Süddeutsche Zeitung

Terror in Europa:Wir sind stärker

Lesezeit: 2 min

Egal ob islamistischer Terror oder rechtsextremistischer Terror - beide verfolgen dasselbe Ziel: Sie wollen die Menschen entlang ethnischer und identitärer Linien trennen. Aber Europa hat dem etwas entgegenzusetzen.

Kommentar von Ronen Steinke

Menschen, die in Europa zusammenleben, sind nicht automatisch eine "Gesellschaft". Sie sind erst einmal nur Menschen, die in Europa zusammenleben und deren Zusammenhalt und Solidarität füreinander mancherorts stark, mancherorts sehr schwach und insgesamt oft flüchtig ist. Und wenn nach einem furchtbaren Anschlag wie jetzt in Nizza gesagt wird: Dieser Anschlag galt uns allen, und er schweißt uns zusammen (so Frankreichs Präsident Emmanuel Macron) - dann beschwört das vielleicht die Wirklichkeit. Aber es beschreibt sie nicht.

Dieser Terror, diese so symbolträchtige Gewalt, ist darauf ausgelegt und damit nicht unerfolgreich, die Menschen auseinanderzutreiben. Zu trennen entlang ethnischer oder identitärer Linien. Bei der dschihadistischen Variante des Terrors ist das ganz offensichtlich, es geht darum, ein "Wir und die" zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu propagieren. Gerade dort, wo nach der offiziellen Staatsdoktrin die Religion oder Herkunft keine Rolle für die Zugehörigkeit als Citoyen spielen soll, in einer laizistischen Republik.

Wenn Muslime in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern Europas erleben, wie sie seit den Anschlägen des 11. September 2001 immer stärker mit Extremisten in eins gesetzt werden, wie ihre gesamte Religion mit Misstrauen beäugt wird und insgesamt ihre gesellschaftliche Abstempelung zu Fremden zunimmt - dann wird dies von den Drahtziehern dieses Terrors nicht nur billigend in Kauf genommen. Es wird geradezu angestrebt.

Die Strategie lautet: Die Muslime sollen sich fremd fühlen

Je größer der Leidensdruck für Muslime in Europa, desto größer die Chance, dass sie den Hass auf die europäischen Länder übernehmen, so das Kalkül der Agitatoren in Syrien, im Irak. Und leider auch in der Türkei, wo Präsident Recep Tayyip Erdoğan die europäischen Muslime nicht nur vor einer "Assimilierung" an ihre Umwelt warnt. Sondern angesichts des europäischen Diskurses über den Wert der Presse- und Kunstfreiheit gar von einer "Lynchkampagne" gegen Muslime schwadroniert und zum Boykott französischer Waren aufruft.

Das ist nicht blinder Furor. Das ist Taktik. Es ist ein Spiel zur Mobilisierung, und leider kein dummes. Das Gefühl der Fremdheit soll wachsen, es wird Muslimen auf dem europäischen Kontinent eingeredet, sie gehörten sowieso nicht dazu, und man wolle sie fortjagen aus ihren mehrheitlich christlich geprägten Heimatländern. Es ist kein Zufall, dass diese Botschaft so stark an das erinnert, was Europas Muslime auch schon vonseiten weißer europäischer Rassisten zu hören bekommen. Es geht den Agitatoren hier wie dort ja um dasselbe Ziel. Die Spaltung.

Bei der rechtsextremen Bedrohung, wie sie sich gerade in der Stadt Avignon gezeigt hat, wo ein mutmaßlicher Anhänger der Identitären Bewegung einen jungen Mann nordafrikanischer Herkunft attackiert hat, geht es ohnehin seit jeher um die Botschaft: Ihr gehört nicht dazu. Diese Botschaft an Muslime ist derjenigen der Dschihadisten zum Verwechseln ähnlich. Besonders dann, wenn moderne Rechtsextremisten sich neuerdings "Ethnopluralisten" nennen und beteuern: Sie hätten ja nicht per se etwas gegen Muslime. Solange sie in "ihre" Länder zurückgingen.

Die europäische Idee ist ein Gegenprogramm zu weißen Identitären

Europa hat dem etwas entgegenzusetzen. Ein politischer Raum, in dem Menschen ganz unterschiedliche Muttersprachen sprechen, ganz unterschiedliche Religionen und nationale Identitäten haben können und dennoch gemeinsam und gleichberechtigt eine politische Repräsentanz wählen - ein klareres Gegenprogramm könnte man nicht erfinden. Die europäische Idee ist ursprünglich ein Gegenprogramm zu Europas weißen Identitären gewesen. Zu den dröhnenden Nationalisten, die als Muttersprache besonders oft Deutsch sprachen. Sie ist heute genauso das perfekte Gegenprogramm zu den islamistischen Identitären.

Es ist da sehr passend, dass die Polizeien auf diesem Kontinent allmählich erkennen, dass sie zusammenarbeiten müssen. Täter, die spalten, Täter, die vom französischen Präsidenten neuerdings klugerweise nicht mehr unspezifisch "islamistische Extremisten" genannt werden, sondern "islamistische Separatisten" - ihnen gegenüber müssen die Verteidiger des Rechts in Europa ganz besonders vereint auftreten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5099632
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.