.

Die Mörderbande RAF suchte sich ihre Opfer gezielt aus, nahm aber immer wieder in Kauf, dass Begleitpersonen bei den Attentaten ums Leben kamen. Die Ermordung eines amerikanischen Soldaten, von dem man nur die Zugangskarte zur Kaserne brauchte, spaltete fast die terroristische Bewegung. Der Terror heute ist noch mal anders. Er kennt keine Individuen mehr, sondern nur noch Ziele.

Die dritte Generation vermied Fehler ihrer Vorgänger

Aus Sicht der Fahnder ist die Geschichte der RAF in drei Epochen zu erzählen: Da waren die Gründer wie Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, die nach wenigen Jahren aufflogen. Baader bevorzugte auffällige Autos und fuhr ohne Führerschein. Die zweite Generation formierte sich von 1972 an aus früheren Sympathisanten. Sie waren noch leicht zu fassen, mieteten oft Wohnungen in Hochhäusern, fuhren Autos mit gefälschten Kennzeichen und hinterließen massenhaft Fingerabdrücke.

Die Mitglieder der dritten Generation, die 1984 die ersten Anschläge verübten, gingen stets konspirativ ans Werk. Um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, versiegelten sie ihre Handflächen mit Wundspray und stellten vor Anschlägen aufwendige Sicherheitsanalysen an. Meist fuhren sie in Zügen, sie hatten sich sogar Bahncards zugelegt. Sie vermieden die Fehler ihrer Vorgänger, studierten die Fahndungsmethoden der Polizei. Noch 1996, zwei Jahre vor der Auflösung der RAF, verhöhnten sie Polizei und Justiz: "Sie wissen nicht viel über uns, sie haben nie wirklich durchgeblickt." Der Staatsschutz habe eine "künstliche Wirklichkeit aufgebaut".

Der harte Kern der Ex-RAF redet auch heute noch nicht darüber, wer wann wo geschossen hat. Auch nach der Entlassung aus der Haft gilt das alte Schweigegelübde, das schon Baader von den Gefolgsleuten verlangt hatte. Drohungen, Bitten, moralische Appelle auch von Opferfamilien, endlich mehr über die Verbrechen und die Hintergründe zu erfahren, brachten nichts. Die Mauer hält. Vielleicht aber hilft doch am Ende der gute alte Kommissar Zufall.

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SZ vom 20.01.2016/jps
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