Zur Bilanz dieses Wochenendes gehört nicht nur das Massaker von Istanbul. In der Stadt Nusaybin im Südosten des Landes sterben bei Angriffen der verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) nach türkischen Medienangaben zwei Soldaten, bei einem anderen Einsatz starb ein weiterer Soldat. Der Generalstab teilt mit, bei Anti-Terror-Missionen seien mindestens 28 militante PKK-Mitglieder getötet worden. In Izmir nimmt die Polizei 19 Menschen fest, darunter zwei Bezirksbürgermeister der prokurdischen Oppositionspartei HDP. Der Grund, laut staatlicher Nachrichtenagentur DHA: eine geplante Demonstration zum kurdischen Neujahrsfest Newroz. Vor dem Newroz-Fest liegen die Nerven blank. Die Türkei, auf die Europa in der Flüchtlingskrise setzt, wird vom Terror erschüttert. Für die Umsetzung des Flüchtlingsdeals braucht Brüssel einen stabilen Partner; stattdessen müssen die Europäer mit einem zerrissenen Land zusammenarbeiten, mit einer Regierung, die ganze Teile der Gesellschaft zum Feind erklärt, mit einem Staatsapparat, der Grundrechte mit Füßen tritt - und zugleich unfähig zu sein scheint, die Bürger zu schützen. Wohin man schaut, überall verschärfen sich die Konflikte. Da ist das Terrorproblem - und die Tatsache, dass die Bedrohung aus zwei Richtungen kommt. Kurdische Extremisten haben nicht mehr nur den Staat im Visier, sondern drohen mit Schlägen in Metropolen und touristischen Zentren. Zugleich ist mit dem Bürgerkrieg in Syrien die islamistische Bedrohung gewachsen - vor allem durch den IS.
Am Rand der Belastbarkeit
Terror von zwei Seiten, das wäre für jeden Sicherheitsapparat eine Herausforderung. Die Türkei bringt es an den Rand der Belastbarkeit. Das zeigt sich auch daran, dass die Behörden vor Anschlägen immer wieder versagt haben. Sie haben Hinweise nicht ernst genommen - oder absichtlich ignoriert, so der schlimme Verdacht, den nicht wenige in der Türkei hegen.
Doch es sind ja nicht nur die Bombenattentate, die das Land destabilisieren. Im Südosten eskaliert seit Monaten der Krieg. Die Gefechte zwischen Armee und PKK sind wieder aufgeflammt. Anders als früher wird der Kampf, der mit Unterbrechungen schon seit mehr als drei Jahrzehnten tobt und mindestens 40 000 Menschen das Leben gekostet hat, nicht mehr in den Bergen und Dörfern ausgetragen, sondern in den Städten. Hunderte Zivilisten sollen seit Beginn der Großoperation im Dezember ums Leben gekommen sein, auch viele Kinder. Schätzungen gehen davon aus, dass mehrere Hunderttausend Menschen zu Binnenflüchtlingen wurden.